Wer glaubt, man könne auf der Gitarre nichts Neues mehr machen, sollte sich diesen Mann merken.
Ein Beitrag aus CLASSIC ROCK #100
Tosin Abasi hielt einmal fest, die Gitarre sei „das Skateboard unter den Instrumenten“ – das stimmt, und nur wenige junge Saitenhelden haben so viele Tricks auf Lager wie er. Groß geworden Anfang der 90er in der Szene von Washington, D.C., wurde die markante Technik des US-Nigerianers am Scheideweg zwischen Hair Metal und Grunge geformt. Er erinnert sich, wie er in seinem örtlichen Musikladen Unterrichtsvideos auslieh, mit denen er seine Highspeed-Fähigkeiten verbessern wollte („Auf dem Cover war immer ein Typ mit einer Ibanez und riesiger Frisur“), doch dann verfiel er gänzlich den Psychosen von Pearl Jam, Nirvana und Soundgarden. „Das war die erste Musik, die ich hörte, die emotional wirklich komplex war.“ 2009 stieg sein Stern am Firmament als Mastermind der US-Prog-Metal- Instrumentalisten Animals As Leaders, doch Abasi hatte keinen Eddie Vedder, Kurt Cobain oder Chris Cornell, um den Emotionen hinter seinen Songs eine Stimme zu geben. Stattdessen verließ sich dieses mächtigste aller Trios auf eine überirdische Art musikalischer Begabung, um ausgeklügelte Klanglandschaften zu weben und alles, von erster Liebe bis zu blinder Wut, auszudrücken, ganz ohne einen Frontmann.
„Da gibt es keinen Typen, doch wir kommunizieren Angstzustände mit Harmonien und Rhythmen.“ Abasi Gitarren spielen zu hören – vor allem auf dem überragenden THE JOY OF MOTION von 2014 – bedeutet, gängiges Wissen über Bord zu werfen, während der 38-Jährige seine angsteinflößende achtsaitige Ibanez-Signature-Gitarre mit allen zehn Fingern beackert, Modern-Jazz-Einflüsse wie Kurt Rosenwinkel durchblitzen lässt und mit seiner Zwei-Daumen-Slap-Technik, abgeguckt vom Funk-Bass-Meister Victor Wooten, fast noch den Schlagzeuger überflüssig macht. „Die Gitarre ist ein so fähiges Instrument, wenn es darum geht, wie richtig komplette Musik zu klingen“, sagte er auf der Website Reverb. Ihn als Shredder zu bezeichnen, wäre viel zu kurz gegriffen („Das scheint mir eine ziemlich wertlose Motivation zu sein“). Doch es spricht Bände über sein monumentales Können, dass er auf der „Generation Axe“-Tour von 2016 nicht nur mithalten konnte, sondern die Bühnenkollegen Steve Vai, Zakk Wylde und Nuno Bettencourt mühelos zu ungläubig starrenden Schuljungen degradierte, als er sein Saiten-Slapping der nächsten Generation präsentierte (den Clip findet man auf YouTube). Instrumentalgitarristen werden selten zu bekannten Größen, doch man sollte nicht gegen Abasi wetten.
Anspieltipp: ›Physical Education‹ (Animals As Leaders, THE JOY OF MOTION, 2014)
Einer von vielen Virtuosen auf einer speziellen Gitarre. Typen wie er gibt es wie den sprichwörtlichen Sand, Notenfeuerwerk ohne Seele, ohne Tiefgang. Die Schnellspieler-Fraktion unter den Gitarristen ist unüberschaubar. Tonformende und Ausdruckstarke Gitarristen dagegen sind meiner Meinung nach überschaubar. Musik ist ohne Seele mur Lärm um nichts. Bei den Gitarristen die ich zu meinen Favoriten zähle reichen ein paar Noten um sich auszudrücken. Ich möchte betonen : Es sollte keine globale Kritik an den Musikern und Schnell-Spielern der aktuellen Gitarristinnen und Gitarristen sein, lediglich einige kritische Anmerkungen bezüglich der journalistischen Wertungen die meiner Meinung nach völlig unkritisch sind. Tausend Noten pro Sekunde sind für mein dafürhalten nicht der Maßstab für ausdrucksstarke musikalische Interpretation.
Rolf Jo Maier, dann solltest du die Lieder von Animals as Leaders mal hören.
Da sind die wenigstens “schnellspielend” und “ohne seele”.
Die Musik die die Band macht hat meiner Meinung nach viel Seele und Emotionen.