Trotz des texanischen Feuers, das in seinem Innersten lodert, ist Billy F. Gibbons cooler als ein Zentner Eiswürfel. Nicht nur modisch gesehen legt er in seinem Nudu (so nennt man seine badvorlegerartige Kopfbedeckung) regelmäßig optische Punktlandungen hin, auch sonst glänzt der ZZ-Top-Mann neben seiner Gitarrenvirtuosität mit einer zur Selbstironie neigenden Stilsicherheit – oder gibt es etwa sonst noch jemanden in diesem Universum, der sechs an Plüsch getackerte Saiten mit so viel Haltung spielen kann wie Billy? Auch auf seiner neuen Soloplatte HARDWARE beweist er einmal aufs Neue, dass seine Attitüde irgendwo im tiefgefrorenen Bereich liegt: Das Album ist ein überaus gelungener, teilweise richtig hart zwischen Blues, Stoner und sandigem Surf rockender Wurf, der gemeinsam mit Drummer Matt Sorum in der kalifornischen Wüste entstand und viel hungriger und frischer klingt, als man es einem 71 Jahre alten Herren in sengender Hitze zutrauen möchte. Im Interview mit CLASSIC ROCK sprach Professor Gibbons über diesen mysteriösen Desert-Ritt namens HARDWARE, seine Pläne mit ZZ Top und gab im Anschluss mit seinem zähen texanischen Akzent noch eine kleine Lehrstunde in Sachen Southern Rock.
Warum wolltest du diese Platte in der kalifornischen Wüste aufnehmen?
Dazu sollte ich vielleicht ein bisschen zurückgehen und die ganze Geschichte erzählen. Mein Kumpel Matt Sorum – jeder kennt ihn von Guns N’ Roses, Velvet Revolver und The Cult – rief mich an und fragte, was ich so treiben würde. Und ich nur so: „Na ja, wie jeder andere auch tue ich überhaupt nichts!“ (lacht) Er meinte, dass er ein cooles Studio in der Nähe von Joshua Tree gefunden hätte. Ich dachte gleich an Rancho de la Luna, aber er erzählte mir, dass es auf der anderen Seite des Highways läge. Ich kannte diesen Ort gar nicht, also sind wir dorthin gefahren und haben uns das angeschaut. Ich ließ Frank Beard, den Mann ohne Bart, und Dusty Hill im Studio in Texas zurück und fuhr an die Westküste. Matt und ich wollten das neue Studio nur kurz auschecken. Sehr durchdachte Einrichtung, alles total schön gemacht und das mitten im Nirgendwo ohne Handyempfang. Na ja, wir sind dann einfach drei Monate geblieben. Wir hatten den Luxus, mit zwei grandiosen Toningenieuren arbeiten zu können – mit Mike Fiorentino und Chad Shlosser. Und so haben wir ziemlich schnelle und laute Nummern aufgenommen.
Wie können wir uns die Genese der neuen Songs vorstellen? Wie warst du in den drei Monaten so drauf?
Eine gute Frage. Wir haben im Juni angefangen, was bedeutet, dass wir viele Monate zuvor einfach nichts getan hatten, was darin resultierte, dass wir sehr kurz davor waren, den Verstand zu verlieren. [Pluralis Majestatis; Anm. d. Red.] Aber so ist es halt mit dem Rock’n’Roll. Eigentlich war das eine ziemlich gute Ausgangssituation für ein neues Projekt. Das ist auch irgendwie interessant: Wenn wir eine neue ZZ-Top-Platte machen, haben wir schon einige solide Ideen, bevor wir loslegen. Bei HARDWARE hatten wir nichts – außer Wüstensand und Klapperschlangen vor der Nase – und trotzdem hat es funktioniert. Das war eine sehr ehrliche Herangehensweise an die Musik.
Ich denke, das hört man dem Album an. HARDWARE klingt unverbraucht und hungrig.
Ja, ich glaube, deswegen haben wir uns auch so lange in der Wüste aufgehalten. Erst war ja nur ein kurzer Nachmittag geplant. Aus einem Nachmittag wurden drei Tage, aus drei Tagen dann ein Monat und so weiter. (lacht) Es hat einfach so viel Spaß gemacht nach all dem Leerlauf. Mir gefällt dieser Prozess, wie aus überhaupt nichts plötzlich etwas wird. Ich mag die Platte, es klingt anders, als man es von ZZ Top gewohnt ist, aber das war ja auch die Herausforderung.
Was gibt dir deine Soloarbeit, die dir dein Schaffen mit ZZ Top nicht gibt?
Das Solozeug ist wohl eine experimentelle Erweiterung dessen, was ich binnen fünf Dekaden mit ZZ Top erreicht habe. Es ist mir wichtig, immer wieder zu betonen, was ich da mache: mit wirklich solider Rückendeckung arbeiten. Frank liefert genauso seinen ganz eigenen Stil eines Backbeats ab wie Matt, ich mag die Kraft, die hinter den beiden steckt. Bei meinen Solosachen trete ich aus meiner gewohnten Komfortzone in eine neue Komfortzone hinein. Dahinter verbergen sich mysteriöse Herausforderungen. Wenn ich das tun darf, was ich kann, und das ohne Zwang, dann tue ich es mit ganzer Leidenschaft.
Ist der letzte Track, ›Desert High‹, bei Vollmond mitten in der Wüste entstanden?
Ziemlich genau so, um ehrlich zu sein. (lacht) Du hast ins Schwarze getroffen. Wir hatten das Gefühl, sehr gutes Material in kurzer Zeit erschaffen zu haben. Und dann haben wir – die zwei Ingenieure und die zwei Musiker – nochmal etwas aus dem Nichts hervorgezaubert. Wenn du dir den Text anhörst, merkst du schnell, dass da genau das beschrieben wird, was wir in den Sommermonaten so getrieben haben. Es ist alles in dem einen Track.
Du hast eine sehr schöne Erzählstimme. Schon mal darüber nachgedacht, Hörbücher einzusprechen?
Na, die Zeit dazu hätten wir gerade jedenfalls. (lacht) Am Ende der Aufnahmesessions hatte ich 90 Tage durch geschrien. Als es dann an diesen Spoken-Words-Track ging, hatte ich ein ganz neues Stimmregister erreicht, sehr tief und mystisch, ha! (lacht) Es hat uns nichts ausgemacht.
Welche Gefühle erweckt die Wüste in dir?
Man hat ja schon oft versucht, das zu beschreiben. Ich kann nur sagen: Man kann das in Worte fassen, in Bildern umsetzen, sich darüber unterhalten, aber ich denke, dieses eine fehlende Stück fehlt solange, bis du dir wirklich Zeit nimmst und dich in die Wüste begibst. An diesem Ort sind besondere magnetische Schwingungen, irgendwas, das man nicht beschreiben kann, obwohl man es ganz stark spürt. Es hilft also nichts: Wenn du das herausfinden willst, musst du losziehen.
Wie weit sind wir denn eigentlich mit der neuen ZZ-Top-Platte?
Die Frage könnte ich dir in ein paar Stunden besser beantworten, weil ich jetzt dann mit den Jungs telefoniere. Der Mann ohne Bart und der Mann mit Bart haben mir gestern ein Rauchzeichen geschickt, dass es ihnen gerade sehr viel Freude bereite, als Rhythmussektion ein paar starke Backingtracks für mich auszuarbeiten. Das Schöne daran ist, dass ich dann einfach ins Studio gehe und bereits eine Plattform habe, auf der ich stehen kann. Es ist wie den Zuckerguss auf dem fertigen Kuchen zu verteilen. Da bewegt sich also einiges.
Gibt es irgendeine Situation auf dieser Welt, in der Billy Gibbons seine Coolness verliert? Vielleicht bei einem Duell mit einer Klapperschlange?
(lacht) Oh ja, die gibt es tatsächlich. Ein Song auf HARDWARE heißt ja ›She’s On Fire‹. Obwohl wir sehr abgeschieden waren, sind wir alle paar Tage mal in ein nettes mexikanisches Café gefahren. Einmal gingen wir hinein und die Küche hatte Feuer gefangen. Die Chefin und Köchin, eine wundervolle junge Dame, stand inmitten der Flammen und rief: „Ich koche nicht, ich versuche, das Feuer zu löschen!“ Alles ging gut aus, aber das war so ein explosiver Moment, quasi „in the heat of the moment“, dass meine Coolness kurz dahinschmolz.
Eine sehr persönliche Frage: Wenn du müsstest, wem würdest du Pearly Gates vermachen?
Wow! (lacht) Weißt du, die Kraft und Stärke, die in diesem ungewöhnlichen Instrument schlummern, bedürfen der Hände einer besonderen Person. Dieses Instrument spielt sich nicht von selbst, ist aber jederzeit bereit, im Mittelpunkt zu stehen. Jeder, der das im Kreuz hätte und alleine vor der ganzen Klasse stehen will, kann sich schon mal bereit machen.
Billy Gibbons einer der letzten Musiker mit einer Ausstrahlung die man heute kaum noch findet.
Der Typ ist eine lebende Legende, genialer Musiker, Gitarrist wie es nicht viele gab und vor allem noch gibt.
Sehr gutes Interview Frau Floßmann, wie alle Ihre Beiträge auf dieser Plattform.
Sie als jünger Mensch haben eine besondere Gabe, die nicht viele Ihrer Generation besitzen : Die Gabe
mit anderen zu kommunizieren ohne dabei den Respekt und die Würde ihrer Gesprächspartner zu ignorieren.
Lese deshalb sehr gerne Ihre Artikel. Bleiben Sie sich weiterhin treu.
Beste Grüße
R.M.