Kaum jemand hält die Fahne des Heavy Metal schon so lange hoch wie sie – die Worte „none more metal“ passen bei den Briten wie ein schwarzer Nieten-Lederhandschuh.
Black Sabbath waren die Ersten. Iron Maiden und Metallica sind größer. Doch wenn es eine Band gibt, die mehr als alle anderen den Klang und die Ästhetik des Heavy Metal definiert, sind das Judas Priest. „Metal ist eine sehr besondere Musik“, sagt ihr Frontmann Rob Halford. Und seit über 40 Jahren repräsentieren sie ihn in seiner reinsten Form: die kreischenden Vocals, die sich duellierenden Gitarristen, die alles plattwalzenden Riffs, das Leder und die Nieten, die Songs über Tod, Zerstörung, Motorräder und, ja, den Metal selbst. Eine einzigartig fokussierte Vision, inszeniert mit missionarischem Eifer, die 1984 im Albumtitel DEFENDERS OF THE FAITH perfekt zusammengefasst wurde.
In ihrer ersten Inkarnation als Blues-Rock-Band mit Sänger Al Atkins wurden Judas Priest (benannt nach Bob Dylans Song ›The Ballad Of Frankie Lee And Judas Priest‹) 1969 in Birmingham gegründet. Das neue Line-up von 1970 zählte schon Gitarrist Kenny „KK“ Downing und Bassist Ian Hill in seinen Reihen. Doch erst nach Atkins‘ Ausstieg 1973 wurden Judas Priest wirklich geboren, als Halford am Mikro und der zweite Gitarrist Glenn Tipton die entscheidende Feuerkraft mitbrachten.
Inspiriert von Heavy-Rock-Pionieren wie Sabbath, Led Zeppelin, Deep Purple und Cream, nahmen die jungen Priest 1974 ihr Debüt ROCKA ROLLA auf. Zwei Jahre später fanden sie dann mit SAD WINGS OF DESTINY ihren Sound. In den 80er Jahren wurden sie schließlich mit Hitalben wie BRITISH STEEL und SCREAMING FOR VENGEANCE zu einer der größten Metal-Bands des Planeten. Die 90er hingegen wurden eher zum Tal der Tränen: Zunächst war da dieser Prozess, in dem die Band verklagt wurde, weil der Selbstmordpakt zweier junger Fans aus Nevada angeblich auf ihre Musik zurückzuführen gewesen sei. Dann stieg Halford aus, um seine neue Formation Fight zu gründen, und wurde von Tim „Ripper“ Owens aus Ohio ersetzt, dem Sänger eines Priest-Tribute-Acts.
2003 kehrte Halford jedoch an seinen angestammten Platz als Zeremonienmeister der Truppe zurück. Tiptons Gegenspieler Downing verließ die Band 2011, wurde aber durch den Londoner Richie Faulkner ersetzt. Das Resultat war das resolut oldschoolige REDEEMER OF SOULS von 2014. Ein Jahr später sagte Halford: „Ich war immer sehr glücklich, der Sänger einer Heavy-Metal-Band zu sein. Es ist wunderbar.“ Und Priest sind nun mal nicht irgendeine Heavy-Metal-Band – sie sind die „heavymetalste“ Heavy-Metal-Band von allen.
Unverzichtbar
BRITISH STEEL
COLUMBIA, 1980
1980 war für den Heavy Metal das beste Jahr überhaupt: Es erschienen derart viele Klassiker, von BACK IN BLACK über HEAVEN AND HELL und IRON MAIDEN bis hin zu Judas Priests Meisterwerk BRITISH STEEL. Von den ersten Worten, die Halford auf ›Rapid Fire‹ singt – „Pounding the World like a battering ram“ – bis zum kakophonischen Finale von ›Steeler‹ ist dies eine ebenso genreprägende Platte wie PARANOID. Zwei brillante Singles erreichten die britischen Top 20: die Partyhymne ›Living After Midnight‹ und das aufmüpfige ›Breaking The Law‹. In der dystopischen Vision von ›Metal Gods‹ fand die Band letztendlich ihren Schlüsselsong.
SCREAMING FOR VENGEANCE
COLUMBIA, 1982
Beim gigantischen US-Festival in Kalifornien 1983, einem der größten Metal-Momente in den 80ern, waren zwar Van Halen die Headliner, doch auch Priest hatten ein Publikum von 350.000 Menschen bei den Eiern. SCREAMING FOR VENGEANCE war das Album, das sie in Amerika zu Stars machte. Der Schlüsseltrack mit seinem eingängigen Riff und der rotzigen Attitüde war ›You‘ve Got Another Thing Comin‘‹ und wurde zur Macht im US-Radio. Der Rest der Platte wurde von einem Klang dominiert, den man nur als gnadenlose Metal-Attacke bezeichnen kann, von ›The Hellion‹, ›Electric Eye‹ und ›Riding On The Wind‹ bis zur mitreißenden Gewalt des Titelstücks.
Wunderbar
UNLEASHED INTHE EAST
COLUMBIA, 1979
Eines der großartigsten Live-Alben aller in Zeiten wurde zwar mit so vielen Overdubs nachbearbeitet, dass es scherzhaft in UNLEASHED IN THE STUDIO umbenannt wurde, aber an seiner Energie ändert das nichts. Aufgenommen in Tokio, finden sich hier legendäre Versionen von ›Victim Of Changes‹, ›The Ripper‹, ›Sinner‹ und ›Exciter‹ sowie eine meisterhafte Interpretation des frühen Fleetwood-Mac-Songs: ›The Green Manalishi‹. Priest veröffentlichten noch fünf weitere Live-Mitschnitte, doch keiner kam an diesen heran.
STAINED CLASS
COLUMBIA, 1978
2004 bezeichnete der „Metal Hammer“ STAINED CLASS als das einflussreichste Metal-Album aller Zeiten – die Geburtsstunde des „pure metal“ und der Zündfunke für die NWOBHM-Explosion. Es wurde aber auch zum umstrittensten Werk in der Geschichte des Genres, nachdem es zwei Fans abspielten, bevor sie Selbstmord begingen. Zweifelsfrei ist STAINED CLASS aber ein wichtiges Stück Kunst. Als Reaktion auf den Punk waren Songs wie ›Exciter‹ und ›Savage‹ von brutaler Intensität, während Halfords Meditation über geistige Gesundheit und Selbstmord auf ›Beyond The Realms Of Death‹ echten Tiefgang besaß.
KILLING MACHINE
COLUMBIA, 1978
Der Nachfolger von STAINED CLASS war Priests zweite großartige Platte von 1978, deren schlanker, aggressiver Sound BRITISH STEEL ankündigte. In den USA wurde es als HELL BENT FOR LEATHER verkauft, nach dem Bikersong, der zum Fixpunkt im Live-Set wurde, wenn Halford auf einer Harley auf die Bühne fuhr. Ebenso over the top: ›Rock Forever‹, ›Running Wild‹ und ›Delivering The Goods‹, dessen stampfendes Riff unglaubliche Kraft hatte. In all dem Tumult fand sich aber auch die Ballade ›Before The Dawn‹ mit dem emotionalsten Gesang, den Halford je aufnahm.
Turbo
Columbia, 1986
Eigentlich als Doppelalbum geplant, erblickte das zehnte Werk der Band am Ende doch als Einzelkind das Licht der Welt. Es wurde gemunkelt, dass es der Plattenfirma zu komplex war, weswegen sie auf eine kürzere und zugänglichere Version pochte. Schade, denn so fahren Judas Priest auf TURBO auf Sparflamme, setzen auf Synthesizer und eingängige Pop-Hooks. Keine Frage, dieses Werk ist immer noch herausragend, Songs wie ›Turbo Lover‹ und ›Locked Inside‹ zählen zu ihren größten Hits. Aber mit ein bisschen künstlerischer Freiheit wäre mehr drin gewesen.
Anhörbar
SAD WINGS OF DESTINY
GULL, 1976
Dieser Zweitling stellte einen Quantensprung zum Debüt ROCKA ROLLA dar, von unfokussiertem, bluesbasiertem Hardrock zu Vollgas-Metal. Mit SAD WINGS OF DESTINY wurden Judas Priest erwachsen. Das Highlight ist ›Victim Of Changes‹, das nicht nur ein Priest-Klassiker ist, sondern auch einer der großartigsten Metal-Songs aller Zeiten. Diese Heavyness, sowohl im Klang als auch thematisch, fand sich auch auf ›Tyrant‹ und ›Genocide‹ wieder. Der Weg war geebnet für SIN AFTER SIN im nächsten Jahr und dessen Dampfhämmer ›Sinner‹ und ›Dissident Aggressor‹.
POINT OF ENTRY
COLUMBIA, 1981
Ein unterbewertetes Album. An den Erfolg von BRITISH STEEL kam es nicht heran, einige Fans schrien aufgrund des konsensfähigeren, polierteren Sounds „Ausverkauf!“, doch auf POINT OF ENTRY finden sich Songs, die zu den besten im Priest-Kanon zählen. Zu einer Zeit, in der sie ständig auf Tournee waren, inspirierte die Romantik des Nomadenlebens ›Heading Out To The Highway‹ und ›Desert Plains‹, den Nachfolger im Geiste von ›Hell Bent For Leather‹. Weitere Höhepunkte waren ›Don‘t Go‹ mit seiner harten rhythmischen Spannung und ›Solar Angels‹, ein mystisches Epos mit einem poetischen Text von Halford.
DEFENDERS OF THE FAITH
COLUMBIA, 1984
Nach dem Erfolg von SCREAMING FOR VENGEANCE war die nächste Platte sowohl musikalisch als auch hinsichtlich des Cover-Artworks – erneut von Doug Johnson – aus demselben Holz geschnitzt. ›Freewheel Burning‹ ist eine Bikerhymne in halsbrecherischem Tempo, während auf ›The Sentinel‹, dem dramatischen Schlüsseltrack, Halfords gewaltige Theatralik von Tipton und Downing mühelos pariert wird. Nachdem das sexuell explizite ›Eat Me Alive‹ den Zorn der Zensurkläffer des PMRC auf sich gezogen hatten, rächten sich Priest mit dem Protestsong ›Parental Guidance‹ auf ihrem 86er Album TURBO.
Sonderbar
DEMOLITION
SPV/STEAMHAMMER, 2001
Die märchenhafte Geschichte von Tim „Ripper“ Owens, der in einer Priest-Tribute-Band sang und dann dem Original beitrat, war die Inspiration für den Film „Rock Star“. Owens machte den Job auf seinem Einstand bei Priest, JUGULATOR, wirklich nicht schlecht, seine jugendliche Energie befeuerte einen moderneren Sound im Stil von Pantera. Doch auf dem Nachfolger DEMOLITION blieb davon nur noch hohles Getöse ohne einen einzigen guten Song übrig. Zwei Jahre später kehrte Halford zurück und Owens stieg bei Iced Earth ein. Dazu Bassist Ian Hill: „Ripper ist ein phänomenaler Sänger, aber er war eben nicht Rob.“
DEFENDERS OF THE FAITH gehört eindeutig zu den unverzichtbaren Klassikern, wohin TURBO nicht schlecht, aber auch nicht typisch JUDAS PRIEST war. Zu kommerziell, aber gute Songs sind einige doch dabei. Hier meine Meinung:
STUDIO ALBEN
Unverzichtbar: Sad Wings Of Destiny, Sin After Sin, Stained Class, Killing Machine, British Steel, Screaming For Vengeance, Defenders Of The Faith, Painkiller, Firepower
Ganz gut: Redeemer Of Souls, Angel Of Retribution, Point Of Entry, Ram It Down, Turbo, Jugulator
Verzichtbar: Rocka Rolla, Demolition, Nostradamus
LIVE
Unverzichtbar:
Unleashed In The East, Priest Live, 1998 Metal Meltdown, Live Vengeance 1982 (Video)
Gut: Live in London, Battlecry
Naja:A Touch Of Evil Live
Painkiller nicht mal erwähnt. Bei all der berechtigten Verehrung der Klassiker – es gibt kaum Alben, die wie das letzte Werk vor dem Ausstieg von Halford keinen einzigen Füller enthalten, absolut ikonische Riffs, atemberaubende Drumtechnik und gesangliche Höchstleistungen enthalten UND derart sauber und druckvoll produziert sind. An Painkiller kommt niemand vorbei, der etwas zur Metal-Historie aussagen will.