Wer es schafft, als Instrumentalist so gut und stilprägend zu sein, dass er ein internationaler Superstar wird, muss einiges draufhaben.
In einer Liste der bedeutendsten Rockgitarristen aller Zeiten darf Carlos Santana nicht fehlen. Der gebürtige Mexikaner gehört zum elitären Kreis derer, die in die Rock’n’Roll Hall Of Fame aufgenommen wurden. Er ist der Erfinder des Latin-Rock, einer Musikgattung, in der sich Blues, Rock, Salsa und afro-kubanische Einflüsse vermischen. Weit mehr als 30 Millionen Tonträger hat der 64-Jährige bis heute verkauft, speziell mit seinen frühen Hits ›Samba Pa Ti‹, ›Oye Como Va‹ oder ›Black Magic Woman‹ Klassiker der Rockgeschichte veröffentlicht und dafür unzählige Gold- und Platin-Auszeichnungen bekommen.
Carlos Augusto Alves Santana wird am 20. Juli 1947 in Autlán de Navarro geboren. Bereits mit fünf Jahren führt ihn sein Vater José, ein hervorragender Violinist, an die Musik heran. Mit acht bekommt Carlos seine erste Gitarre, 1955 zieht er mit seiner Familie in die mexikanische Grenzstadt Tijuana, wo er die Musik von B.B. King, T-Bone Walker und John Lee Hooker kennenlernt. Santana schließt sich unterschiedlichen Gruppierungen an und spielt mit ihnen auf dem Tijuana Strip, um seine Familie zu ernähren. 1961 geht er nach San Francisco und entwickelt dort den Musikstil, der ihn berühmt macht. 1967 stellt Santana im spanischen Viertel der Stadt seine eigene Band zusammen, ein Septett mit lateinamerikanischen Percussionisten, die dem Mix aus amerikanischem Rock und mexikanisch-kubanischer Polyrhythmik das besondere Etwas geben. Keine zwei Jahre später steht Santana auf der Bühne des legendären Woodstock-Festivals. 1999 landet er schließlich mit SUPERNATURAL und der Hitsingle ›Smooth‹ (feat. Sänger Rob Thomas/Matchbox20) den zweiten ganz großen Erfolg seiner Karriere.
Carlos Santana ist streng gläubig. Anfang der Siebziger schließt er sich dem indischen Guru Sri Chinmoy an und nennt sich fortan „Devadip“. Anfang der Neunziger wird er Christ und engagiert sich seither bei der Erweckungsbewegung „Born Again Christians“. Seine Ankündigung, 2014 die Gitarre an den Nagel zu hängen, hat er zum Glück nicht wahr gemacht
Unverzichtbar
Abraxas
Columbia, 1970
Der Santana-Klassiker mit den Hits ›Black Magic Woman/Gypsy Queen‹, ›Samba Pa Ti‹ oder ›Oye Como Va‹ plus weiteren Höhepunkten wie dem Instrumentalsong ›Incident At Neshabur‹ oder der dritte Single-Auskopplung ›Hope You‘re Feeling Better‹. Auf ihrem zweiten Werk demonstrieren Carlos Santana und seine Crew ihr neuartiges, eng verzahntes Zusammenspiel aus wunderbar flüssig gespielten Gitarren, feurigen Latin-Percussions wie Congas, Bongos und Timbales sowie Elementen traditioneller Rockmusik. Die Scheibe wird im April/Mai 1970 eingespielt und erscheint im September, knapp ein Jahr nach dem spektakulären Woodstock-Gig.
Caravanserai
Columbia, 1972
Nach den überragenden Erfolgen der drei ersten Veröffentlichungen wagt Carlos Santana 1972 eine Kursänderung. Er wendet sich auf CARAVANSERAI stärker jazzigen Direktiven und komplexen Arrangements zu. Auf nur drei der zehn Songs befindet sich Gesang, in den sieben zum Teil ausladenden Instrumentalstücken erweist sich der Gitarrist als einfühlsamer Wanderer zwischen den Welten. Der Grund für Santanas riskanten Schritt: seine Spiritualität, die sich in Titeln wie ›Eternal Caravan Of Reincarnation‹, der quasi die Stimmung des fabelhaften Covers aufgreift, ›All The Love Of The Universe‹ oder ›Waves Within‹ widerspiegeln.
Wunderbar
Santana
Columbia, 1969
Das Debüt schlägt 1969 in der Fachwelt wie eine Bombe ein: Dass die Mischung dieser Band auf der Bühne ein wahres Feuerwerk abfackeln wird, ist sofort klar. Nur folgerichtig also die Verpflichtung fürs Woodstock-Festival, wo Santana tatsächlich Rockgeschichte schreibt. Vor allem das im Film festgehaltene ›Soul Sacrifice‹, das kompositorische Epizentrum des Premieren-Albums, beinhaltet genau die Mischung aus Virtuosität, Spontaneität und Kulturmix, für die Santana fortan gefeiert wird. In der BRD kommt Santana durch ›Waiting‹ zu Ruhm, da der Song als Erkennungsmelodie der Sendung „Kennzeichen D“ fungiert.
Santana III
Columbia, 1971
Das dritte Album bildet den Abschluss einer Art Trilogie, in der Meister Carlos die Welt mit seinem feurigen Latinrock in Staunen versetzt. Im Gegensatz zu den ersten beiden Werken findet sich auf SANTANA III kein reiner Singlehit wieder (als Klassiker gilt allerdings ›Toussaint L’Overture‹), dennoch schafft es die Scheibe auf Rang eins der US-Billboard-Charts. Dieses Album glänzt vor allem als Gesamtkunstwerk, als Einheit. Und es begeistert durch seine kompositorische Komplexität bei einer gleichzeitig imposanten atmosphärischen Dichte. Kurz darauf öffnet sich Carlos Santana verstärkt für den Jazz.
Moonflower
Columbia, 1977
Obwohl Santana nach dem Woodstock-Gig ein fabelhafter Live-Ruf vorauseilt, ist MOONFLOWER (außer dem seinerzeit nur als Japan-Import erhältlichen Dreierwerk LOTUS) das erste Album mit Live-Material. Aufgenommen u.a. in der Münchner Olympiahalle und dem Londoner Hammersmith Odeon gibt es hier Latin Rock vom Feinsten, der durch bis dato unveröffentlichte Studiotracks wie z.B. ›She’s Not There‹ und ›I’ll Be Waiting‹ erweitert wird. Insofern ist MOONFLOWER zwar ein Zwitter, jedoch einer, der erstaunlich homogen klingt und von der ersten bis zur letzten Minute fasziniert.
Supernatural
Arista/BMG, 1999
Im 30. Jahr seiner Karriere veröffentlicht Carlos Santana 1999 ein sehr ungewöhnliches und zugleich unerwartet erfolgreiches Album. Auf SUPERNATURAL kooperiert er mit Stars wie Lauryn Hill, Everlast, Dave Matthews, Eric Clapton oder Eagle-Eye Cherry und landet zwei Super-Hits: ›Smooth‹ (mit Rob Thomas von Matchbox 20) und ›Maria Maria‹, produziert von Wyclef Jean. Das Besondere an dieser Scheibe: Carlos Santana zeigt abermals keinerlei Berührungsängste und mischt auf SUPERNATURAL sein unverwechselbares Gitarrenspiel mit Beats und HipHop-Einflüssen. Das Ergebnis: satte acht Grammys.
Anhörbar
Inner Secrets
Columbia, 1978
Bereits ein Jahr nach dem fabelhaften MOONFLOWER legen Santana in nur leicht veränderter Besetzung ein tadelloses Studioalbum vor, das die Latin-Percussions etwas zurückfährt und mehr auf traditionellen Rock setzt. Auch hier beweist Carlos Santana, dass er nicht nur ein großartiger Komponist, sondern ein ebenso guter Interpret fremder Songs ist. Wunderbar: Jim Capaldis Traffic-Nummer ›Dealer‹. Elektrisierend: Santanas eigenes ›Life Is A Lady‹. Weitere Highlights sind ›Well All Right‹ (von Blind Faith) und das selbst verfasste ›Open Invitation‹. Sogar das mit einem Disco-Groove versetzte ›One Chain (Don’t Make No Prison)‹ überzeugt.
Zebop!
Columbia, 1981
Anfang der Achtziger beginnt Carlos Santana langsam, das Rad der eigenen Geschichte zurückzudrehen: ZEBOP! zeigt dem Meister wieder eine Spur stärker an Latin und Salsa orientiert. Vor allem das opulente, mit portugiesischen Textbrocken angereicherte ›É Papa Ré‹, die beiden Instrumentalnummern ›Primera Invasion‹ und ›Tales Of Kilimanjaro‹ und die Mainstream-Nummer ›Searchin’‹ können einiges. Allerdings misslingt die Wahl der Coverversionen: ›Changes‹ von Cat Stevens ist charmefreies Stückwerk, ›Winning‹ von Russ Ballard wirkt wie ein allzu poppiger Ausrutscher ohne wirklichen Tiefgang. Dennoch ein Album, das vielen Fans gefällt.
Brothers
Polygram, 1994
Als „Brüder“ bezeichnet Carlos zwar viele seiner Wegbegleiter (vor allem diejenigen, die seine Spiritualität teilen), doch auf BROTHERS gibt es tatsächlich ein echtes Familientreffen: Jorge ist sein vier Jahre jüngerer Bruder, Carlos Hernandez sein Neffe. Das Trio widmet die Scheibe (plus der Mithilfe von u.a. Keyboardemann Chester Thompson, Bassist Myron Dove und Schlagzeuger Billy Johnson) ihren großen Idolen Albert Collins, Eric Gale und Joe Pass. Musikalisch geht es hier stellenweise rau und schroff zu, an anderer Stelle wiederum experimentell und transzendental. Elf Tracks, die vor allem eines dokumentieren: So kann nur Santana klingen.
Sonderbar
Guitar Heaven
Arista/Sony, 2010
Carlos Santana interpretiert hier einige der größten Rock-Klassiker der Geschichte neu. Dabei schreckt der Mann nicht einmal vor geradezu offensichtlichen Fettnäpfchen, an denen selbst er nicht vorbeitreten kann. Manche Songs, zum Beispiel Led Zeps ›Whole Lotta Love‹ (gesungen von Soundgarden-Fronter Chris Cornell), ›Little Wing‹ von Jimi Hendrix (mit Joe Cocker) oder ›Riders On The Storm‹ von den Doors (mit Chester Bennington/Linkin Park und Ray Manzarek) bekommen dank Santana ein eigenes, überraschend frisches Flair. Doch bei AC/DCs ›Back In Black‹ und Deep Purples ›Smoke On The Water‹ scheitert Santanas Ansatz auf breiter Front.