Und dann gibt es die schlechten Coverversionen, die einen vielleicht eine Strophe und einen Refrain lang bei der Stange halten, dann aber schnell in die Belanglosigkeit abgleiten. Sicher, William „Captain Kirk“ Shatners urkomisches ›Rocket Man‹ oder Pat Boones schwächliches ›Smoke On The Water‹ sind ganz amüsant, aber es gibt auch solche, die sich wie ein Verbrechen anfühlen und drohen, einem die Liebe und nostalgische Verbindung zum Original zu rauben. Das kann der nicht vollends gelungene Versuch einer Neuerfindung sein (Marilyn Mansons paranormal-schräges ›Sweet Dreams‹) oder Gepoltere, das mit Finesse verwechselt wird (Nickelback & Kid Rocks Migräne verursachendes ›Saturday Night’s Alright For Fighting‹). In den meisten Fällen ist es aber schlicht und ergreifend der falsche Song für den falschen Act – Limp Bizkits nicht enden wollendes ›Behind Blue Eyes‹, das Starbucks-lite-Geplänkel ›Big Yellow Taxi‹ von Counting Crows und Mötley Crües fehlzündendes ›Anarchy In The UK‹ sind Paradebeispiele. Und auch wenn man darüber geteilter Meinung sein kann, hätten Aerosmith die Finger von ›Come Together‹ lassen sollen.
Es gibt auch jene Fälle, in denen ein „Cover“ eigentlich gar keines ist. Dass Acts Stücke aufnehmen, die von professionellen Songwritern geschrieben wurden, ist seit jeher gang und gäbe im Musikgeschäft, ob Elvis mit ›Don’t Be Cruel‹ (Lieber & Stoller), Mott The Hoople mit ›All The Young Dudes‹ (ein Geschenk von David Bowie, das ihre Karriere rettete), Meat Loafs ›I’d Die For You‹ (Diane Warren) oder The Bangles mit ›Manic Monday‹ (Prince). Auf den folgenden Seiten werden wir hingegen Tracks behandeln, die zuvor von anderen Acts aufgenommen und veröffentlicht und nicht nur von ihnen verfasst wurden. In dieselbe Kategorie fällt das Sampling, also das Aufgreifen von einem tatsächlichen Teil der Originalaufnahme. Was in der Welt des HipHop seinen Anfang nahm (James Brown wurde auf mehr als 5.000 Songs gesamplet), überrollte Ende der 80er und in den 90ern die ganze Musikwelt. Beck und die Chemical Brothers etwa bauten Stücke auf solchen Samples auf. Woraus sich schließen lässt: Wenn man nicht mit eigenen Händen den Ur-Song spielt, ist es nicht wirklich ein Cover, oder? Zum Glück breitete sich dieser Trend im Rock nie allzu weit aus – obwohl umgekehrt Ice-T oder die Beastie Boys bekanntlich Black Sabbath und Deep Purple sampleten.
Das Konzept, auf Songs anderer Leute aufzubauen, wird noch undurchsichtiger, wenn wir das Erbe von Led Zeppelin als diebische Elstern behandeln. Jimmy Page und Robert Plant studierten beide aufmerksam den amerikanischen Blues und Folk, Genres voller geteilter Sequenzen, geborgter Riffs und ähnlicher Textideen. Vielleicht hielten sie es anfangs deshalb für legitim, einen ähnlich freien Handel zu betreiben und sich ein Riff hier (›Dazed And Confused‹) oder einen Zweizeiler dort (›Since I’ve Been Loving You‹) unter den Nagel zu reißen. Page bemüht dafür in Interviews bisweilen den Begriff der „Bezugnahme“, und das meint er mit Respekt. Man muss sich in diesem Kontext auch daran erinnern, dass er als Sessionmusiker in den 60ern unablässig Bezug auf die Songs anderer nehmen musste. Der Unterschied war, dass die Zeppelin-Songs mit direkten Bezügen, etwa ›Whole Lotta Love‹ oder ›Babe I’m Gonna Leave You‹, auf Alben waren, die sich millionenfach verkauften. Deshalb klopften auch Jahrzehnte später noch alle, von Willie Dixon über Anne Bredon bis zu Howlin’ Wolf, an ihre Tür und verlangten Tantiemen sowie Autorencredits – und bekamen sie auch größtenteils. Der bekannteste dieser Urheberrechtsfälle drehte sich um ›Dazed And Confused‹. Page schien mehr verärgert darüber zu sein, dass seine eigene Kreativität infrage gestellt wurde. Als das Magazin Musician ihn zur Ähnlichkeit mit Jake Holmes’ Original befragte (das Page mit den Yardbirds gecovert hatte), sagte er: „Was hat er, das Riff oder was auch immer? Ich habe Jake Holmes nicht gehört, also weiß ich nicht, worum es da geht. Normalerweise sind meine Riffs jedenfalls verdammt originell.“
Und wie steht es heute um die Coverversion? Über die letzten 20 Jahre hat sie einen großen Schritt aus der Rockmusik auf die Bühne getan. Sogenannte „Jukebox-Musicals“ sind zu einem formelhaften – und äußerst lukrativen – Weg geworden, Covers in große Shows am Broadway oder im Londoner West End zu verpacken: „We Will Rock You“ (Queen), „Jersey Boys“ (The Four Seasons), „Beautiful“ (Carole King), „Sunny Afternoon“ (The Kinks) … die Liste ließe sich endlos fortführen, und sie wird zweifellos noch länger werden. Bei dem Thema sollte man auch die etwas unheimlichen Live-Spektakel erwähnen, bei denen Hologramme toter Acts wie Frank Zappa und Ronnie James Dio Material aus ihrem eigenen Katalog „covern“. Unterdessen werden ständig Songs in Werbespots gecovert und verwendet, manchmal, weil die Künstler keine Kontrolle über die Verlagsrechte haben: ›Sweet Child O’ Mine‹ von Taken By Trees, ›Holden Slumbers‹ von Elbow usw. Als 2020 das Livestreaming an die Stelle echter Konzerte trat, gab es haufenweise virale Covers viele emotional aufgeladener Momente. Bei den Black-Lives-Matter-Protesten traf Gary Clark Jr.’s ›A Change Is Gonna Come‹ einen Nerv, ebenso wie Phoebe Bridgers’ ›If We Make It Through December‹ und Brandi Carliles ›Mad World‹ als Kommentare zur Unsicherheit in der Pandemie.
Und wo wir von Unsicherheit reden, gibt es heutzutage auch die Frage, inwieweit die Missetaten gewisser Künstler sich potenziell auf folgende Coverversionen auswirken könnten. Bis jetzt scheint
allerdings niemand, der ›Sweet Little Sixteen‹ oder ›Walk This Way‹ neuinterpretiert hat (und das waren viele), allzu große Gewissenskonflikte ob der besungenen Abenteuer von Chuck Berry oder Steven Tyler mit minderjährigen Mädchen gehabt zu haben. 60 Jahre nach ›Twist And Shout‹ ist die
Coverversion unauslöschlich in der Rockmusik verankert und ihre Zukunft scheint gesichert. So lange Musiker*innen Fans anderer Musiker*innen und Songwriter*innen sind, wird es sie geben. Und so scheint es passend, das letzte Wort dieser Einleitung einem Beatle zu überlassen. Zur Veröffentlichung von RUN DEVIL RUN, seiner Rock’n’Roll-Coverplatte von 1999, sagte Paul McCartney, er habe sich zunächst ein paar Fragen gestellt: „Welche Songs liebte ich wirklich? Welche Songs sind fest in meinem Gedächtnis verankert? Welche sind die wirklich schönen Erinnerungen aus meiner Teenagerzeit? Ich versuchte, meine Liebe zu ihnen zu vermitteln, diese Freude dabei, diese Nummern zu spielen. Und jeder, der Rock’n’Roll liebt, liebt es, diese Songs zu spielen.“
Hier noch ein Beitrag von mir: Marianne Faithfulls Version von John Lennons „Working Class Hero“ von ihrem Album „Broken English“ (1979). Großartig – weil völlig anders als das dylaneske Original. Eine düstere, stampfende Rocknummer, passend zum depressiven Text.
Ich dachte immer nur Lennon selbst könne diesen fantastischen Song (für mich sein bester aus der Solo-Zeit, besser als das etwas zuckrige „Imagine“) richtig bringen, aber Faithfulls Interpretation, die sich völlig vom Original löst, ist genauso gut.