Für Keifer habe nie eine Alternative zum aktiven Musikerdasein existiert, woraus seine unablässige Entschlossenheit entsprang, an seiner Krankheit zu arbeiten. „Die Frage, was ich sonst in meinem Leben machen könnte, habe ich mir nie wirklich gestellt. Und das ist vermutlich auch der Grund, warum ich nie aus dem Ring gestiegen bin“, so Keifer. „Mein Zustand ist neurologischer Art, deshalb gibt es dafür keine wirklichen Behandlungsmöglichkeiten. Trotzdem hatte ich insgesamt sechs OPs. Diese sollten aber nicht die Lähmung, sondern die daraus entstandenen Schäden beheben. Ich habe mir meine Stimmbänder zerstört, weil es so schwierig ist, trotz meiner Behinderung zu singen. Das nenne ich meine Kollateralschäden. Die meisten Leute, die dieselbe Diagnose bekommen, können nie wieder singen. Es gibt keine exakte Methode dafür.
Grundsätzlich muss man aber mit der Hilfe von Logopäden, Stimmbildnern und Gesangslehrern den Stimmbändern erneut beibringen, wieder richtig zu funktionieren. Ich werde also immer diese Schwäche besitzen“, so Keifer über sein chronisches Leiden. Um dieses doch noch zu beheben, wagte er in den 00er Jahren nach unzähligen Behandlungen einen für Sänger experimentellen Eingriff, der mehr als schief ging und für Keifer auch hätte schlimm ausgehen können. „Aus dieser einen OP wurden am Ende sogar zwei. Das war damals ein verzweifelter Versuch, die tatsächliche Lähmung zu korrigieren und so mein Leben zu verändern. Doch na ja, das haben sie noch nicht so ganz im Griff“, erklärt Keifer und lacht auch diesen Rückschlag beiseite. „Derartige Eingriffe können nur helfen, die Sprechstimme wiederherzustellen, nicht aber die Komplexität einer Gesangsstimme.
“Den richtigen Ton zu treffen, ist für mich manchmal, als müsste ich eine Nadel einfädeln.”
So verschlimmerte das Ganze meine Verfassung erneut und das mir injizierte Kollagen musste in einer Notoperation wieder entfernt werden, da es ansonsten mein Stimmband vollständig gelähmt hätte“, blickt er zurück. „Singen ist also noch immer anstrengender für mich, als es sich anhört oder aussehen mag. An manchen Abenden muss ich mich schon schwer bemühen. Ein Auftritt bedeutet für mich einen großen Denkprozess. Den richtigen Ton zu treffen, ist für mich manchmal, als müsste ich eine Nadel einfädeln. Und trotzdem: Meine Stimme wurde immer besser und besser und mittlerweile singe ich wieder genau so gut wie früher – wenn nicht sogar manchmal besser.“
Parallel zu seinen stimmlichen Fortschritten und dem nahenden Ende der für Keifer so düsteren Neunziger erhellte sich auch seine musikalische Karriere wieder. „1998 fanden Cinderella wieder zusammen. Ursprünglich sollte ja das bereits erwähnte, dann doch geplatzte Album entstehen, doch das Gute war, dass wir ja noch die Möglichkeit hatten, zu touren. So durften wir erfahren, dass wir noch sehr viele Fans da draußen haben, die Cinderella sehen und hören wollen. Seitdem feiern wir große Erfolge, wann immer wir unterwegs sind.“ Dass der kreative Output seiner Band ausgerechnet aus juristischen Gründen seitdem zwangsversiegt ist, stimmt Tom Keifer keineswegs wütend. „Mich persönlich stört es nicht im Geringsten. Ich liebe es noch immer, die alten Songs zu spielen. Ich habe so schöne Erinnerungen an die Zeit, als wir sie aufnahmen und als sie zu Hits wurden. Ganz ehrlich, wenn wir da raus gehen, diese Songs spielen und das Publikum durchdreht, fühlt es sich immer ein wenig wie in den Achtzigern an. Daran ist für mich wirklich nichts Enttäuschendes zu erkennen“, so Keifer.
Für die Fans, von denen sich doch einige nach einem fünften Cinderella-Album sehnen, tut es ihm aber durchaus leid: „Ich weiß, viele Leute würden das gerne hören, aber es liegt nicht in unseren Händen. Wenn sich die richtige Gelegenheit bieten würde, würden wir liebend gerne eine neue Platte machen, aber es geht eben einfach nicht.“ Und noch weitere beruhigende Worte findet der stimmlich neugeborene Frontmann. Gerüchte, denen zu Folge Keifers Soloausflug das Ende von Cinderella bedeuten könnte, weiß er entschlossen zu dementieren: „Ich werde die Band auf keinen Fall verlassen. Es ist einfach eine Platte, die ich gemacht habe. Nichts weiter“, erklärt er und unterstreicht seine Aussage mit entschlossenem Schweigen. Dann erklärt er weiter, dass sie sich mit Cinderella für dieses Jahr zwar aus dem Tourgeschäft heraushalten würden, dies aber nur eine nötige Verschnaufpause sei, nachdem sie die letzten drei Jahre unterwegs waren: „Wir haben beschlossen, 2013 eine Auszeit zu nehmen. Deshalb ist jetzt auch der richtige Zeitpunkt für THE WAY LIFE GOES.“
Auf seine erste Single-Auskopplung ›Solid Ground‹ angesprochen, wird er dann auch noch mal tiefgründig. Ob er den darin besungenen festen Boden unter den Füßen nun erreicht habe, kann er nicht bestätigen. Zudem wolle er das auch gar nicht: „Ähm nein, habe ich nicht“, gesteht er und lacht. „Ich glaube, an diesen Ort wird nie jemand wirklich gelangen. Und genau darum geht es in dem Lied. Alle streben immer nach der einen Sache, die uns das Gefühl gibt, angekommen oder vervollständigt zu sein. Je länger ich nun dabei bin, umso mehr wird mir klar, dass es nicht so ist. Das Leben wird immer nur so dahin rasen und sich verändern. Unsere Aufgabe ist es, Schritt zu halten und damit klarzukommen.“