Ein Konzert-Meilenstein, der die Branche umdenken ließ.
Ob LIVE AT LEEDS tatsächlich der „beste Konzertmitschnitt aller Zeiten“ ist, wie Pop-Kulturkritiker Nik Cohn in seiner Kolumne in der New York Times einst behauptete, dürfte eine Frage des Geschmacks, der Generations-Zugehörigkeit und musikalischen Sozialisation sein. Wer die wunderbar wandelbare britische Rocklegende The Who mit ihren vier exzentrischen Individuen mag oder gar verehrt, wird Cohns Superlativ wohl ohne Weiteres zustimmen können. Allzu viele Vergleichs-beispiele gab es nicht, als LIVE AT LEEDS am 23. Mai 1970 in England in ungewöhnlicher Aufmachung erschien: in einem schlichten Karton mit Stempelaufdruck und per Hand bekritzeltem Label. Diverse Faksimiles enthielt das Innere des Ausklappco-vers: Ein Foto aus der MY GENERATI-ON-Session, handgeschriebene Texte von ›Listening To You‹, eine Rechnung für Rauchbomben, eine Vertragsabsage der Firma EMI sowie ein Poster mit Pete Townshend beim Windmühlenschlag auf einer Rickenbacker. Ungewöhnlich opulente Beigaben also für eine Konzertaufzeichnung – ein Medium, das bis Ende der 60er Jahre mehr oder minder als beiläufiges Souvenir galt.
Erst die Underground-Szene belehrte die trägen Platzhirsche der Major-Plattenfirmen eines Besseren, als eine ganze Reihe relativ hochwertiger Boot-legs auf dem schwarzen Markt er- kleckliche Verkaufszahlen erzielten. Allen voran ein Live-Werk in astreiner Stereoqualität: LIVER THAN YOU’LL EVER BE von den Rolling Stones, mit-geschnitten vom Mischpult beim Oakland-Gig der US-Herbst-Tournee 1969. Allzu lange fackelten die Stones mit einer Gegenreaktion: GET YER YA YA’S OUT folgte erst im September 1970 – vier Monate nach den cleveren Londoner Ex-Mods. Damit galten The Who erneut als innovative Schrittmacher, und das nicht mal ein Jahr nach-dem sie mit der konzertanten Rock-Oper TOMMY ebenfalls Neuland betreten hatten.
Alles in allem sechs Tracks enthielt das Original, das fulminant mit einer hartmetallischen Version von Mose Allisons unverwüstlichem Klassiker ›Young Man Blues‹ auf der A-Seite startete und in einem rüdem Marathon-Inferno endete: Einer auf 14 Minuten erweiterten Version von ›My Genera-tion‹ folgte eine nicht minder wüste Reise im ›Magic Bus‹. Quan-ten-sprungartige Technik machte es möglich: Aus der scheppern-den Beat-Band von einst waren Hard-Rock-Pioniere geworden. Natürlich hatten The Who im Februar 1970 in der Leeds University mehr als sechs Songs gespielt, doch es dauerte immerhin bis 1995, als Who-Intimus und Klangzauberer Jon Astley eine er- weiterte Version mit 14 Tracks vorlegte. Nochmal sechs Jahre gingen ins Land, bis auf der Deluxe Edition erstmals auch der einst ausgeklammerte, vollständige TOMMY-Einschub er- schien.
Für LIVE AT LEEDS 40TH ANNI-VERSARY SUPER-DELUXE COLLEC-TORS EDITION wurden einmal mehr die Archive geplündert: Auf sechs CDs findet sich nicht nur die bekannte Version, sondern noch ein weiterer Konzertmitschnitt von der gleichen Tour: LIVE AT HULL. Hinzu gesellt sich ein 2010-Remix von LIVE AT LEEDS. Ferner finden sich in der Hardcover-Box eine Replika der originalen Vinyl-LP mit sämtlichen Beigaben, eine 45er Single mit ›Summertime Blues‹/›Heaven And Hell‹, ein 64-seitiges Buch sowie ein Tournee-Poster. In Sachen Ausstattung gewiss das letzte Wort in Sachen LIVE AT LEEDS, das den Geldbeutel allerdings auch nicht gerade schont.