Schweinerock aus Neuseeland, Visual Kei aus Japan, Indie aus Malta, Flamenco-Hardrock aus Gibraltar oder Death Metal aus Polen – die Welt der Gitarrenmusik ist so globalisiert, dass man sich schon wirklich bemühen muss, um einen Exotenbonus für sich reklamieren zu können. Bei einer Band aus dem Mittleren Osten horcht man allerdings wirklich neugierig auf.
Denn man mag so einiges mit der Kultur des Morgenlandes verbinden: Rockmusik gehört ganz sicher nicht dazu. In diversen Ländern der islamischen Welt sind westliche Klänge nicht willkommen, die Taliban wollen gar Musik als solche verbieten. Wer sich also ausgerechnet dem amerikanischsten aller Genres verschreibt, macht sich das Leben nicht einfach.
The Kordz kommen immerhin aus dem Libanon, jenem kleinen Flecken am Ostrand des Mittelmeers, der einst als die Schweiz der arabischen Welt galt und durch seinen bunten Mix aus Sprachen, Kulturen und Religionen seit jeher zu den liberalsten Ländern dort zählte. Einfach hatten es Frontmann Moe Hamzeh und seine Jungs dennoch nicht. Moe: „Wir haben’s wirklich nicht leicht ge-habt. Alles ist ein Kampf, wenn du bei uns in einer Rockband bist. Das geht schon mit den Eltern los, denn man kann nicht damit rechnen, von seinen Leuten unterstützt zu werden. Natürlich werde ich in meiner Familie als schwarzes Schaf angesehen. Und das nicht mal, weil es sich um Rock handelt. Hier im Libanon wird Musik generell nicht so ge-schätzt, man genießt also als professioneller Musiker so oder so kein großes Ansehen.“
Die Leidenschaft jedoch ließ keinen anderen Weg zu, denn Rock’n’Roll ist für Moe weit mehr als nur ein Lieblingsgenre. Sie ist Therapeut, Fluchtpunkt, Lebensretter. „Ich bin im Bürgerkrieg aufgewachsen und habe die schlimmsten Sachen erlebt. Damals gab es nur Radio, aber wir konnten westliche Sender empfangen. Rock repräsentierte die Realität des Kriegs einerseits am besten, doch das war auch die einzige Musik, mit der man das Getöse einschlagender Raketen und explodierender Bomben einigermaßen übertönen konnte. Das war der einzige Weg, nicht völlig durchzudrehen und vom Krieg aufgefressen zu werden.“
Das Kriegsende ließ nicht nur Land und Leute wieder aufblühen, es brachte für Moe auch ungeahnte Möglichkeiten. Zum Beispiel ein Studium an der amerikanischen Universität von Beirut – der Katalyst für alles, was heute die Kordz ausmacht. „Ich verdanke dieser Uni wirklich verdammt viel. Das war der einzige Ort, an dem man mit moderner Rockmusik in Berührung kommen konnte, vor allem aber der einzige Ort, wo man nicht der einzige war, der darauf abfuhr. Ich lernte dort die Leute kennen, mit denen ich die Band gründete, und das war der Startpunkt für uns.“ Zunächst trat man als reine Coverband auf, doch es dauerte nicht allzu lange, bis der Wunsch reifte, seine Vorbilder nicht nur nachzuahmen, sondern es ihnen gleichzutun. „Und das ist hier im Libanon eigentlich unmöglich. Es gibt keinerlei Infrastruktur, keine Szene, die Gesellschaft ist dafür einfach noch nicht weit genug. Du musst einfach alles selbst machen.“
Doch die Leidenschaft der Kordz war nicht zu bremsen, mühsam, aber stetig ging es aufwärts, bis 2005 die Single ›Last Call‹ erschien – und zum überregionalen Hit wurde. „Das war eine tolle Zeit. Die Leute hörten das Lied und gingen davon aus, dass es von einer Band aus dem Westen stammen musste. Als sie hörten, dass wir Libanesen sind, konnten sie es kaum glauben. Durch dieses Lied wurde man schließlich auch im Ausland auf uns aufmerksam, und wir knüpften endlich Kontakte nach draußen.“
Dass man sich in dieser Region aber nie in Sicherheit wiegen sollte, erfuhren die Kordz nur zu schmerzhaft, denn gerade als man mit westlicher Hilfe das Debütalbum in Angriff nehmen wollte, nahm die israelische Invasion 2006 ihren Lauf. „Das hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Alles war vorbei, einige Mitglieder mussten das Land verlassen, ich dachte, die Band sei ein für alle Mal am Ende. Ich hatte aufgegeben, aber es dauerte nicht lange, bis das Feuer in mir wieder brannte. Ich konnte nicht ohne die Musik weiterleben und beschloss, es noch mal zu versuchen.“
Fast sechs Jahre später kann man es nun endlich in den Händen halten, das Debütalbum der Kordz namens BEAUTY & THE EAST. Der Grammy-Preisträger Ulrich Wilde saß an den Reglern, am Schlagzeug half kein Geringerer als Jeff Burrows aus – ein perfekter Wegbegleiter, denn bei seiner Stammband The Tea Party zeigte der Kanadier, welch ekstatische Höhen die Verbindung aus gutem altem Rock und orientalischen Klängen erklimmen kann. Wer nun aber eine in exotischen Frequenzen schwelgende Art von ätherischem Muezzincore erwartet, wird enttäuscht sein. Sicher, wo The Kordz ihre Wurzeln integrieren, wird man von ungewohnten Klangfarben verzaubert, die sich aber nur stellenweise in den Vordergrund drängen. Vor allem zelebrieren Moe und seine Mannen den Rock der härteren Gangart, wie er in den 90ern dominierte und seither nie von der Bildfläche verschwand. Die elegische Wucht von Soundgarden, das morbid-dynamische Faszinosum von Layne Staleys Gesang, verspielte Artrockpassagen à la Led Zep oder einfach nur munter galoppierende Feelgood-Hämmer ergeben einen euphorisierenden Mix, der doch tatsächlich schon jetzt Ansprüche auf den Titel des bemerkenswertesten Rockalbum des Jahres erheben darf. Und zwar ganz ohne einschränkende Attribute wie „für eine Band aus einem Entwicklungsland“ oder Ähnliches. Exotenbonus? Haben The Kordz nicht nötig.
Dafür haben sie umso mehr zu sagen – was bei der bewegten Lebensgeschichte der Mitglieder kaum verwundern dürfte. Im Kontext ihrer Herkunft haben Textzeilen wie „give me more free love and beer“ schließlich schon einigen Zündstoff zu bieten, und wer noch direkter fragt, wie die selbsternannten Gralshüter der Moral es sich anmaßen können, zu entscheiden, wer in die Hölle und wer in den Himmel wandert, riskiert damit wesentlich mehr als empörtes Gejammere vom rechten Rand der US-Christenfundis. Was also steckt nun hinter jenem Albumtitel, der auf den ersten Blick nicht allzu einfallsreich klingt? „Das ist eine Botschaft in zwei Richtungen. Zum einen in unsere eigene Gesellschaft. Den Menschen in unserer Kultur wollen wir sagen, dass wir anerkennen müssen, dass es Probleme hier gibt, die wir nur lösen können, wenn wir offen darüber reden. Und dass es nichts bringt, für alles immer nur dem Westen die Schuld zu geben, denn damit macht man es sich viel zu einfach.
Doch auch nach draußen wollen wir etwas sagen, denn bei euch im Westen haben viele ein falsches Bild von unserem Land. Wer Libanon hört, denkt nur an Krieg, Gewalt, Fanatismus, Intoleranz. Dabei ist das ein wunderschönes Land hier, mit unglaublich warmherzigen, aufrichtigen Menschen, die sich freuen, wenn man ohne Vorurteile auf sie zugeht. Und es sind Menschen, die viel durchgemacht haben. Wir leben hier in ständiger Angst vor dem Morgen. Aber genau deswegen liebt man das Leben hier umso intensiver. Im Libanon erheben wir uns immer wieder aus dem Schutt und machen weiter. Es gibt viel Positives hier, viel Energie, viel Hoffnung. Und ich glaube weiterhin, dass Menschen im Grunde ihres We-sens gut sind.“
Dieser Glaube hat es Moe ermöglicht, trotz aller Entbehrungen, Rückschläge und Gefahren seinen Traum zu verwirklichen. Er durfte schon für Größen wie Placebo, Deep Purple oder Robert Plant eröffnen. Nun ist die Zeit gekommen, um selbst in die Oberliga aufgenommen zu werden. Denn selten hat es wohl eine Band so sehr verdient wie The Kordz.