Sie waren eine der größten Rockbands der Neunziger – bis sie an ihren Egos, ihren Exzessen und ihrer Experimentierfreude scheiterten. Neun Jahre später versuchen es Scott Weiland & Co. erneut: mit vielen guten Vorsätzen, aber auch bizarren Anwandlungen, welche die Halbwertszeit des Unterfangens mit einem dicken Fragezeichen versehen.
Text: Marcel Anders
Laut ihrer Plattenfirma ist es die Sensation des Jahres: STP, wie sie sich selbst abkürzen, veröffentlichen das erste Album seit ihrem Totalflop Shangri-La Dee Da von 2001. Was die Labelbosse zu blumigen Vergleichen wie „die Led Zeppelin des Grunge“ oder „eine der letzten großen amerikanischen Rockbands“ verleitet. Da-bei – und das wird geflissentlich unterschlagen – handelt es sich bei dem Quartett aus Sänger Scott Weiland, den Gebrüdern DeLeo (Gitarre/Bass) sowie Drummer Eric Kretz um ein unkontrollierbares Pulverfass, das jederzeit explodieren könnte. Und dass nur deshalb ein neues Album veröffentlicht, weil es durch Knebelverträge aus den frühen Neunzigern dazu verpflichtet ist.
Denn dass diese Reunion, die 2009 als kurze One-Off-Tour zur Aufbes-serung der eigenen Rente gedacht war, nichts Langfristiges hat, verdeutlicht allein ein Besuch bei Frontmann Scott in Los Angeles. Der 42-jährige Berufsweirdo bewohnt ein unscheinbares Ein-Familienhaus in einer gutbürgerlichen Gegend von Sherman Oaks (Einheimische sprechen vom „Valley“). Vor der Tür parkt eine schwarze Limousine aus Benztown, und das Innere wirkt, als hätte ein durchgeknallter Beverly Hills-Designer die Inneneinrichtungen von David Beckham und Ozzy Osbourne kombiniert: Rockstar-Devotionalien zu grauer Seidentapete, piekfeinen, schwarzen Möbeln, silbernen Vasen sowie Kristall-Kronleuchter. So behaglich wie ein Gefrierfach – aber passend zu einem Menschen, der jeden Sinn für die Realität verloren hat. So lässt er den Besuch aus Deutschland erst mal drei Stunden vor der (geschlossenen) Haustür warten, empfängt dann in seinem Schlafzimmer, wo er vor einem Laptop sitzt, einen Kübel Naturjoghurt löffelt und zig Telefonate mit seiner Ex führt („Ja Schatz, ich nehme die Kinder heute Abend – aber wer bringt sie morgen zurück?“). Die Krönung ist jedoch ein spiritueller Berater namens John, dessen Anwesenheit beruhigend auf seinen Klienten wirken soll – dabei tut er nichts anderes, als in der Küche fernzusehen, über seine übrigen Rock’n’Roll-Kunden wie Steven Tyler und Slash zu sinnieren und die Vorzüge seines Porsches zu preisen. Scheinbar eine lohnenswerte Profession – die der gute Scott bitter nötig hat.
Denn der erklärt mit unglaublicher Arroganz und bar jedem Realitätssinn, wie toll heute alles wäre, dass man sich besser verstünde als je zuvor, und er einfach reifer und weiser geworden sei. Dass sie tatsächlich nur deshalb wieder zusammengefunden haben, weil sie einer Ein-Million-Dollar-Offerte des Coachella-Festivals nicht widerstehen konnten, bleibt ebenso unreflektiert wie Scotts Rausschmiss bei Velvet Revolver, wo er sich dermaßen daneben benommen hat, dass ihm Drummer Matt Sorum, einer der friedlichsten Typen überhaupt, handfeste Prügel angedroht hat. „Er hat mir vorgeworfen, ich wäre zu sehr mit meinen eigenen Dingen beschäftigt und würde dadurch die gesamte Band zum Stillstand bringen. Was ich mir wirklich nicht sagen lassen muss. Ich habe schließlich 40 Millionen Platten verkauft und kenne das Geschäft in- und auswendig. Deswegen habe ich von der Bühne weg meinen Abschied erklärt – und sie einfach stehen lassen. Wie einst David Bowie die Spiders From Mars.“ Eine Vorgehensweise, über die Slash noch heute flucht wie ein Rohrspatz.
Gleiches könnte auch den Stone Temple Pilots jederzeit passieren. Denn wenn Scott mit etwas unzufrieden ist oder er andere – sprich: bessere – Pläne hat, dann zählen hochheilige Versprechen so viel wie bei der gelb-schwarzen Bundesregierung. Scott ist schlichtweg unberechenbar.
Doch vorerst bemüht er sich zumindest um den schönen Schein und trägt seinen Beitrag zur Wiederbelebung von STP bei. Eine Reanimation, die im Grunde ein kompletter Umbau ist. Denn was einst Post-Grunge, Alternative-Rock oder was auch immer war, ist heute ganz klar im Classic Rock angesiedelt, bezieht sich auf Aerosmith, Beatles, Led Zep, Roxy Music nebst Stones, und klingt genau so, wie man es von vier gestandenen Fourty-somethings erwarten würde, die den Nirvanas und Soundgardens dezent entwachsen sind. Was Weiland, nie bescheiden in seiner Selbstdarstellung, vor allem an den Texten des Vierers festmacht. Da geht es nicht mehr um seinen Kampf gegen den Drogen-Dämon, dem er trotz Gefängnisaufenthalten, Scheidungen und Dutzenden von Reha-Aufenthalten nicht entkommen kann, als vielmehr (weil er seit sechs Jahren clean ist) um abstrakte Verbal-Kunst. „Ich musste etwas Neues probieren – eben um mich selbst zu inspirieren und um inspirierte Musik zu schaffen. Also habe ich eine Menge Dylan und Cohen gehört – echte Geschichtenerzähler. Dabei wurde mir klar, dass nicht jeder Song von mir handeln muss, sondern es kann auch mal eine Allegorie oder eine Metapher sein. Und manchmal ist es, wie Lennon gesagt hat: „Wenn du eine starke Melodie hast, setz ruhig mal ein paar Worte zusammen, die phonetisch gut klingen – auch, wenn sie keine große Botschaft haben.“ Was ja auch bei einigen Beatles-Songs der Fall ist. ›I Am The Walrus‹ ist zum Beispiel ein cooler Groove, in den Lennon einfach ein paar Worte eingestreut hat, die gut klingen.“ Und in dieser Liga spielt er heute – zumindest nach eigenem Empfinden.
Schließlich ist Stone Temple Pilots, das Comebackalbum, für ihn eine todsichere Nummer eins in den Billboard-Charts, die kommende Welttournee findet im Rahmen gigantischer Festivals statt, und nebenbei versucht er sich noch als Buchautor sowie Mode- und Musikmogul. Seine Autobiografie soll im Herbst erscheinen und „tiefe Einblicke“ in sein bewegtes Leben bieten. Seine Modelinie, die sich an klassischen britischen Anzügen der Sechziger und Siebziger orientiert, ist im US-Kaufhaus Nordstrom erhältlich, und sein Label „Softdrive“
veröffentlicht obskure Indie-Bands sowie die chronisch erfolglosen Solo-Ausflüge seines Besitzers. Der sich davon aber kaum beeindrucken lässt. Im Gegenteil: Er plant bereits den dritten Alleingang, den er im Spätsommer realisieren will. Und der STP-Fans tiefe Sorgenfalten bereiten dürfte: „Es ist ein Weihnachtsalbum – mit Jazz-Orchester und Standards wie ›Fly Me To The Moon‹ oder ›Funny Valentine‹. Denn das ist die Art von Musik, die ich liebe. Und ich stehe auf Weihnachten. Auch wenn die letzten Festtage eher traurig waren. Eben wegen meiner Scheidung und dem Tod meines Bruders. Aber ganz allgemein empfinde ich das als etwas sehr Positives. Denn es bringt Hoffnung, Erneuerung, wäscht Dinge rein. Deshalb wird das mein nächstes Solo-Album.“
Worüber Robert DeLeo, den Classic Rock zwei Tage später im mondänen Casa Del Mar-Hotel in Santa Monica trifft, nur müde lächeln kann. „Scott ist ein absoluter Chaot. Er fängt tausend Sachen an, führt aber keine einzige davon konsequent zu Ende. Deswegen ist er ständig damit beschäftigt, einen Brand nach dem anderen zu löschen, was ihn unglaublich viel Zeit und Energie kostet. Nur: Er lässt sich eben auch von niemandem helfen. Und das war schon immer so.“ Weshalb er über Scotts „spirituellen Berater“ nur die Augen verdreht, eine Mischung aus Mitleid und Unverständnis für seinen Sänger äußert, und dann eine Frage stellt, die dem Verfasser dieser Zeilen glatt die Schuhe auszieht: „Sag mal, wie sieht es eigentlich bei Scott zu Hause aus?“ – „Wie bitte?“ – „Ja, mich hat er noch nie zu sich eingeladen.“ – „Aber ihr spielt seit 24 Jahren in derselben Band?“ – „Das heißt nicht, dass wir auch privat miteinander zu tun hätten. Wir sehen uns nur dann, wenn es absolut nötig ist – nämlich, wenn wir unserem Job nachgehen.“ Womit der 44-jährige Bassist das Kollektiv STP ganz klar als Zweckgemeinschaft ortet.
Als Zusammenschluss von vier Individuen, die alleine nicht so erfolgreich sind wie im Verbund. Und die genau das verstanden haben – auch, wenn sie sich ansonsten nicht viel zu sagen haben. „Du kannst mir glauben: Über die Jahre gab es zig Situationen, in denen ich ihn am liebsten erwürgt hätte“, so Robert. „Einfach, weil er ein unglaubliches Arschloch sein kann. Nur: Ohne ihn sind wir halt nicht STP, es herrscht nicht dieselbe Chemie, und wir schreiben nicht dieselbe Art von Songs. Das ist die traurige Realität – und mit der muss sich jeder von uns arrangieren.“
Was ihm, der heute in Huntington Beach lebt, nicht immer leicht fällt. Nur: Die letzten Jahre – ohne Scott – waren für den baumlangen und unglaublich netten Familienvater eben alles andere als leicht. Bandprojekte wie Talk Show oder Army Of Anyone (mit Richard Patrick von Filter) endeten bereits nach einem einzigen Tonträger. Tourneen mit Joe Walsh dienten eher dem privaten Vergnügen, und als Songwriter für Ozzy, Aerosmith, Pink und Peter Frampton hat er nie den ganz großen Wurf gelandet. „Was aber nicht nur an mir liegt“, setzt Robert an. „Bei Ozzy war es zum Beispiel so, dass mich sein A&R um drei Balladen gebeten hat, die ich Ozzy dann in einem Studio in Los Angeles vorspielen sollte. Doch er kam rein, hörte sich das einmal kurz an und machte auf dem Absatz kehrt: „Mann, ich brauche Rocksongs, keine verfluchten Balladen. Ich fahre jetzt nach Hause – aber du bleibst hier und schreibst mir was Vernünftiges.“ Das war mir unglaublich peinlich. Genau wie meine erste Begegnung mit Aerosmith, die mich nach Boston einfliegen ließen, damit ich ein paar Songs mit ihnen schreibe. Aber ich war zu überwältigt von der ganzen Situation, mit meinen Helden zu arbeiten – und das auch noch bei ihnen zu Hause. Ich fühlte mich total gehemmt und habe nicht wirklich viel auf die Reihe bekommen.“
Deshalb konzentriert sich Robert, der nach eigenem Bekunden genug Geld mit STP verdient hat, um sich bis ans Ende seiner Tage keine finanziellen Sorgen machen zu müssen, hauptsächlich auf die Arbeit mit Nachwuchsbands. Und zwar in seinem eigenen Studio namens „Homefried“, das sich im Keller seines Hauses befindet, und angeblich höchsten Ansprüchen genügt: „Ich habe da alles, was man braucht – und noch viel mehr.“ Etwa eine riesige Auswahl an Vintage-Equipment, das der leidenschaftliche Sammler über die Jahre zusammengetragen hat, und ihn ein stattliches Vermögen gekostet hat. „Was soll ich machen? Ich bin verrückt nach Musik, und zwar seit jenem Morgen Mitte der Siebziger, an dem ich zum ersten Mal Led Zep gehört habe. Das war ein Moment, den ich nie vergessen werde. Denn es hatte etwas Magisches – es war, als ob sich bei mir mehrere Türen zu einer neuen Welt geöffnet hätten. Mein Leben ergab erst ab diesem Zeitpunkt richtig Sinn. Anschließend habe ich dann Elton John, die Who, die Beatles, die Stones und natürlich Aerosmith entdeckt. Seitdem gibt es für mich nichts anderes – das ist alles, was ich in und mit meinem Leben machen möchte. Leider scheine ich dabei von Leuten abhängig zu sein, die unzuverlässig sind und die mich ein ums andere Mal enttäuschen. Nur: Dagegen kann ich nichts tun, sondern muss irgendwie damit leben.“
Was eine unverhüllte Anspielung auf seinen neuen-alten Frontmann ist und zu der alles entscheidenden Frage nach der Halbwertszeit dieses Comebacks führt: Wie lange gibt er sich und den anderen bis zum nächsten großen Knall? „Das kann ich nicht beantworten. Einfach, weil sich das nicht genau bestimmen lässt. Wer weiß schon, wann Scott seinen nächsten Ausraster hat und ihm andere Dinge wichtiger sind als die Band? Das könnte schon morgen der Fall sein – und es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten. Insofern müssen wir immer darauf gefasst sein, dass von einer Sekunde auf die andere wieder alles ganz anders sein kann und wir wieder ohne ihn dastehen und uns überlegen müssen, wie es weitergeht. Aber: Darin haben wir mittlerweile eine gewisse Erfahrung. Und es wird sicherlich nicht noch einmal so weit kommen wie 2002, als wir uns regelrecht geprügelt haben. Wir wissen diesmal nur zu gut, worauf wir uns einlassen. Und wir genießen jeden Moment, den es hält.“
Wozu auch die erste Welttournee seit 14 Jahren zählt, zu der sie Mitte Juni aufbrechen, und auf die sich gerade Robert, sein älterer Bruder Dean und Drummer Eric freuen wie kleine Kinder: „Seien wir ehrlich: Ich hätte nie gedacht, dass ich es als Musiker überhaupt noch mal nach Europa schaffe – und dann noch auf so große Festivals und Bühnen! Das ist wirklich ein Traum. Ich werde ihn in vollen Zügen genießen. Jede einzelne Minute davon. Und das kann mir niemand nehmen. Nicht einmal irgendein Verrückter, der gar nicht weiß, was er an uns und dieser Band hat.“
Ein Seitenhieb, der alles sagt: STP 2010 sind keine Band im klassischen Sinne, sondern eine Zweckgemeinschaft, aus der jeder Beteiligte seinen ureigenen Nutzen zieht. Und zwar nicht langfristig, sondern einzig für den Moment. Für das Hier und Jetzt. Genießt es, so lange ihr könnt…