In einer über 30 Jahre währenden Karriere haben die Simple Minds alles erreicht, was es zu erreichen gab. Zeit für einen Blick zurück mit dem Liebenswert gelassenen Frontmann Jim Kerr.
Echte Fans, Komplettisten und Nostalgiker reiben sich angesichts solcher Veröffentlichungen frohlockend die Hände. Ganz unscheinbar „X5“ betitelt, kredenzen uns die langlebigen Schotten hier ein feines Boxset, in dem ihre ersten fünf Alben komplett remastered und mit üppigem Bonusmaterial zurück in die Plattenläden (für all jene, die in Städten leben, in denen es so was noch gibt …) finden. Also LIFE IN A DAY, EMPIRES AND DANCE, REAL TO REAL CACOPHONY, SONS AND FASCINATION + SISTER FEELINGS CALL und NEW GOLD DREAM (81-82-83-84), das Quintett, das von 1979 bis 1983 die Aufwärmphase vor dem großen Durchbruch dokumentierte. Fünf Alben, die eine Entwicklung nachzeichnen, wie sie heute den meisten Bands nicht mehr gegönnt ist. Jim Kerr bestätigt: „Es ist schon erstaunlich, wie viele Bands heutzutage nach ein, zwei Alben wieder von der Bildfläche verschwinden. Sieh dir an, was mit Franz Ferdinand oder Glasvegas passierte. Erst sind sie das größte Ding auf dem Planeten, dann sind sie wieder weg vom Fenster.“ Als Zeichen unserer schnelllebigen Zeit will er das aber nicht abtun. „Klar, man ist heute immer auf der Suche nach was Neuem und gibt Bands nicht mehr die Zeit, sich zu entwickeln. Andererseits müssen sich diese Leute auch die Frage stellen, ob sie genug im Köcher hatten, um langfristig relevant zu bleiben. Hör dir unsere ersten fünf Alben an, und du wirst feststellen, dass keines wie das andere klingt.“
Vor allem aber klingen sie immer noch relevant – was Teil der Motivation hinter dem Rerelease war. „Wir hatten jahrelang Probleme mit unserem Label EMI. Diese sind nun zum Glück gelöst, und wir fanden, es war an der Zeit, diese Platten auch jüngeren Fans zugänglich zu machen, schließlich war unser Backkatalog fast zehn Jahre lang nicht wirklich vermarktet worden. Doch der Hauptgrund ist, dass wir diese alten Sachen selbst wieder entdeckt haben. Wir hatten einige der frühen Stücke in unser Live-Programm auf-genommen und dabei festgestellt, dass sie sich eigentlich noch sehr gut behaupteten. Wir waren selbst überrascht, dass das noch frisch und nicht total veraltet klang. Was uns dann auf sehr schöne Weise bestätigt wurde, als uns irgendwann ein Roadie fragte, was das denn für ein tolles neues Lied ge- wesen sei, das wir da gespielt hätten. Er hatte keine Ahnung, dass es sich um eines unserer ältesten Stücke handelte, und das brachte unser Gefühl auf den Punkt. Das weckte in uns den Hunger, wieder an diesen Sachen zu arbeiten.“
Wichtig für Jim war allerdings, nicht in der Vergangenheit zu versinken. „Wir hatten noch nie übermäßiges Interesse an Nostalgie und haben immer Wert darauf gelegt, nach vorne zu blicken und neue Horizonte anzusteuern. Also haben wir erst an neuem Material gearbeitet, bevor wir uns diesem Projekt zuwandten.“ Ein bisschen in Erinnerungen schwelgen war dann aber doch gestattet. „Na ja, wenn du so lange dabei bist wie wir, ist es unvermeidbar, mal ein bisschen sentimental zu werden. Und wir mögen unsere Geschichte, mit all ihren Höhen und Tiefen. Wir haben nie vergessen, was für ein großes Glück es ist, dass wir überhaupt eine Geschichte haben! Als wir damals anfingen, konnten wir uns nicht mal ansatzweise vorstellen, was uns dann widerfuhr. Im Dezember 1978 unterschrieben wir unseren ersten Plattenvertrag, und das war ein monumentales Ereignis für uns. Niemand in Glasgow hatte das je geschafft, und da kamen Leute, die Patti Smith oder Iggy Pop gesignt hatten, und hatten genug Vertrauen in uns, um uns eine Chance zu geben. Wir wollten einfach nur Musik machen und davon leben, und das haben wir geschafft. Das war wie ein Lottogewinn. Es ist eine verdammt schöne Ge- schichte, und wir werden ihr sicher noch ein paar Kapitel hinzufügen.“
Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass umfassende Passagen dieser Biografie, vor allem nach den Superstar-Jahren der Achtziger, nicht nur erfreulich waren. Vor allem die britische Presse hatte sich in den Neunzigern derart genüsslich auf Kerr & Co. eingeschossen und sie immer wieder zu bedeutungslosen, peinlichen Dinosauriern erklärt, dass es an Rufmord grenzte. Exemplarisch sei hier eine Rezension in der Wochenpostille NME genannt, die mit den Worten „Go away, we do not love you!“ endete. Jim jedoch nimmt es gelassen. „Weißt du, die meisten Leute, die uns verrissen haben, schreiben heute in Kirchenblättchen oder über Cricket – und wir sind immer noch hier. Aber mal im Ernst: Wenn du das so lange machst wie wir, ist das keine Karriere mehr, sondern ein Leben. Und niemand ist sein ganzes Leben lang in Hochform. Wir stehen auch keineswegs über Kritik und wissen, dass nicht jede Platte unser bestes Werk war. Aber wir kommen aus Glasgow, wir sind da nicht zimperlich und können auch mal einstecken. Jede Band, die über so viele Jahre im Geschäft ist, wird irgendwann mal fertiggemacht, das ist schon in Ordnung. Und jeder Fehler ist auch wichtig für die eigene Entwicklung. Man muss daran wachsen. Unsere allererste Kritik war absolut vernichtend, aber wir haben uns nicht davon entmutigen lassen. Und als wir damals zum ersten Mal mit Peter Gabriel auf Tour gingen, wurden wir jeden Abend ausgebuht und förmlich umgebracht. Aber es war egal, denn wir liebten Peter und er liebte uns, und wir konnten so unglaublich viel aus dieser Erfahrung ziehen. Das waren unsere Lehrjahre, in denen wir unser Handwerk lernten. Und vergessen werden wir diese Zeit nie, vor allem auch, wie wir erstmals nach Deutschland kamen. Wir fuhren mit dem Schiff nach Hamburg, allein diese Ankunft war schon überwältigend, und dann Berlin, wo wir auch Ostberlin besuchten. Alles großartige Erlebnisse.“
Doch nach wie vor befasst sich Kerr lieber mit der Zukunft, dem nächsten Schritt, und nach seinem Lostboy!-Projekt sind die Simple Minds wieder im Fokus seines Interesses. Man arbeite schon seit geraumer Zeit an neuen Stücken, immer mal drei Stücke hier, vier Stücke da, dann wieder ein paar Monate Pause. 2013 werde man wohl ein neues Album veröffentlichen, doch auch in diesem Zusammenhang erlaubt sich Jim noch mal einen Blick zu- rück: „Wir arbeiteten letzten Sommer zum ersten Mal seit 1981 wieder mit dem Produzenten Steve Hillage zusammen, was sehr interessant war. Wir er- innerten uns daran zurück, wie wir damals in einem kleinen Raum in Notting Hill saßen und an einem Album arbeiteten, während draußen Ausschrei-tungen tobten. 30 Jahre später saßen wir also wieder in einem kleinen Raum in Notting Hill, arbeiteten an einem Album, während draußen die schwersten Ausschreitungen seit Jahren die Stadt erschütterten. Was uns auf gewisse Weise vor Augen führte, dass manches eben immer gleich bleibt. So viel hat sich über die Jahre verändert, die komplette Industrie ist um uns herum zu- sammengebrochen, Technologie hat den Prozess des Musikmachens und -verkaufens umgekrempelt. Aber das, was wir machen, hat sich überhaupt nicht verändert! Ich liebe immer noch große Melodien und suche nach den schönsten Tönen, den passenden Worten dazu, dem richtigen Gefühl, und wir werden wieder damit um die Welt reisen und mit den Leuten eine schöne Zeit verbringen. Wenn wir Musik schreiben, sind wir ganz im Moment, und auch in unsicheren Zeiten wie diesen gibt uns das ein Gefühl der Beständigkeit, dass da etwas ist, auf das wir uns immer verlassen können. Und das hat sich in 30 Jahren nie geändert. Wir haben heute andere Werkzeuge, aber das Ziel ist immer noch dasselbe!“ Wie sich das Ergebnis dieses immergleichen Prozesses nun anhören wird, dazu will Jim keine konkrete Aussage machen. Nur soviel: „Es weht der Geist eben dieser frühen Alben durch die neuen Stücke. Vielleicht klingt das platt, aber das Motto für uns lautet: back to the future!“