Inspiriert von einer Dokumentation der BBC und Frank Sinatra, schrieb Biff Byford den Text zu einem Song, der bald zu einem der größten Hits und einer der größten Hymnen von Saxon werden sollte.
Der „Great Northeast Blackout“ ereignete sich am 9. November 1965. Aufgrund katastrophaler technischer Probleme waren tausende von Haushalten in Kanada und den USA 13 Stunden lang plötzlich ohne Strom. Beunruhigenderweise galt dasselbe für die Beleuchtung diverser Flughafen-Landebahnen, wodurch zahllose Flüge umgeleitet werden mussten. 14 Jahre darauf sah Saxon-Frontmann Biff Byford im Fernsehen eine BBC-Doku über das Ereignis und hatte plötzlich eine coole Songidee. Wenige Tage später war ›747 (Strangers In The Night)‹ im Kasten – bald einer der größten Hits und eine der größten
Hymnen der Band.
„Ich sah diese Doku und irgendwie hinterließ sie einen großen Eindruck bei mir“, erinnert sich Byford. „Ich hatte einen anderen Song gehört mit den Worten ‚ridin’ a 747‘, der mir nicht aus dem Kopf ging, und das schien alles ganz natürlich zusammenzukommen. Die Melodie für den Refrain fiel mir zuerst ein. Da schrieb ich dieses Arpeggio im Refrain mit ‚strangers in the night‘. Die Idee hatte ich wohl von dem [1966er] Song von Frank Sinatra – die Silben waren dieselben. Ich bin ein großer Sinatra-Fan und mag seine Phrasierungen. Als dann noch das Riff dazukam, fügte sich alles bestens zusammen.“ Saxon veröffentlichten ihr selbstbetiteltes Debüt im Mai 1979, das zwar keine wohlwollenden Rezensionen bekam, aber von der stetig wachsenden UK-Metalszene mit einiger Begeisterung empfangen wurde.
Nicht mal ein Jahr später nahm die Band ihr zweites Album, WHEELS OF STEEL, auf, das heute als Klassiker und einer der unumstößlichen Meilensteine der New Wave Of British Heavy Metal gilt.
WHEELS OF STEEL war eine gnadenlose Riffattacke und der Moment, in dem Saxon ihre Identität als Meister donnernder Mitbrüll-Hits wie ›Motorcycle Man‹ und dem Titelstück ebenso wie wesentlich melodischerer Hardrocksongs wie eben ›747 (Strangers In The Night)‹ zementierten. „Das war definitiv ein 80er-Album, kein Zweifel“, so Byford. „Wir wussten nicht wirklich, wohin die Reise gehen würde, aber
uns war durchaus klar, dass wir ein paar tolle Songs hatten. Wir fühlten, dass uns da ein großer Wurf gelungen war, konnten aber nicht ahnen, dass wir ein Album geschrieben hatten, das seine Ära definieren würde.“
1980 war auf jeden Fall ein wichtiges Jahr für den Metal, denn neben WHEELS OF STEEL erschienen auch ACE OF SPADES, BACK IN BLACK, HEAVEN AND HELL, IRON MAIDEN, BLIZZARD OF OZZ und BRITISH STEEL, um nur ein paar der bahnbrechenden Werke aus jenen zwölf Monaten zu nennen. Doch selbst in so erhabener Gesellschaft ragte ›747 (Strangers In The Night)‹ als ein überraschend subtiles und bewegendes Stück Songwriting-Handwerk heraus, das etwas völlig anderes zu bieten hatte als die üblichen Themen Fantasy, Horror und Party-Exzess, mit denen sich die boomende Metalszene am
liebsten befasste. „Ich muss gestehen, dass es auch in unseren Texten viel um Straßenschlachten und Mädchen ging“, sagt Byford mit einem Kichern. „Doch ›747‹ war immer ein melancholischer Song. Das musste es sein. Ich hatte dieses Bild von dem Stromausfall im Landeanflug im Kopf, wo die Lichter am Flughafen plötzlich ausgehen. Diese Flugzeuge wurden zu anderen Flughäfen umgeleitet und die Stadt war völlig dunkel. Die Vorstellung davon war sehr bildstark. Und ich fand es ziemlich cool, dass sich Fremde in dem Blackout begegneten. Es heißt, neun Monate später sei die Geburtenrate sprunghaft angestiegen. Und wahrscheinlich kam es auch zu einigen Plünderungen. Also verband ich diese Dinge
einfach. Auf logischer Ebene ergeben Teile des Textes keinen Sinn, klar, aber er kam einfach so zusammen. Das war ein Moment der Magie.“
WHEELS OF STEEL erschien im Mai 1980, wurde umgehend zum Bestseller, erreichte Platz 5 in Großbritannien und war in ganz Europa ähnlich erfolgreich. Die Beliebtheit des Albums wurde eindeutig davon befeuert, dass das höchst radiofreundliche ›747 (Strangers In The Night)‹ im Juni als Single ausgekoppelt wurde und die UK-Charts emporschoss. Es verpasste nur knapp die Top 10 und führte zu einer Einladung der Band zu der legendären TV-Chartshow „Top Of The Pops“. Leider kam es aber nie dazu. „Wir traten nie bei ‚Top Of The Pops‘ auf, weil die BBC streikte“, sagt Byford mit einem gequälten Lachen. „Wenn wir in der Show gewesen wären, hätte der Song wahrscheinlich eine viel höhere Position erreicht. Ehrlich gesagt, schielten wir auf die Top 5. Doch dann kam dieser Streik der Kameramänner.
‚Top Of The Pops‘ war wie das britische MTV. Wer dort auftrat, konnte auch im Mainstream Erfolg haben. Aber mit ›Wheels Of Steel‹ und ein paar anderen Songs gelang uns das auch so, und es war gut, zwischen all diesen anderen Sachen vertreten zu sein.“
Die Chance, vor den TOTP-Kameras herumzuturnen, blieb ihnen zwar verwehrt, doch zum Jahreswechsel 1980/81 waren Saxon dennoch richtige Popstars geworden. ›747‹ erreichte letztlich Platz 13, was für eine Metalband egal welcher Ära ein sehr gutes Ergebnis war. Noch wichtiger ist, dass die Saxon-Fans es begeistert aufnahmen und es als einer der prägenden Metalsongs der 80er gilt. „Mit dem Track setzten wir ein echtes melodisches Statement. Es war der größte Hit auf dem Album, startete richtig durch und
machte uns noch größer. Aber ich denke, 1980 war in puncto Songwriting generell ein großes Jahr. Da waren Motörhead, Whitesnake und Priest, die alle schon sehr etabliert waren, und dann kamen noch diese neuen Bands wie wir und Iron Maiden dazu. Plötzlich liefen wir ständig im Radio und Fernsehen, und zwar nicht nur in Großbritannien, sondern in ganz Europa. Ich kann dir ehrlich sagen, dass viele amerikanische Bands hörten, was da passierte, und davon beeinflusst wurden.“ Vier Jahrzehnte später feierten Saxon ihrJubiläum mit Shows, die sich auf diese ersten paar Albenklassiker konzentrierten. Und wie sie uns damals sagten, würden sie jeden Abend ›747 (Strangers In The Night)‹ spielen, so wie bei fast jedem Gig seit jenen Zeiten in den luftigen Charthöhen. „Es mag schwer zu glauben sein, doch wir
haben es ein paar Mal von der Setlist gestrichen. Wenn wir nur ein kurzes Set spielen, fliegt es manchmal raus. Aber es wäre dem Publikum gegenüber unfair, ›747‹ nicht zu spielen. Ich mag den Song immer noch und es freut mich nach wie vor, wenn die Leute darauf abgehen. Das ist doch der Grund,
warum wir das alles tun, oder?“ (Text: Dom Lawson)
Schöner Artikel! 1980/81 er waren Saxon eine ganz große Nummer.
Die innerhalb weniger Monate erschienene Album-Trilogie Wheels of steel / Strong arm of the law / Denim & Leather gehört zu den größten Klassikern der NOWBH. Ein Hintergrundbericht zu dieser Phase wäre eine tolle Sache.
In meinen Augen gehören Saxon für Ihre Vorreiterrolle mehr gewürdigt.