Eine Ballade, die Eric Martin einst als Teenager geschrieben hatte, um ein Mädchen zu beeindrucken, in das er verliebt war, sollte seiner Band ihren größten Hit bescheren – und zu ihrer ewigen Visitenkarte werden.
To Be With You‹, Mr. Bigs musikalisches Aushängeschild, war eigentlich eher zweite Wahl. Schließlich wurde es doch erst als zweite Single aus ihrem zweiten Album, dem 92er-Werk LEAN INTO IT, ausgekoppelt. Der ausbleibende Erfolg seines Vorgängers ›Green-Tinted Sixties Mind‹, dem der Charts-Eintritt ausschließlich in Großbritannien gelang – wo es nur auf Position 72 landete – verhieß zudem nicht viel Gutes für die Nummer.
Tatsächlich sei ihre Plattenfirma Atlantic laut Bassist Billy Sheehan nicht einmal groß daran interessiert gewesen, ›To Be With You‹ überhaupt zu veröffentlichen. Nicht davon überzeugt, dass das Stück der Band ihren ersten Hit verschaffen könnte, stimmten sie dem Release erst zu, nachdem die Radiosender begonnen hatten, es zu spielen.
„Erst viel später fanden wir heraus, dass sie weder das Album, noch unsere Songs, nicht einmal die Band überhaupt mochten“, so Sheehan. „Sie hatten uns völlig aufgegeben. Von Anfang an hatten wir deswegen mit ihnen zu kämpfen.“ Nachdem Mr. Big vor allem durch ihre prototypischen, alles zerfetzenden Pyros wie bei ›Addicted To That Rush‹ und ›Daddy, Brother, Lover, Little Boy (The Electric Drill Song)‹ ihr Publikum angezogen hatten, war ›To Be With You‹ eine echte Anomalie. Die Soft-Rock-Powerballade – der perfekte Song, um verträumt das Feuerzeug hochzuhalten – nahm in ihrem Backkatalog eine ähnliche Position ein wie es ›More Than Words‹ bei Extreme tat. Frontmann Eric Martin, aus dessen Feder der Song stammt, fand die Nummer zufällig auf einem alten Tape wieder. „Er schenkte ihr nicht besonders viel Aufmerksamkeit – eher so nach dem Motto: Ach ja, das alte Ding“ , erinnert sich Sheehan. Martin hatte den Song im Teenageralter geschrieben, um die Freundin seiner Schwester zu beeindrucken. „Ich war 16 Jahre alt, saß unter einer alten Eiche in unserem Garten und spielte Gitarre. Es war mein erster Gig“, lacht er. Er dachte dabei an Patricia Reynolds, in die er sich Hals über Kopf verliebt hatte. Patricia war jedoch zu beschäftigt mit anderen Jungs, um das überhaupt zu bemerken. Für sie war Martin einfach nur der freche Bengel von nebenan. „Sie nannte mich Satansbraten. Ich war ihr Vertrauter und ihr Ritter in der glänzenden Rüstung. Eine Schulter zum Ausweinen. Ich war völlig in diese Frau verschossen.“ Inspiriert von diesen Gefühlen nahm Martin ein akustisches Demotape von ›To Be With You‹ auf, das sich sehr nach Crosby, Stills, Nash & Young anhörte.
Jahre später, nachdem er sich in Hard- Rock-Kreisen etabliert und einen Vertrag mit Columbia Records unterschrieben hatte, wurde er mit dem Songwriter Dave Grahame zusammengebracht. Damals nahm der Song schließlich seine finale, spartanische Mitsing-Form an, gleich einer bewussten Beschwörung von John Lennons ›Give Peace A Chance‹.
Martin lebte zu dieser Zeit in San Francisco, während sich der Rest seiner Band in L.A. aufhielt. Er war ständig am Pendeln und nächtigte hin und wieder auf dem Sofa von Mr.-Big-Gitarrist Paul Gilbert in Hollywood. Eines Tages erzählte er selbigem von seinem Werk und bediente sich dabei der Zauberformel: „Es klingt ein bisschen nach den Beatles.“ Gilbert steuerte ein „wirklich hübsches Solo“ bei und verfiel dem Song völlig, genau wie der Rest der Band. „Paul, Pat [Torpey , Drums] und ich hörten uns das an und waren sofort einer Meinung: Wow, wir müssen dieses Ding aufnehmen!“ Sheehan erzählt: „Eric war ein wenig überrascht, dass wir die Nummer mochten. Aber wir waren alle dafür, sie auf LEAN INTO IT zu packen.“
„Da war all dieses Zeug und dann hatten wir ›Yesterday‹“, wagt Martin den McCartney/Beatles Vergleich. „Ich will damit nicht sagen, dass ›To Be With You‹ und ›Yesterday‹ ebenbürtig sind, aber es war eben unser ›Yesterday‹.“ Sheehan fügt hinzu: „Wir erwarteten nichts Großes. Wir dachten nicht: Oh Mann, das wird ein Riesenhit! Wir hatten nicht den blassesten Schimmer. Es war einfach nur ein süßer, kleiner Song.“
Die Mitglieder von Mr. Big mühten sich jahrelang mit anderen Projekten ab: Gilbert mit Racer X, Sheehan mit Talas und David Lee Roths Band, Martin mit seinem Soloprojekt. Dann, dank der Radiosender – „den Anrufern, die den Sendern mitteilten, dass sie die Nummer mochten“ sagt Sheehan – und mit ein wenig Hilfe von MTV (das Video war von Nancy Bennet, die auch den Led-Zeppelin-Tribut ENCOMIUM produziert hatte), landete die Band ihren „eigenen und einhundertprozentig organischen“ Hit. Der Track beginnt mit Geschrammel und krächzendem Flehen („Hold on, little girl“) und entwickelt sich dann durch eingängige Harmonien und Klatschen zu einem astreinen Lagerfeuersong: Das ›Hey Jude‹ der Generation Hair Metal. Mitreißendes Zeug.
Vor allem riss die Nummer die einkaufsfreudigen Horden mit, die sie in über zwölf Ländern an die Spitze der Charts katapultierten. Sheehan hält ›To Be With You‹ in Erinnerung als „den Song, der unser Leben völlig veränderte“. Als der Hit die Welt eroberte, nächtigte Martin immer noch auf dem Sofa seines Vaters. Nach zwei weiteren Erfolgen in den Jahren ’92 und ’93 – mit der Ballade ›Just Take My Heart‹ und dem Cover von Cat Stevens ›Wild World‹ – machten Mr. Big ihrem Namen alle Ehre und wurden zu Größen in Japan, Südamerika und Südostasien, um nur einige Beispiele zu nennen. „Sobald wir aus unserem Heimatland raus sind, ist die Hölle los“, witzelt Sheehan. Mr. Big sind immer noch am Touren und Aufnehmen und sich völlig einig darüber, dass sie ihren bis heute andauernden Erfolg hauptsächlich ›To Be With You‹ zu verdanken haben.
„Ich habe dreißig oder vierzig Briefe von Menschen, die mir erzählen, dass sie schwer krank waren, sogar Selbstmordgedanken hatten und sie sich nur wegen diesem Song wieder aufrappeln konnten“, sagt Sheehan. „Das ist ziemlich großartig.“ Martin hingegen ist vor allem froh darüber, mehr Ansehen bekommen zu haben. „Ich war immer nur der Typ, der singt“, schmunzelt er. „Im Bandbus kamen die Fans ständig zu mir und riefen: ‚Hey, du bist doch der Typ, der singt. Hol doch mal Billy oder Paul!‘ Sie kannten Pat, weil er bei The Knack war. Die Leute rannten mich über den Haufen, um zu den anderen zu kommen. Das hat mich immer ein bisschen eingeschüchtert. Erst mit ›To Be With You‹ wurde ich selbstbewusster. Endlich war auch ich in der Liga der außergewöhnlichen Gentlemen.“