Dein berühmtes Coming-Out-Interview kam dann völlig überraschend zustande. Warum ist es damals bei dieser MTV-Show spontan aus dir heraus gebrochen?
Wahrscheinlich, weil ich auf mentaler Ebene ganz gut aufgestellt war. Ich habe damals ja gerade mit Two gearbeitet, mit Trent und John 5. Ich war in New York, einem Ort, an dem ich mich vor allem mit meiner sexuellen Identität schon immer sehr wohl gefühlt habe. Wenn ich an dem Tag morgens aufgestanden wäre und gesagt hätte: ‚So, heute oute ich mich‘, dann hätte ich es wahrscheinlich nie getan. Vielleicht weil ich das Ganze viel zu stark zerdacht hätte. Ich meine, eigentlich ist es ja sehr einfach. „Ich bin schwul“. Das sind drei Wörter. „Ich bin schwul“. Mehr ist es nicht. Aber das Echo, das da zurück kommt, vor allem in der Welt von Musik, Ruhm und Stars oder wie immer man das auch nennen möchte, ist einfach groß und unberechenbar. Nichtsdestotrotz war es ein wundervoller und außergewöhnlicher Tag. Aus vielen Gründen. Das war damals noch knapp vor dem Internet, wir hatten keine Handys, keine SMS, kein Twitter, kein Facebook. Die Kunde verbreitete sich in Amerika durch die verschiedenen Rockradiostationen, dann kamen die Magazine – keine Ahnung wie es damals nach Deutschland kam, wahrscheinlich auch durch die Magazine. Die Botschaft verbreitete sich also relativ langsam. Und hypothetisch gesehen: Wenn ich dieses Statement niemals abgegeben hätte, hätte ich mich jemals geoutet? Ein interessantes Denkspiel. Aber diese Tür, die sich damals für mich als Person öffnete und für viele meiner Fans ja auch, weißt du, das war großartig. Ich bekam hunderte von Briefen von Fans aus der ganzen Welt, die sich bei mir bedankten, die aus meinem Outing Hoffnung schöpften, weil es ihnen genauso erging. So viele motivierende Nachrichten, das gab mir ein Gefühl des Friedens.
Wenn wir schon bei Hypothesen sind: Kam dein Outing nur zustande, weil du zu der Zeit damals so weit weg von Priest warst?
Da kann man natürlich rückblickend nur spekulieren, aber ich glaube schon, dass das ein wichtiger Punkt war. Man sagt ja oft, dass das Leben seine eigenen Geschichten schreibt, dass Dinge meistens aus einem gewissen Grund passieren. (lacht) Daran glaube ich schon, ich erzähle ja auch im Buch von meiner spirituellen Reise, auf der ich mich befinde. Ich denke einfach, dass man das sagt und tut, was man sagen und tun muss, weil es auf irgendeine Weise vorbestimmt ist.
Du schreibst, dass jeder bei Priest wahrscheinlich wusste, dass du schwul warst, obwohl ihr nie darüber gesprochen habt. Habt ihr nach deinem Outing mal über dieses Thema geredet?
Nein, niemals. Das erste Feedback, das ich damals erhielt, kam von meiner Familie. Meine Familie wusste davon, meine Band, mein Management, die Plattenfirma, meine Freunde und so weiter. Es war irgendwie ähnlich wie bei Freddie Mercury. Jeder wusste, dass Freddie schwul war, aber Freddie wollte das nie öffentlich aussprechen. Ganz einfach, weil das sein Privatleben betraf und nichts mit seiner Arbeit oder seiner Kunst zu tun hatte. Und ich bewunderte Freddie immer dafür.
In dem Buch wirkst du sehr harmoniebedürftig und konfliktscheu: Hat sich daran etwas geändert?
Selbst heute ist das noch schwer, ich muss wirklich hart daran arbeiten, etwas anzusprechen, das mich wirklich stört. Wenn es jetzt um eine Face-to-face-Situation geht, dann kann ich schon mal sagen, wenn mich etwas aufregt. Aber vor mehreren Leuten ein Problem anzusprechen, das fällt mir immer noch nicht leicht, auch wenn ich schon etwas besser geworden bin. Da gibt es diese berühmte Geschichte über Marlon Brando. Er meinte wohl mal, wenn er auf einer Party war und nur ein Mensch im ganzen Raum ihn nicht mochte, musste er die Feier verlassen. Ich verstehe, was er meint. Du befindest dich in einer prekären Situation, in der du verstehst, wie wichtig es ist, all deine Fans auf deiner Seite zu haben. Das ist fast schon eine Form von Bedürftigkeit. Du willst dieses Gefüge auf keinen Fall demolieren. Das wiederum durchkreuzt deine Fähigkeit, wichtige persönliche Entscheidungen zu treffen. Das trage ich mit mir herum seit ich ein kleines Kind bin. Darüber spreche ich ja auch im Buch: Wenn meine Eltern sich anschrien, während ich im Bett lag, war das sehr schlimm für mich. Die Psyche eines Kindes funktioniert wie ein Schwamm. Als ich diese Streitigkeiten meiner Eltern durch die Wände hörte, dachte ich mir nur: ‚Das sind nicht meine Mutter und mein Vater, das kann einfach nicht sein.‘ Weil ich diese Seite meiner Eltern nicht mit den fürsorglichen Eltern von tagsüber zusammenbringen konnte. Das ist sehr verwirrend und ich denke, diesen Teil meiner Kindheit habe ich mein ganzes Erwachsenenleben hindurch mit mir herumgetragen. Und als ich dann trocken wurde, musste ich diese Probleme in mir irgendwann einmal angehen. Naja, das ist ein bisschen kompliziert wie du siehst. (lacht)
Natürlich ist das kompliziert. Deine ganze Geschichte ist ja stellenweise echt hart. Du erzählst von sexuellem Missbrauch, den du als Kind und Teenager erlitten hast, der Angst vor deinem Outing, dem ambivalente Umgang mit deiner Sexualität, den gescheiterten Beziehungen, dem Alkohol, den Drogen. Wie konntest du mit all dem ohne Psychotherapie Frieden schließen?
(lacht) Als ich an der Hörbuchversion von „Ich bekenne“ im Studio arbeitete, dachte ich mir auch mehrmals: ‚Um Himmels Willen, ist das wirklich so passiert?‘ (lacht) Einfach, weil es sich nochmal viel krasser anhört, wenn man es laut ausspricht. Da habe ich mich schon auch gefragt, wer da über mich wacht, dass ich heute noch hier sitzen darf. Ich weiß nicht, ob es mit meiner Herkunft zu tun hat, dass ich das alles weggesteckt habe. Im Buch spreche ich ja auch darüber, dass ich aus dem Black Country komme und dass dort in den Midlands eine gewisse Mentalität herrschte. Bei uns zuhause rückte man sich selbst nicht in den Mittelpunkt, man machte keine Elefanten aus Mücken, man blies sein eigenes Ego nicht großartig auf. Das Ego ist eh so eine zerstörerische Macht, total giftig. Ich kann es also nicht mit letzter Gewissheit sagen, aber ich denke, dass diese Midlands-Haltung mir dabei geholfen hat. Ich war schon immer so, dazu noch optimistisch, habe schon immer einen Schritt nach dem nächsten getan, egal wie schwer die Zeiten sind. Ich begegne dem Leben mit all seinen Hürden und Kämpfen und gebe nicht auf. Auch als wir nach FIREPOWER ohne Glenn unterwegs sein mussten, lief es nach dem Motto „never surrender“ weiter, weißt du. Das kommt einfach aus meinem Inneren heraus. Und was ich immer betonen muss: Hätte ich mich nicht aus dem Alkohol-Sumpf befreit, wäre das alles nicht so gelaufen. Aber wenn man einmal ausnüchtert, lichtet sich der ganze Nebel und man erkennt sich selbst auf einmal. Das ist eine unglaubliche Offenbarung. Dazu dann meine Spiritualität. Das sind zwei sehr wichtige Faktoren, die mir mein heutiges Leben angenehm machen. Ich sehe die Vergangenheit als wertvolle Grundlage für Reflexionen, weil man so viel aus seinen eigenen Fehlern lernen kann und das Schlechte nutzen kann, um am Ende Gutes daraus zu ziehen.
Das ist alles schon beeindruckend. Auch, dass du jetzt schon seit langem in einer glücklichen, gesunden Beziehung bist. Hast du da vielleicht ein paar Tipps für Leute, die das nicht so gut hinkriegen?
(lacht) Ich habe es schon immer gesagt, und das mag jetzt erst mal sehr simpel und lustig klingen: Ich koche und Thomas macht den Abwasch. Weißt du, wie ich das meine, Jacqueline? Es klingt so trivial, aber da steckt sehr viel Wahrheit dahinter. Deine Beziehung muss ausgeglichen sein, die Machtbalance darf nicht kippen, weil es dann einfach nicht funktioniert. Daran muss man wirklich hart arbeiten. In den ersten Jahren unserer Beziehung war ich fürchterlich, fast nicht zum Aushalten. Auch, wenn ich gerade mal trocken war, einfach, weil ich zuvor so viele dysfunktionale Beziehungen hatte und so geschädigt war, dass ich eine große Mauer um mich herum aufrichtete, weil ich Angst hatte, Thomas zu verlieren. Ich war echt ein Arschloch. Keine Ahnung, wie er das ausgehalten hat. (lacht) Irgendwie konnte er da durchsehen, so läuft es wohl mit der Liebe. Liebe bringt dich durch schlechte Zeiten. Aber wir sind wirklich glücklich, wir sind jetzt seit 25 Jahren ein Paar.
Wenn du den jungen Rob heute treffen würdest, würdest du ihm irgendeinen Rat geben?
Ich denke, ich würde ihn einfach auf seine Reise gehen lassen. Ich bekomme oft ähnliche Fragen, zum Beispiel von jungen Bands, die sich Ratschläge abholen wollen. Was soll ich da sagen. Man muss seinen Weg gehen. Wer bin ich schon, da Tipps zu geben oder irgendetwas zu beurteilen? Das Leben ist so eine wunderbare, sehr kurze Erfahrung. Ich bin jetzt 70 und kann einfach nicht glauben, dass ich schon so viele Jahre hier bin. Es kommt mir vor, als wäre ich erst seit wenigen Jahren unterwegs. Das Leben ist so kurz, man muss es einfach annehmen und genießen und sich auch auf schwere Zeiten vorbereiten. Dann merkt man, dass wir alle sehr starke und resiliente Leute sein können, auch wenn man es von sich selbst nicht denkt. Ich bin davon überzeugt, dass jeder tief in sich drin sehr stark ist. Wahrscheinlich würde ich deshalb einfach sagen: Geh raus, Kid, hab Spaß.
Also keine Reue.
Ich hatte immer meine Probleme mit dem Wort. Ich finde, es strahlt etwas sehr Kaltes und Brutales aus. Mit gefällt da „Reflexion“ besser. Klar würde ich mir manchmal wünschen, ich hätte hier und da eine andere Wahl getroffen. Aber auch da muss man sagen: Hätte ich diese falschen Abbiegungen nicht genommen, wäre ich als Person nicht so komplett wie ich heute bin. Ich denke, egal woher man kommt, die Menschen werden in diesem Buch etwas finden, mit dem sie sich identifizieren können. Es steht zwar meine Lebensgeschichte darin, aber eigentlich schließt es alle mit ein. Es verbindet.
Zum Schluss noch eine letzte Frage: Was ist Rob Halfords größter Diva-Charakterzug?
(lacht) Ich kann eine Drama-Queen sein. Das kommt von meinem inneren Streben nach Perfektion, obwohl ich weiß, dass Perfektion schlichtweg nicht möglich bin. Als Leonardo Da Vinci die Mona Lisa fertig stellte und sie sich eine Woche später nochmal angeschaut hat, dachte er bestimmt: ‚Ach fuck, dieses Stück da, das ist doch scheiße geworden!‘ (lacht) So ähnlich ist das bei mir auch. Das hält aber nicht lange an. Im richtigen Rahmen lasse ich meine Emotionen sofort raus. Das sollten vor allem Männer endlich verstehen, dass es okay ist, Gefühle zu haben. Dass es okay ist, zu weinen und über Dinge sprechen zu wollen. Dieses ganze „Männer weinen nicht“-Gelaber ist doch absoluter Bullshit, wenn du mich fragst. In meinen Diva-Momenten reicht es schon, wenn mein Mikrophon an der falschen Stelle steht. Dann kann ich kurz durchdrehen. (lacht) Oder wenn ich kurz vor einem Auftritt ein Outfit anprobiere, einen Mantel oder so: ‚Fuck, das passt nicht richtig! Wer hat da rumgefummelt?‘ und wenn dann jemand entgegnet ‚Es ist genauso wie vor zwei Stunden‘, dann rufe ich ‚Nein, da hat jemand was geändert!‘ (lacht) Dann muss ich kurz ein bisschen Drama veranstalten. Heather, meine persönliche Begleitung auf Tour, kennt das schon von mir. Sie verdreht dann nur kurz die Augen und sagt: „Ach Gott, du bist so eine Diva!“ Aber das passiert vor allem in dem Kontext, weil ich für die Fans die beste Performance liefern will. Weil die Band im besten Licht erscheinen soll. Wenn meine Stimme mal einen Abend nicht ganz so gut ist, dann drehe ich durch. Wenn ich mal einen Ton daneben singe oder ein Wort falsch frasiere, dann ist das ein kurzer Weltuntergang für mich. Ich bin sehr selbstkritisch, ein Damoklesschwert, das schon immer über hängt. Aber ein gutes, es motiviert mich, es zermürbt mich nicht. Ich sehe das als Tugend, wenn man immer nach dem Besten strebt. So bleibt man stark, so machen wir das mit Priest seit 50 Jahren. Wir ließen uns nie vom Weg abbringen, wir lieben diese Band und alles, was damit zusammenhängt, so sehr, dass wir einfach immer unser Bestmögliches geben wollen. Das hat sich nach all den Jahren nie geändert und wir können es kaum erwarten, das wieder zu tun.
Wird es jemals einen besseren Metal-Film als „Spinal Tap“ geben?
(lacht) Nein, das ist einfach ein großartiger Film, der einen echt runterbringt. Denn auch wenn ich davon spreche, immer mein Bestes zu geben und eine möglichst tolle Show abliefern zu wollen, ist es essenziell, dass man auch mal über sich selbst lachen kann. Wenn du nicht über dich selbst lachen kannst, dann hast du alles falsch gemacht.
(Aus CLASSIC ROCK #98)