Patti Smith wird 73. Deshalb kommen hier unsere Reviews zu den beiden jüngsten auf Deutsch erschienenen Büchern der Sängerin und Autorin (beide im Verlag Kiepenheuer & Witsch).
1. Review: Patti Smith – Hingabe
Call to action
„Hingabe“ ist ein hybrides Werk, so wie Patti Smith selbst eine Allroundkünstlerin mit einer humanistischen Ader ist. Ihr neues Buch bedeutet eine Rückkehr nach Paris für sie, eine nostalgisch schimmernde Hommage an vergangene Liebe. Bei Smith verschränken sich die Stile der von ihr verehrten Künstler, sie hört die Stimmen von Rimbaud, Baudelaire, Modiano. Sie ist nochmal zwanzig, sie kehrt mit ihrer Schwester zu den Orten der ersten Erinnerung in dieser Stadt zurück, lässt sich in die Einsamkeit sinken und kommt so der Vergangenheit und auch ihrer Schwester näher. Sie reist in das Haus von Camus im Süden Frankreichs und sucht das Grab Simone Veils in England auf. Sie staunt und nimmt alles auf, dekonstruiert und setzt neu zusammen, um auf ihre Art ihre Wahrnehmung neu zu fokussieren – so wie „eine Vielzahl unterschiedlicher Auslöser sich zu einem eigenen Organismus verbinden“, wie sie schreibt.
Auf diese Weise ist „Hingabe“ entstanden, die Erzählung, die Smiths Buch den Namen gab. Gerade sie geht unter die Haut, diese merkwürdige Geschichte einer einsamen Eiskunstläuferin, die Geist und Körper komplett ihrer Kunst verschreibt – eine zerstörerische Passion, die ihre Freiheit und Unschuld in Gefahr bringen wird.
Fieberhaft komponiert Smith ihre Textpassagen mit unbändigen Wellen an Worten, Bildern, Rhythmen und Tönen. In einem organischen Duktus beschreibt sie den Moment als „die Zeit anhält und sich dennoch beeilt, indem sie Bilder aus Worten zieht“. So verarbeitet sie innere, strapaziöse und euphorische Kämpfe und berichtet vom Streben nach Kreativität, in dem sie sich lebendig fühlt.
7/10
Text: Sarah Soheyli-Schaffner
2. Review: Patti Smith – M Train: Erinnerungen
Die Punkheldin lädt in ihre Welt. Grandios.
Patti Smith ist eine Poetin: Wortmächtig, mitfühlend, unangepasst. Das hat sie mit ihren Songs bewiesen und das beweist sie nun mit ihren Erinnerungen. Sie lädt uns ein in ihr Leben in New York, llässt uns teilhaben an den Querelen einer Schreiberexistenz: wenn man mal einfach nichts zu Papier bringt und dann die Gedanken wieder schneller sind als der Stift. Wir erfahren, dass Smith Kaffee liebt, nicht einfach nur mag, dass sie ihn liebt, dass sie täglich Stunden in ihrem Stammcafé verbringt. Sie nimmt uns mit auf ihre Reisen, nach Berlin, wo sie in einem magischen Moment am Grab von Bertolt Brecht das Lied der Mutter Courage singt, ins vom Tsunami verwüstete Japan, nach Mexiko, London. Ihre Reisen sind ihr ein Tor zur Welt – das andere ist die Kunst, die Musik, die Fotografie und vor allem: die Literatur. Es wimmelt von Verweisen auf die Beat Generation, auf den Französischen Symbolismus, auf Genet, Burroughs, Wittgenstein.
Zwischen den Zeilen sind dabei immer Smiths unbändige Lebenslust und eine grenzenlose Menschenliebe zu spüren. Eine anhaltende Liebe auch zu ihrem verstorbenen Ehemann Fred „Sonic“ Smith, den sie immer wieder schreibend aufleben lässt. Und dann sind da noch die wunderbaren selbst geknipsten Polaroids. Und dieser rätselhafte Cowboy, der ihr immer im Traum erscheint. Und, und, und. Unmöglich, das alles hier wiederzugeben. „Kennt der Leser mich denn?“, fragt Patti Smith einmal ohne Koketterie. „Und will er das überhaupt? Ich kann es nur hoffen, während ich ihm meine Welt auf einem Tablett voller Anspielungen darbiete.“
10/10
Text: David Numberger