Eindrucksvolle Demonstration: 50 Wege, sein Publikum zu unterhalten.
These are the days of miracles and wonder”, stellt Paul Simon zum Auftakt in ›The Boy In The Bubble‹ mit glasklarer Stimme fest – und ein überwiegend mit seinem Helden gealtertes Publikum weiß genau, auf was der 69 Jahre alte Hohepriester des Folk- und Ethno-Pop da unmittelbar anspielt: Künstler und Besucher sind gerade noch einer biblischen Sintflut entgangen, die keine Stunde vor Showbeginn die idyllisch gelegene Mainzer Zitadelle heimgesucht hat. Doch nun blinzeln die letzten Sonnenstrahlen wieder, als der Musiker samt Ensemble sein Lamento über Apartheid in Südafrika über die Bühnenrampe schickt.
Simon steckt auch heute in seinem ewigen Dilemma fest: Einerseits müsste er sein neues Album So Beautiful Or So What promoten. Aber da würde er es sich mit den vielen reiferen Herrschaften verscherzen, die sich in rund 50 Sitzreihen bequem gemacht haben. An die Simon & Garfunkel-Ära gibt es heute jedoch nur ein Zugeständnis – das zur Zugabe auf Akustikgitarre gezupfte ›Sounds Of Silence‹ –, immerhin dazu zeigt sich Paul Simon bereit. Aber es gibt kein ›The Boxer‹, kein ›Bridge Over Troubled Water‹ und auch keine ›Mrs. Robinson‹, obwohl die Ode aus dem Kinofilm „Die Reifeprüfung“ zum Kehraus in einer Swing-Version von Frank Sinatra ertönt. Doch über genügend Gassenhauerfaktor verfügt das aktuelle Repertoire ja ohnehin: ›Slip Slidin’ Away‹, ›Peace Like A River‹ oder ›Fifty Ways To Leave Your Lover‹ reihen sich zeitlos und ohne erkennbare Chronologie aneinander. Simon, unterstützt von Bassist Bakithi Kumalo aus Soweto und dem Kameruner Gitarristen Vincent Nguini, schweift mit Rhythmischem wie ›Diamonds On The Soles Of Her Shoes‹ und ›Gumboots‹ leichtfüßig durch die Townships.
Wünschenswert gewesen wären z.B. ›Mother And Child Reunion‹, ›Take Me To The Mardi Gras‹ oder ›Me And Julio Down By The Schoolyard‹. Stattdessen serviert er den ein oder anderen Auszug aus dem aktuellen Werk. Und auch Oldies von verehrten Kollegen: ›Here Comes The Sun‹ von den Beatles widmet er George Harrison, und mit Junior Parkers ›Mystery Train‹ und Norman Pettys ›Wheels‹ gedenkt er seinen Wurzeln in den Fünfzigern. Besser aufgehoben ist Paul Simon bei sich selbst: ›Gone At Last‹ delektiert sich am Gospel, ›Kodachrome‹ richtet den Blick zurück in die eigene Kindheit, und ›Hearts And Bones‹ beschreibt die stürmische Kurzehe mit Schauspielerin Carrie Fisher. Mit die wohl wichtigste Botschaft hebt sich Simon bis fast zum Schluss auf: ›Still Crazy After All These Years‹ fühlt sich am Ende nicht nur der Künstler, sondern wohl auch ganz viele im Publikum.