Ohne Proben ganz nach oben
In seiner Heimat gilt der mehrfach Platin-prämierte Matthew Good als einer der größten Stars des Independent- und Alternative-Universums – und als einer der unbequemsten. „Hier in Kanada sind die Menschen alle unglaublich höflich. Ich dagegen habe in den Medien meine Meinung immer frei heraus geäußert. Das geschah ohne Vorsatz, aber dennoch ist es einigen sauer aufgestoßen“, erklärt er beim frühmorgendlichen Gespräch mit CLASSIC ROCK. „Das hängt mir bis heute nach.“ Doch der 42-Jährige nimmt’s mit Humor. Vor einigen Jahren ließ er sogar T-Shirts mit dem Spruch „I Hear Matt Good is a Real Asshole“ drucken – und kreierte damit ungewollt einen Verkaufsschlager. Doch nicht nur als Musiker machte Good von sich reden. Auch als Blogger mit einem ausgeprägten politischen Gewissen konnte sich der Intimkenner der US-Außenpolitik einen Namen machen, weil er sich nie scheute, den Finger auf die Wunde zu legen.
In Wahrheit ist der Singer/Songwriter kein Querulant, sondern ein Mann mit Prinzipien. So boykottiert er beispielsweise von jeher die Juno Awards, weil er der Meinung ist, dass Musik kein Wettstreit ist. Trotzdem kommt die Jury des kanadischen Pendants zum Grammy nicht an ihm vorbei. Regelmäßig gewinnt er die Trophäe, zuletzt 2011 für sein Album VANCOUVER. Nach der vor wenigen Monaten veröffentlichten Werkschau OLD FIGHTERS erscheint nun sein brandneues Album ARROWS OF DESIRE, auf dem er sich nach dem üppig orchestrierten Ausreißer LIGHTS OF ENDANGERED SPECIES vor zwei Jahren wieder auf bewährte Tugenden besinnt. Auslöser war eine alte Playlist auf seinem Laptop. „Dort fand sich alles von den Replacements über Hüsker Dü und die Pixies bis zu den Afghan Whigs“, erinnert er sich. Die Leidenschaft der Helden des 90er-Alternative-Rock inspirierten das hymnische ›Via Dolorosa‹, und bald folgten viele weitere schnörkellos-melodische Nummern, die vom gleichen Geist umweht sind. Mit der neuen Platte im Gepäck hat Good nun große Pläne.
Nach zwei verheißungsvollen, ausverkauften Showcases in London im Frühjahr hat der Kanadier Blut geleckt und will jetzt auch hierzulande noch einmal einen Fuß in die Tür bekommen. „Ich habe ja früher schon mal in Deutschland gespielt, aber das ist 14 Jahre her. Damals hatte ich so gut wie keine Unterstützung, und deshalb blieb es damals bei einer Stippvisite, auf der ich nie weiter aufbauen konnte“, erinnert er sich an seinen ersten Besuch in unseren Breiten. Nun sieht das Ganze schon wesentlich freundlicher aus, vielleicht auch, weil sich Good inzwischen mit den veränderten Gegebenheiten der Musikindustrie arrangiert hat. „In Deutschland spielen zu dürfen, betrachte ich als Luxus“, sagt er bescheiden. Notfalls kommt er sogar ohne seine Band vorbei. „Ganz ehrlich, ich spiele ohnehin lieber allein“, gesteht er überraschend. „In kleinen Läden habe ich manchmal das Gefühl, als würde ich einfach mit den Leuten im Publikum abhängen, und oft kommt es zu famosen Dialogen mit den Zuschauern. Das ist ein Riesenspaß!“ Zur Spontaneität der Konzerte trägt auch seine Vorbereitung bei – oder besser, das Fehlen derselben. „Ich probe noch nicht einmal mehr für Akustiktourneen“, verrät er abschließend und muss lachen. „Das macht es spannender!“
Carsten Wohlfeld