Two Virgins
Nacktheit, so denkt der aufgeklärte und liberal sozialisierte Mitteleuropäer, ist etwas ganz Natürliches und daher beinahe zwangsläufig: schön. Ein Blick auf das Cover-Artwork von UNFINISHED MUSIC NO. 1: TWO VIRGINS, von John Lennon & Yoko Ono Ende 1968 veröffentlicht, legt indes eine dezidiertere Betrachtungsweise nahe: kommt drauf an. Damit keine Missverständnisse auftauchen: Gegen hüllenlose Menschen, die Plattenhüllen zieren, ist im Prinzip nichts einzuwenden, auch oder besser: erst recht! dann nicht, wenn sie dem Schönheitsideal der Abercrombie-And-Fitch-Faschos nur sichtlich eingeschränkt entsprechen. Als Lennon das Cover später mit den Worten bedachte: „Das Problem war nicht unsere Nacktheit, sondern unsere Hässlichkeit“, zeugte das zwar von gesundem Humor, ging an der Sache aber vorbei. Ein Problem war vielmehr die offensichtliche Selbstgefälligkeit der beiden ausführenden Künstler: „Hey, wir sind frisch verliebt, sexuell total befreit und noch dazu scheißberühmt, lass uns per Selbstauslöser ein Nacktfoto schießen und auf unsere Platte drucken.“ Das kann man machen, muss man aber nicht.
Auch nur so mittelschön: Das etwas zu offensichtliche Bestreben, zu schockieren. Okay: 1968. Sexwelle und so. Oswalt-Kolle-Filme, die den Kinobesucher darüber aufklären, dass selbst Frauen einen Orgasmus haben können, was man vor 1968 angeblich für undenkbar hielt. Aber Zeitgeist hin oder her: Dass ein Foto mit den primären Geschlechtsorganen eines echten Beatle und einer japanischen Fluxus-Künstlerin auch das Kauf-und Medieninteresse an einem ansonsten ernüchternd uninteressanten Album wecken sollte, liegt auf der Hand. Denn sie wussten genau, was sie tun. Übrigens: Auf der Rückseite sieht man die beiden von hinten. Auch nicht besser.
Text:
Uwe Schleifenbaum