Eine Zwangspause hat auch ihr Gutes: Mit einer neuen Mannschaft belebt Genesis-Gitarrist Mike Rutherford sein langjähriges Nebenprojekt neu.
Text: Christian Stolberg
Es sah eigentlich nach einem langsamen Dahinscheiden einer einst so populären Band aus. Zwar hatten Mike & The Mechanics nach dem Herztod des Sängers Paul Young im Jahr 2000 immerhin noch ein Album veröffentlicht, das 2004er-REWIRED. Doch die Fans wie auch die Musiker selbst hatten das Gefühl, dass die Luft raus war. „Es war eben nicht mehr das Gleiche“, gibt Bandleader Mike Rutherford unumwunden zu. Der baumlange Genesis-Gitarrist, der Mike & The Mechanics 1985 gegründet hatte, gesteht: „Mir war bald klar, dass eine spezielle Zusammenarbeit, wie ich sie mit den beiden Pauls pflegte, nicht so leicht wieder herzustellen sein würde. Und das sah wohl auch Paul Carrack so.“
Schließlich waren es nicht zuletzt Carracks seidige Soulstimme und Paul Youngs Tenor gewesen, die dem wohlkonstruierten modernen Mainstream-Rock der Band jene emotionale Schlagseite gegeben hatten, die ihm über die Jahre Hits wie ›Silent Running‹, ›All I Need Is A Miracle‹, ›The Living Years‹ oder ›Over My Shoulder‹ beschert und Mike & The Mechanics zu einer der erfolgreichsten Zweitbands der Rockgeschichte gemacht hatten.
Dass die Band als Quintett gegründet worden war und live wie im Studio immer mindestens aus fünf Musikern bestand, tat wenig zur Sache: Der harte und auch in den Augen und Ohren des Publikums entscheidende Kern blieb immer das Trio aus Mike Rutherford, dem vormaligen Sad-Café-Sänger Paul Young und Paul Carrack, der zuvor als Sänger und Keyboarder solo sowie in Bands wie The Squeeze und Roxy Music aktiv war. Youngs Tod zerstörte dieses Triumvirat. Carrack stieg schließlich 2006 aus, um sich um seine immer erfolgreichere Solokarriere zu kümmern, und Rutherford dachte daraufhin, „dass es das jetzt war mit Mike & The Mechanisch“.
Doch es kam anders. Zunächst war Rutherford in seinem „Hauptberuf“ noch hinreichend gefordert: Genesis hatten sich 2007 noch einmal zu einer umfangreichen Tournee durch Europa, Kanada und die USA aufgemacht, danach war Rutherford mit der Aufarbeitung der Konzertreise für das Album LIVE OVER EUROPE und die DVD WHEN IN ROME beschäftigt. Doch bald stellte sich heraus, dass mit weiteren Genesis-Aktivitäten nicht mehr in größerem Stil zu rechnen war: Phil Collins‘ Gesundheit machte immer größere Probleme. Nach einer Halswirbeloperation im Jahr 2009 stellten sich bei ihm Taubheitsgefühle in beiden Händen ein, an intensives Schlagzeugspielen war nicht mehr zu denken.
Plötzlich fand sich Rutherford mit einer Menge freier Zeit und überschüssiger Kreativität wieder. „Ich kann mir noch lange nicht vorstellen, mich aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen, nur weil ich meine Schäfchen im Trockenen habe. Dazu bin ich viel zu gerne Musiker! Und vor allem: Songs zu schreiben ist wie eine Droge für mich!“ Mit einem Mal rückten Mike & The Mechanics wieder ins Zentrum von Rutherfords Überlegungen. ›Everybody Gets A Second Chance‹ heißt einer der schönsten Songs der Band aus dem Jahr 1991. Und so gibt es nun ein neues Leben für Mike & The Mechanics, inklusive neuer Mannschaftsaufstellung mit zwei Sängern. Dabei ist mit Andrew Roachford erneut ein prominenter Sänger mit einem souligen Timbre an Bord. Rutherford bestreitet aber, ihn bewusst für den Carrack-Part „gecastet“ zu haben: „Nein, auch das hat sich, wie vieles in meinem Leben, schlicht so ergeben. Ich kenne Andrew schon lange. Aber erst auf Initiative eines gemeinsamen Freunds schrieben wir erstmals gemeinsam einen Song. Das lief so gut, dass wir beschlossen, dass er Teil der Band sein soll. Aber es gefällt mir in der Tat, dass wir durch ihn wieder dieses R&B-Element in unserem Sound haben.“ Der Dritte im Bunde, der kanadische Broadway-Schauspieler Tim Howar, hat wesentlich weniger Erfahrung im Musikbusiness als Ruther- und Roachford. Der Bandleader verspricht sich dennoch Impulse von dem 33-Jährigen: „Er ist ja ein erfahrener Bühnenmensch, wenngleich auf ganz andere Weise als wir. Ich bin mir daher sicher, dass er eine ganz neue Energie in unsere Liveshows einbringen wird!“
Ein neuer Vibe prägt nach Rutherfords Empfinden auch das erste Album dieser neuen Mike & The-Mechanics-Generation: „Die ersten drei Songs auf dem Album waren auch die ersten, die fertig waren. Also der Titelsong ›The Road‹,›Reach Out (Touch The Sun)‹ und ›Try To Save Me‹ – die haben gleich so eine sommerliche Atmosphäre für das ganze Album gesetzt. Das sind richtige Wohlfühl-Songs.“