Johnny Cash: Stärker als der Tod

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Johnny Cash: Stärker als der Tod

Johnny Cash Forever WordsAuf dem Album FOREVER WORDS haben prominente Kollegen wie Kris Kristofferson, Elvis Costello und Chris Cornell aus neu entdeckten Texten der Country-Ikone komplette Songs gemacht. CLASSIC ROCK sprach mit John Carter Cash, dem Sohn von Johnny Cash und June Carter, über das Vermächtnis, die Liebe und den Glauben seines Vaters.

Wie ist es zu FOREVER WORDS gekommen?
Wenn ich die handgeschriebenen Texte meines Vaters las, habe ich immer Melodien dazu gehört. Nach seinem Tod fanden sich Tausende Seiten davon in seinem Büro. Es waren Liebesbriefe an meine Mutter dabei, Gedanken zur Bibel und eben diese Gedichte, diese Texte, die nie veröffentlicht worden waren. Wir stellten daraus schon vor ein paar Jahren das Buch „Forever Words“ zusammen. Denn ich finde, dass diese Worte seine Vielseitigkeit zeigen, seine glückliche, lachende Seite ebenso wie die Dunkelheit, die in seiner Natur lag, seine Kämpfe, seine Drogenprobleme auch. Aber das Wichtigste, was ich sah, war Hoffnung. Die Platte jetzt, die auf dem Buch basiert, be­­ginnt mit einem Gedicht, das mein Vater am Ende seines Lebens schrieb, in seinen letzten Wochen. Kris Kristofferson liest es. Es heißt darin: „The trees that I planted are still young/The songs that I’ve written will still be sung.” Dass er so positiv dachte in großer Not, ist wunderbar. Jedenfalls: Das Album entstand, weil ich glaube, dass er diese Stücke mit den Leuten teilen wollte. Und es gab Musiker, die sich der Herausforderung stellten, daran teilzuhaben: Von seinen Freunden über Verwandte, seine Tochter (Rosanne Cash), seine Stieftochter (Carlene Carter), bis hin zu Künstlern, die ihn respektierten, liebten und sein Vermächtnis würdig fortsetzen wollten.

Hast du einige der Texte für FOREVER WORDS schon vor dem Tod deines Vaters gekannt oder waren sie auch für dich allesamt neu?
Ich erinnere mich, ›Spirit Rider‹ gesehen zu haben, und ›Goin’, Goin’, Gone‹, aber ich erinnere mich nicht an die Musik, die er vielleicht einmal dazu gespielt hat. Wenn es sie irgendwo gäbe, ich würde sie so gerne hören. Er ist nicht mehr hier, um sie zu singen, doch er lebt in den Worten selbst. Und die Spannbreite an Menschen, die er mit seinem Werk erreicht hat, ist einmalig. Vom Punk in den Straßen von Hamburg bis zum Bluegrass-Gospel-Fan im Süden der USA, alle könnten sich über ihren Lieblingssong von Johnny Cash unterhalten.

In ›The Walking Wounded‹, gesungen von deiner Halbschwester Rosanne Cash, geht es um Menschen, die heimatlos sind, die ihre Hoffnungen verloren zu haben scheinen. Ist damit eine bestimmte Gruppe von Leuten gemeint oder gehören wir potenziell alle zu diesen Verwundeten?
Der Song handelt vom posttraumatischen Stresssyndrom. Mein Vater schrieb ihn wahrscheinlich in den 70ern unter Bezug auf die amerikanischen Vietnamveteranen. Er fühlte sich ihnen verbunden, denn sie hatten Kämpfe und große Not erlebt. Er selbst hatte große Schmerzen damals, sein Kiefer war gebrochen, schon zuvor hatte er sich eine Kniescheibe gebrochen, dazu mehrere Rippen. Kurz: Er hatte chronische Schmerzen. Aber er versuchte zu verstehen, dass es da Menschen gab, die von größeren Schmerzen ge­­plagt wurden als er, die viel schlimmere Narben ihrer Erlebnisse trugen. Am Ende des Stücks kommt dann heraus, dass wir alle Verwundete sind, dass wir alle die Lasten unserer Vergangenheit mit uns herumschleppen. Das Lied ist aber ebenso sehr das von Rosanne wie das meines Vaters. Ich glaube ihr, dass sie das ist, dass sie sich mit den Worten verbunden fühlt.

Zu den berührendsten Beiträgen des Albums gehört – vor dem Hintergrund seines Suizids – sicher der von Chris Cornell, mit Zeilen wie: „I know you feel the way I changed/But you can’t change the way I feel.“ Es ist, als hätte er das selbst ge­­schrieben.
Chris und ich haben uns bei einem Johnny-Cash-Konzert in den 90ern kennen gelernt. Er war ein Riesenfan, er erzählte mir, mein Vater habe ihn mindestens genau so sehr be­­einflusst wie jeder andere Künstler. Ich selbst bin mit Soundgarden aufgewachsen, als ich 19 war veränderte LOUDER THAN LOVE mein Leben. Es ist hart darüber zu reden, Mann. Ich verstand mich auf so vielen Ebenen mit Chris, er liebte die Musik meines Dads, beide sind wir als Kinder mit unseren Vätern auf Angelausflügen in Kanada gewesen. Als ich ihm den Text zu ›You Never Knew My Mind‹ gab, sagte ich, hey Mann, das ist heavy, aber ich denke, das passt zu dir. Darauf er: Jeder denkt ich bin so heavy! Darauf ich: Hey, du hast damit angefangen, ein Flanellhemd zu tragen. Du warst der erste, an den ich mich erinnere. Da musste er lachen. Wir waren Kameraden und Freunde, er war eine so höfliche, sanfte Person. Man kann in die Texte reinlesen, was man will: Ich verstehe Chris, ich höre sie auch so, wie du sie hörst, ich weiß, was sie meinem Vater bedeuteten, der 1967, als er das schrieb, seine Frau Vivian verlassen hatte. Auch Chris musste kämpfen, auch für ihn scheiterte eine Ehe. Mein Vater konnte von Hoffnungslosigkeit singen und schreiben und trotzdem mit Hoffnung im Herzen weitermachen. Das verband ihn mit Chris, der mit vollem Herzen dabei war. Das Stück ist so sehr mit seinem Leben verbunden, es war wie damals, als mein Dad zum ersten Mal ›Hurt‹ sang. Ich glaubte ihm, dass das seine eigenen Worte waren, weil er in seinem Leben einfach so fühlte.

›I’ll Still Love You‹ ist eine Liebeserklärung an deine Mutter June Carter. Elvis Costello interpretiert sie jetzt auf der neuen Platte…
Mein Vater und meine Mutter sangen früher ›Far Side Banks Of Jordan‹ zusammen, in dem es um die Liebe geht, die sie teilen werden, auch wenn sie die physische Welt verlassen haben werden. Er glaubte fest an diese Vision von Liebe über den Tod hinaus. Elvis war einer seiner Freunde, ich traf ihn erstmals in den 70ern in Nick Lowes Haus. Damals waren sie für mich nur eine Band, die großen Krach machte, ich wusste nicht, wer sie waren. Er hat ›I’ll Still Love You‹ jetzt auf sehr eigene und kunstvolle Weise aufgenommen, es ist wunderschön.

Ist es für dich eher ein Liebeslied oder ein religiöses Lied?
Ich würde es spirituell nennen. Das bedeutet für mich: eine Verbindung zur Wahrheit. Mein Vater trug das im Herzen. Religion ist von Menschen gemacht, Glaube und Verbindung zur Wahrheit sind etwas komplett anderes. Er war überzeugt, dass die Liebe, wenn sie stark genug ist, über den Tod hinaus bestehen kann, sogar die physische Liebe, die er zu meiner Mutter spürte.

Glaubte er an Gott?
Ich weiß nicht, ob er an den alten Mann oben in den Wolken glaubte…

…aber an ein Leben nach dem Tod und da­­ran, dass man die Menschen, die man liebt, auf welche Weise auch immer, wieder treffen wird?
Ja, davon bin ich überzeugt.

Nun hatte dein Vater in seinem Leben auch traurige Phasen zu überstehen, er hatte Drogenprobleme, er verlor Menschen, die ihm nahe standen. Was hielt seinen Glauben stark?
Im Alten Testament gibt es das Buch Hiob. Und in diesem Buch werden Hiob all diese Dinge weggenommen, wie seine Familie und seine Gesundheit. Mein Vater wusste, dass das Theaterstück, in dem wir leben, ein unperfekter physischer Ort ist, aber er war überzeugt, genau wie Hiob, dass am Ende alles seinen Sinn hatte, dass alles der Ordnung Gottes ge­­horchte und dass es keine Rache, keine Wut, keine Verurteilung oder Verdammnis darin gab. Er glaubte an eine übergeordnete Instanz, aber nicht an einen Gott des Zorns, der deshalb all diese Dinge in sein Leben tragen würde, das Leid, die Kämpfe, die Sucht, den Verlust seines Bruders, den seiner Ehefrau, noch bevor er starb. Er war niemals wütend auf Gott, genau wie Hiob. Das ist der Punkt.

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