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Iggy Pop: Keine Grenzen

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Iggy Pop: Keine Grenzen

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Iggy Pop kennt keine Kompromisse. Niemand sonst hat sich mit einer derart unverwüstlichen Konsequenz der Zerstörung hingegeben – der eigenen und der der anderen. Das macht ihn zum herausragenden Exponaten der wichtigsten popkulturellen Strömung der letzten 40 Jahre: Punk. Eine Exegese der Figur Iggy Pop und ihres wichtigsten Werkzeugs, des Körpers.

Er hätte Präsident der Vereinigten Staaten werden können. Jedenfalls behauptet das der englische Musikjournalist Paul Trynka in seiner Iggy-Pop- Biografie „Open Up And Bleed“: Iggy, so wurde es Trynka von dessen ehemaligen Mitschülern und Lehrern offenbar erzählt, sei von seinem einstigen Umfeld so ziemlich alles zugetraut worden, also auch die Präsidentschaft. Allerdings wurde Iggy Pop kein Präsident. Er wurde auch kein Anwalt oder Universitätsprofessor.

Nach bürgerlichen Konventionen betrachtet, wurde der am 21. April 1947 in Muskegon, Michigan geborene James Newell Osterberg, Jr. stattdessen: gar nichts. Damit war er der Erste seiner Art. Und nun ist er auch beinahe der Letzte, denn die meisten, die nach ihm kamen und sich an ihm orientierten, leben nicht mehr. Was er aber dann doch noch wurde und bis heute ist: der Godfather of Punk, was auch eine Art Präsidentschaft ist. Allerdings keine, die er innehätte, wenn er sich auf diesen Titel etwas einbilden oder sich von ihm geschmeichelt fühlen würde. Komplimente und
allzu staatstragende Einordnungen haben ihn stets misstrauisch gemacht. Und genau deswegen stimmt es erst recht: Iggy Pop IST der Pate des Punk, wie die meisten Leute ihn verstehen. Übrigens gar nicht mal in erster Linie musikalisch, doch dafür hat er die vorherrschende Attitüde des Punk gewissermaßen erfunden und mit Leben erfüllt.

Dieser Mann ist ein wandelndes Fuck You mit drei Ausrufezeichen. Die wichtigsten Eckdaten noch mal der Reihe nach: Iggy Pop hat Stagediving erfunden. Er war der erste, der auf der Bühne gekotzt hat, der sich in Glasscherben wälzte, sich mit Begeisterung in Schlägereien mit dem Publikum stürzte, ständig mit seinem Schwanz rumwedelte und so weiter. Er tat all diese Dinge zu einer Zeit, als der vorherrschende Hippie-Zeitgeist jenseits von Peace, Love und Räucherkerzengeschwenke überwiegend eine konstruktive Rebellion gegen das Establishment im Sinne hatte, an deren Ende die Protagonisten der 68er-Kulturrevolution bekanntermaßen durch die Institutionen und bis in höchste Staatsämter marschiert sind.

Ganz im Gegensatz dazu war die Protestform von Iggy Pop und seiner Band, den Stooges, eine ausdrücklich destruktive. Eigentlich war es ganz simpel: Einer Gesellschaft, in der es keine gerechte Verteilung gab, Rassismus alltäglich war und die in Vietnam einen sinnlosen Krieg führte, musste man den Spiegel vorhalten. Iggy & The Stooges antworteten auf Gewalt und Brutalität mit Gewalt und Brutalität. Und der Körper von Iggy Pop war das Schlachtfeld, auf dem dieser Protest im Wesentlichen ausgetragen wurde.

Es gibt nur sehr, sehr wenige Leute, die Körperlichkeit und Intellekt überzeugend in Einklang bringen können. Iggy Pop ist einer davon. Als Performer erreichte er so eine Intensität, die
man nur durch völlige Hingabe erreichen kann: Heute ist dieser wahnsinnige Körper übersäht mit Narben. Die Hüfte ist kaputt, sämtliche Gelenke sind verformt. Iggy war immer bereit, sich selbst zu opfern, ohne mit der Wimper zu zucken. Für was auch immer, meinetwegen auf dem Altar der Kunst. Vielleicht hat er gerade deshalb so lange durchgehalten.

In der Musik, die die Stooges auf ihren ersten beiden Alben veröffentlichten, war kein Licht und keine Schönheit. Sie war in ihrer archaischen Hässlichkeit hoffnungslos und tiefdunkel. Sie war dilettantisch vorgetragen, bewusst stupide gehalten, mit quälend endloser Repetition und atonalen Saxofonpassagen, die sich schmerzhaft mitten ins Hirn bohrten. Die Stooges waren im Wortsinne stumpf, brutal, vulgär – sie gaben weder sich selbst noch ihr Publikum irgendwelchen Illusionen hin.

›I Wanna Be Your Dog‹, ›No Fun‹ und ›T.V. Eye‹ waren Schläge in die Fresse der Hippie-Glückseligkeit. „Im Amerika von (…) Woodstock-Altamont ist die Rasierklinge eine mächtigere Waffe (…) als das Taschenmesser“, schrieb Lester Bangs damals in einem vielbeachteten Stooges-Essay fürdie Zeitschrift „Creem“.

Dabei hatte Iggy Pop die Hippies zunächst gar nicht bewusst abgelehnt. Ein Auftritt der Doors inspirierte den vormaligen Schlagzeuger, es Jim Morrison gleichzutun und ans Mikrofon zu wechseln. Iggy liebte die Doors und viele andere Bands der Zeit, aber er war eben ein bisschen krasser als alle anderen. Und irgendwann auch frustriert, dass keiner hören wollte, was er da machte mit diesem komischen Haufen Freaks. Dieser brachialen Band, deren Gitarrist in einer Naziuniform auftrat. Es kam also noch Wut hinzu. Neben Apathie, Individualismus und Nihilismus die vielleicht wichtigste Punk-Zutat.

Überhaupt wäre das ganze Iggy-Theater nur halb so gut gewesen, wenn es in irgendeiner Weise überlegt, kalkuliert oder geplant gewesen wäre. Zeitgenossen wie Alice Cooper oder David Bowie kreierten Kunstfiguren für die Bühne und streiften die Kostüme nach dem Auftritt mit mehr (Cooper) oder weniger Erfolg (Bowie) wieder ab. Die von James Osterberg geschaffene Kunstfigur Iggy Pop aber hatte niemals Feierabend.

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