Auf INFECTED herrscht wieder der Geist der frühen Tage, behauptet Bassist Fredrik Larsson. Tatsächlich werden sich Hammerfall auf alte Stärken besinnen müssen, um ihre Top-Position zu halten.
Die Zeiten haben sich im Musikbusiness grundlegend geändert – und mit ihnen auch die Philosophie und die Einstellung zur Arbeit: Als Hammerfall im Jahr 2009 ihr siebtes Studioalbum NO SACRIFICE, NO VICTORY veröffentlichten, stöhnten viele über den allzu glatten Sound der Scheibe (obwohl diese nichtsdestotrotz in hohe Charts-Regionen kletterte). Es schien, als hätte die Band all jene Qualitäten, die ihnen 1997 zum Durchbruch verholfen haben, komplett vergessen. Damals kam GLORY TO THE BRAVE in den Handel, eigentlich kein klassisches Debüt, sondern ein zum offiziellen Release aufgebretzeltes Demo. Produktionstechnisch kam die Platte kaum über Amateur-Niveau hinaus, überzeugte aber dennoch – und zwar dank ihrer unglaublichen Vitalität und Geradlinigkeit. Hammerfall agierten seinerzeit antizyklisch: Kein Mensch wollte Mitte der Neunziger traditionellen Heavy Metal hören. Doch die Schweden spielten ihn ohne Hemmungen – und rannten auch noch voller Inbrunst in veralteten Klamotten herum. „Es war absolut uncool, Heavy Metal zu mögen. Man tat gut daran, nicht zu erwähnen, dass man ihn sogar selbst spielt“, erinnert sich Bassist Fredrik Larsson, „Doch verdammt, wir trugen mit Stolz Nieten und Leder! Die Leute haben schnell kapiert, dass wir es ernst meinten und keine Comedy-Gruppe waren. Wir zogen unser Ding durch, weil das genau die Art Musik war, mit der wir aufgewachsen sind.“
Das ging lange Jahre gut, doch mit NO SACRIFICE, NO VICTORY gelangten Hammerfall vor zwei Jahren an einen Wendepunkt ihrer Karriere: Die Songs klangen zu durchschnittlich, die Produktion war perfekt, aber völlig leblos. „Schon die Alben vor NO SACRIFICE, NO VICTORY hörten sich viel zu überladen an“, sagt Larsson heute, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nicht Teil der Band war. „Es gab viel zu viele Sound-Schichten, die einfach übereinander gestapelt wurden, sodass am Ende alles zu flach klang, viel zu geschliffen. Die Ecken und Kanten fehlten. Auf dem Debüt hatten wir noch das Problem, dass wir unser Temperament kaum zügeln konnten, doch je größer das Produktionsbudget wurde, umso mehr rückte ein möglichst perfektes Ergebnis in den Fokus.“ Man hört es Larsson an: Er, der auf dem Debüt zu hören ist und seit 2007 wieder bei Hammerfall rockt, weiß, dass es Zeit für eine Umkehr war.
Die hat das schwedische Quintett mit ihrer neuesten Veröffentlichung INFECTED offenbar vollzogen. Die Scheibe entstand überwiegend in Eigenregie, für den Mix ging es schließlich in die USA. „Wir haben all dieses tolle Studio-Equipment in unserem Proberaum stehen. Daher wäre es reinste Geldverschwendung, es nicht zu nutzen“, sagt Larsson, „außerdem kennt sich Pontus (Norgren, Gitarrist der Band, Anm.d.A.) bestens damit aus. Daher war die aktuelle Produktion überaus entspannt. Die einzige Unsicherheit bestand darin, dass wir nicht wussten, ob wir wirklich ein gutes Resultat abliefern können, das den Ansprüchen der Fans gerecht wird. Schließlich handelt sich um eine offizielle Veröffentlichung, nicht bloß um ein intern herumgereichtes Demo.“
INFECTED soll also eine Art Neubeginn sein, eine Abkehr vom Schlendrian, der sich in den zurückliegenden Jahren eingeschlichen hat. Jetzt, so Larsson, ist sich die Band endlich wieder ihrer eigentlichen Berufung bewusst. „Als ich vor vier Jahren zu Hammerfall zurückkehrte, waren die Jungs etwas zu bequem und selbstzufrieden. Sie dachten, sie könnten den Elan ihrer Jugend durch ihre gesammelten Erfahrungen wettmachen.“ Ein Irrtum, wie die Musiker heute wissen. Denn eine Metal-Band, die sich auf ihren Lorbeeren ausruht, verliert schnell den notwendigen Biss, wie auch Larsson bestätigt: „Diese Musik lebt immer noch von Begeisterung, vom Hunger und von unbedingter Leidenschaft.“
Matthias Mineur