„Auf diesem Album sind Licht und Schatten, Schönheit und Wildheit vereint“, so Jake. „Innerhalb unseres Arbeitsmodus ist eine Balance der Elemente entstanden. Wie tief kannst du in den Ozean eintauchen, bevor du ertrinkst, wie nah an die Sonne fliegen, bevor du verbrennst? Das ist die Dualität, nach der wir streben.“ Josh führt weiter aus: „Thematisch liegt in diesem Album etwas leicht Esoterisches. Da gibt es viele Referenzen zum Okkultismus, viele psychedelische Texturen, altertümliche Themen.“ Daniel meint: „Und zur gleichen Zeit, wegen all seiner Ambitionen, geht diese Platte geradeaus, sie ist präzise, fast schon eine Rückkehr zu den Basics, mit denen wir vor zehn Jahren anfingen.“
„Im Grunde stehen wir auf den Schultern jener Riesen, die vor uns waren.“ (Daniel Wagner)
Greta Van Fleet begannen in Frankenmuth, Michigan, einer kleinen Stadt, die bekannt ist für Polka, gebratenes Hähnchen nach bairischer Art und für den weltgrößten Weihnachtsshop. Die drei Kiszka-Brüder waren aufgrund ihrer hippiesken Eltern einer wunderbaren Vinyl-Sammlung, einer DVD-Kollektion mit lauter Klassikern und einer Reihe Philosophiebüchern ausgesetzt. Nicht unbedingt normal für Kids des 21. Jahrhunderts. „Unsere Kindheit war schon ein besonderer Umstand. Man kann auch sagen, dass sie uns hier und da auch ein paar Hürden in den Weg stellte, beispielsweise waren wir ja völlig ahnungslos, was die damals aktuelle Musiklandschaft betraf. Im Schulbus oder bei Freunden zuhause hörten wir Radio und ich dachte mit nur: ‚Hmm, das berührt mich nicht ansatzweise so stark wie die Platten, die wir zuhause hören“, erklärt Jake. Die Sammlung ihrer Eltern zu plündern bedeutete, dass sie sich alles von „den Kings – BB, Albert und Freddie“ bis hin zu Cream, Bad Company und Rush anhörten.
Da überrascht es nicht weiter, wenn Jake die wundervoll nuancierten Gitarrenparts in ›Meeting The Master‹ beschreibt und dabei Blind Faiths ›Can’t Find My Way Home‹ und Jethro Tulls ›Reasons For Waiting‹ als Inspiration zitiert. Josh sagt: „Unser Haus war ein musikalischer Spielplatz.“, während sein Bruder Sam ergänzt: „Wir hatten LPs und CDs, wir konnten die Musik nicht nur hören, sondern auch anfassen und betrachten.“ Jake ist sich sicher: „Wären wir nicht mit diesen Alben aufgewachsen, wäre es sehr schwer, das zu tun, was wir heute tun. Es wäre nicht so ehrlich und organisch. Wir fühlen dieser Musik gegenüber große handwerkliche Verantwortung. Man erschafft einen Song und das braucht Zeit, ganz anders, als es mithilfe von Maschinen oder KI laufen würde. In dieser Hingabe und dem Handwerk liegt ein belohnendes Element. Irgendwann realisiert man, dass man ein Teil der Ahnenlinie dieses Dings namens Classic Rock wird.“
Schon in ihren Teenagerjahren haben die Brüder eine Band gegründet und spielten damals vor allem Covernummern und Blues, unter dem leicht abgeänderten Namen einer Matriarchin aus Frankenmuth, die Gretna Van Fleet hieß. Als ihr damaliger Drummer bei einem Gig nicht auftauchte, half ihr guter Freund Daniel Wagner aus. „Das war der Zeitpunkt, als Greta Van Fleet geboren wurden“, erinnert sich Josh zurück. „Nicht nur hatten wir plötzlich einen großartigen Drummer, sondern auch noch einen fantastischen Songwriter und Multiinstrumentalist in der Band.“ Der 10 Jahre andauernde Weg hin zu Arenen und Stadien, inklusive ihrem Debüt im weltberühmten Madison Square Garden in New York City, begann mit regulären Gigs in lokalen Bars, die ab und zu von Bikern besucht wurden. „Wir spielten oft in „White’s Bar“ in Saginaw“, erzählt Sam. „Auf der einen Seite der Bar war eine Biker-Gang, dann kamen die Biker einer anderen Gang herein und die beiden Seiten droschen sich grün und blau. Wir spielten derweil einfach weiter.“ Daniel: „Eine der Gangs meinte: ‚Hey, hängt in unserem Clubhaus im Wald ab und spielt für uns. Wenn ihr mal was braucht, gebt Bescheid. Und jetzt spielt nochmal Hendrix.“ Jake ergänzt: „Als ihnen unsere Musik gefiel, boten sie uns ihren Schutz an. Außerdem schenkten sie uns verrückte Sachen, so etwas wie Kojoten-Felle.“ Josh lacht laut: „Ich hab sogar noch ein paar davon.“ All das führte dazu, dass Greta Van Fleet entdeckt wurden, bei Lava Records unterschrieben und der Welt vorgestellt wurden. (Alleine in diesem ersten Jahr waren sie Gäste bei „Saturday Night Live“ im amerikanischen Fernsehen)
„Wir sind so nerdig, dass wir uns einen eigenen Begriff für das Greta-Van-Fleet-Universum ausgedacht haben.“ (Jake Kiszka)
Anfang 2020 zog die ganze Band nach Nashville um, ein Schachzug, der vielleicht seltsam erscheinen mochte. Doch Josh erklärt: „In unserer Kindheit besuchten wir im Sommer immer unsere Familie in Tennessee, das fühlte sich für uns also wie ein zweites Zuhause an. Nashville hat etwas elektrisierendes an sich. Ständig von so vielen, grandiosen Musikern und Freunden umgeben zu sein, ist erfrischend. Es ist toll, dass man zu jemandem in einer Bar einfach sagen kann: ‚Hey, lass uns was aufnehmen‘ und dann fährst du ein paar Minuten in das nächste Studio und nimmst einen Track auf.“ Auch wenn die Stadt für Country-Musik berühmt ist, merkt man schnell, dass die Szene viel vielschichtiger ist. Jake: „Wir waren echt überrascht, so viele junge Musiker zu treffen, die auch Rock’n’Roll spielen. Hier gibt es eine richtige Community. Da liegt was in der Luft. Es fühlt sich nach einer richtigen Bewegung an, wie die Greenwich Village Folk-Szene damals oder die Punk-Szene in Seattle.“ Nashville ist ja sozusagen die Schnalle des Bibelgürtels im amerikanischen Süden, also kommt man schwer umhin sich zu fragen, ob das einen Einfluss auf die neue Platte hatte, deren Lyrics eine durchaus gesunde Portion an Wörtern wie „pray“, „lord“; „prophet“, „master“ und „sacred“ enthält. „Mir gefällt die Poesie biblischer Texte, weil sie von einem Ort großer spiritueller Kraft kommt“, so Josh. Aber keiner von uns ist besonders religiös“, übernimmt Sam. „Wir betrachten das eher von einem literarischen Standpunkt aus. Wir sprechen über die Idee eines Gottes, nicht zwingend eines christlichen Gottes.“ Der formelle Ton altertümlicher Verse und Poesie zieht sich durch STARCATCHER und trennt es somit vom alltäglichen Rock-Sprech über Liebe und Verlangen. „Durch diese klassische Sprache kann man in einem einzigen Satz sehr viel visuelle Inspiration unterbringen“, führt Josh aus. „Es fühlt sich mythologsich an, als würde man eine alte Sage erzählen. Wie zum Beispiel die Zeile „Vengeance is a bow, and arrows only justice when fired“ aus ›The Archer‹. Mir gefällt die Idee, dass die Lyrics unsere wilderen, brutaleren Sound-Elemente
kontrastieren.“ Eine etwas bodenständigere Erklärung für die Wahl ihrer neuen Heimat ist, dass Nashville so voller Prominenz steckt, dass es irgendwie Paparazzi-frei geblieben ist. Wenn man also Nicole Kidman, Eric Church oder Peter Frampton ist, kannst man hier relativ unbehelligt seinem Alltag nachgehen. Auch wenn GVF Millionen untergebener Follower auf den gängigen Social-Media-Plattformen haben, wollen sie ein wenig Distanz aufrecht erhalten, um vielleicht einen Hauch Mystik zu wahren – ganz wie die Rockhelden der 70er Jahre. „Du hättest David Bowie doch nicht im Supermarkt sehen wollen“, lacht Sam. „Social Media verleitet zur übermäßigen Selbstdarstellung. Man muss das eigene Image also wirklich kontrollieren. Wir wollen so authentisch wie möglich bleiben.“ Daniel führt diese Überlegung weiter aus: „Ich denke, wir sprechen vor allem durch unsere Werke. So wollen wir mit dem Publikum kommunizieren, durch unsere Musik.“
Und genau das werden sie auch auf ihrer kommenden Welttournee tun. Irgendwelche Rituale vor der Show? Sam meint schmunzelnd: „Wir köpfen gerne ein Lamm, bevor wir auf die Bühne gehen.“ Jake fügt lachend hinzu: „Wir versuchen, uns gegenseitig zu erregen.“ Doch dann erklärt Sam etwas ehrlicher: „Josh ist vor der Show gerne alleine. Ab und zu kommt er zu uns, sagt sowas wie ‚Hey, könnt ihr den Anfang von ›Black Smoke Rising‹ spielen?‘ Wir spielen es, dann ruft er: ‚Oh nein, meine Haare!‘ und läuft zurück in seinen Raum.“ Josh grinst: „Naja, vor Shows bin ich immer noch nervös. Ich habe keine Angst, aber ich bin eben aufgeregt. Ich brauche einen ganzen Tag, um mich einzugrooven. Ich muss mich auch gut aufwärmen. Kurz bevor wir auf die Bühne gehen, trinke ich einen heißen Grog, das wirkt wie ein Wunderelixier.“ Daniel: „Schon Stunden vor der Stagetime haben wir unsere Instrumente in den Händen. Und dann warten wir bis zur letzten Sekunde, bevor wir auf die Bühne gehen. Fast schon wie ein blödes Spiel, wo wir uns gegenseitig übertrumpfen wollen.“ Auf die Frage, was nach STARCATCHER und der zugehörigen Tour kommt, zeigt Sam auf einen der großen Bäume, der über die Dachterrasse des Soho Hous ragt. „Stell dir einen Baum vor. Das Beste ist es, zu wachsen und sich zu häuten. Und das ist hoffentlich das, was wir mit der Rockmusik tun. Wir wollen nicht stagnieren und einfach nur jene Dinge wiederholen, die schon getan wurden.“