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Graveyard – Die Helden von Hisingen

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Graveyard – Die Helden von Hisingen

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Opener_Graveyard2012dDie Retrowelle rollt weiter durch den Rockozean. An vorderster Front
surfen nach wie vor Graveyard, ihr bandeigenes Bier „Hisingen Brew“ in der einen, ihr neues Album LIGHTS OUT in der anderen Hand.

Auf besagtem Drittwerk ziehen die schwedischen Classic Rock-Jünger die
düster-psychedelische Schraube ein gutes Stück weiter an – mit dem Begriff „retro“ darf man Schlagzeuger Axel Sjöberg deswegen noch lange nicht kommen.

Mal ehrlich: Was muss man tun, um sein eigenes Bier zu bekommen?
Verdammt viel Glück haben vielleicht? Als unser schwedisches Label mit dieser Idee ankam, waren wir zunächst allerdings recht skeptisch. Ich meine, wir sind Musiker und keine Bierbrauer. Dann stellten wir aber alsbald fest, dass Bier eine der Konstanten im Leben von Grave-yard ist und es durchaus Sinn ergeben würde, ein Graveyard-Bier auf den Markt zu bringen – vorausgesetzt, wir haben viel Mitspracherecht und bringen es zu einem Preis auf den Markt, den sich jeder leisten kann. Außerdem war uns wichtig, dass man es auch warm trinken kann, damit es das perfekte Bier für Festivals, Campingausflüge oder warme Sommertage im Park ist, wenn man mal keinen Kühlschrank in der Nähe hat. Eben ein Bier, das auch wir gerne trinken.

Wie schmeckt es denn?
Es ist ein Lager mit einem gewissen fruchtigen Ale-Touch. Als wir es in der Brauerei das erste Mal probierten, waren wir ehrlich gesagt alle nicht nur ein wenig überrascht, wie gut es war. Es ist ein wirklich süffiges Bier und kein billiger Mist, auf den man einfach das Graveyard-Logo geklebt hat.

Fühlt es sich so cool an, wie man es sich vorstellt, eine eigene Biermarke zu haben?
Klar, aber das schlägt niemals das Gefühl, auf der Bühne zu stehen und dich mit deinen Bandmitgliedern und dem Publikum verbunden zu fühlen. Die Musik kommt immer zuerst. Ohne sie gibt es nichts anderes.

Das Bier namens „Hisingen Brew“, davor das Album HISINGEN BLUES… seid ihr mittlerweile so etwas wie Lokalhelden in der Region um Göteborg und auf der Insel Hisingen?
Das hat die Leute schon ein wenig stolz gemacht, denke ich. Es gibt eine Fußballmannschaft, die ihr Stadion auf Hisingen hat und die unseren Song Hisingen Blues oft während ihrer Spiele verwendet. Manchmal sogar, wenn die Spieler die Kabine verlassen und den Rasen betreten. Das macht sogar mich stolz – und ich interessiere mich einen Dreck für Sport.

Wie stehst du generell zu eurer Heimat? Bist du eher der Lokalpatriot oder der, der nach einer Tour möglichst schnell wieder weg will?
Ich mag Göteborg sehr – oder zumindest die Ecken, in denen ich mich rumtreibe. Die Stadt ist sehr entspannt, man ist nett zueinander und kümmert sich nicht darum, ob du Punk, Metalhead oder ein Psychedelic Rock-Freak bist. Die Menschen sind verrückt nach Musik und pfeifen auf Genres, solange sie gut ist. Was mich zur Weißglut bringt, sind allerdings die Stadtherren. Sie wollen, dass alles neu und sauber ist, dass es poliert und teuer ist, damit sich irgendwann nur noch reiche Leute ihre Shoppingtrips leisten können. Was zum Teufel ist das überhaupt, Shopping? Als ich aufwuchs, war das noch nicht mal ein legitimes Hobby! Du hast was gekauft, weil du es gebraucht hast, und nicht nur, um etwas zu kaufen. Ginge es nach den Politikern, wäre Göteborg ein einziges Einkaufszentrum. Das ist doch Wahnsinn…

Auch in euren Songs schimmert durch, dass Schweden nicht immer das heile Urlaubsparadies ist, das wir von Astrid Lindgren kennen. Weshalb kommst du nach einer Tour dennoch gern nach Hause?
Schweden hat durchaus einige Vorteile. Das Krankenversicherungssystem beispielsweise, das mehr oder weniger kostenlos ist. Und die fantastische Musikszene natürlich. Außerdem darf man nicht vergessen, dass hier auch meine Familie und besten Freunde leben. Es könnte allerdings manchmal ein wenig unbürokratischer sein und nicht immer so regeltreu ablaufen. Orte wie Berlin haben mir gezeigt, dass es auch anders geht. Aber wo ist es schon perfekt?

Dass ihr überhaupt so häufig von einer Tour nach Hause kommt, hängt auch mit dem Erfolg des letzten Werkes HISINGEN BLUES zusammen. Wie unerwartet war das für euch?
Schwer zu sagen. Der Grund, weshalb das Album ein Erfolg wurde, hing mit dem vielen Touren zusammen. Und der Grund, weshalb wir viel live unterwegs waren, hing mit dem Erfolg von Hisingen Blues zusammen. Da haben wir es wieder. Was war zuerst? Die Henne oder das Ei? (lacht) Ich dachte zwar, dass die Dinge jetzt langsam ins Rollen kommen würden, hätte aber nicht damit gerechnet, dass sie so schnell so weit rollen würden. Ich hätte es bei den Aufnahmen zum zweiten Album beispielsweise niemals gedacht, bald darauf für Motörhead eröffnen zu dürfen.

Der Erfolg könnte auch damit zusammenhängen, dass ihr eine der ersten Bands wart, die sich diesem authentischen Retro-Rock im großen Stil hingaben. Wann wurde euch eure Bedeutung erstmals bewusst?
Da muss ich zunächst betonen, dass wir keinen „Retro-Rock“ spielen. Wir nehmen analog auf und verwenden Röhrenverstärker, doch damit hat es sich auch schon. Würdest du sagen, dass jemand ein Retrohaus baut, nur weil er Holz oder Ziegelsteine verwendet? Wir sehen uns als moderne Band, die ihre Variante des Classic Rock spielt. Und diese Musik gab es immer – wenn auch mal mehr, mal weniger populär. Um auf deine Frage zurückzukommen: Das geschah Schritt für Schritt. Jede Menge Leute bei Festivals, tolle Reviews, die Chance, für Giganten wie Iron Maiden, Motörhead oder Deep Purple zu eröffnen, ausverkaufte Shows… schwer zu sagen, wann wir uns dessen bewusst wurden. Ich kann mich aber noch an den Moment erinnern, als ich für den Drum-Soundcheck vor dem Gig mit Iron Maiden allein auf der Bühne war und in ein gigantisches Fußballstadion schaute. Das war surreal – und fühlte sich an, als hätten wir einen Schritt hinein in die Rock‘n‘Roll-Geschichte gemacht.

Das klingt, als hättet ihr seit HISINGEN BLUES nur noch Zeit für Graveyard gehabt…
Völlig richtig, Graveyard ist mittlerweile ein Fulltime-Job. Eigentlich sogar mehr als das: Seit die Platte rauskam, haben wir ungefähr 155 Shows gespielt und irgendwo dazwischen ein neues Album aufgenommen. Man kann durchaus sagen, dass wir gut zu tun hatten, ja.

Entsprechend hoch waren die Erwartungen an LIGHTS OUT. Wie habt ihr dafür gesorgt, dass ihr davon nicht abgelenkt werdet?
Wir waren derart vertieft in die Arbeit, dass wir von irgendwelchen Erwartungen nicht das Geringste mitbekommen haben. Meistens schreiben wir das Material gemeinsam und jammen dann mit der kompletten Band im Proberaum. Bei Graveyard läuft alles sehr demokratisch ab, allerdings mögen wir Albumaufnahmen nicht besonders und drücken uns gerne mal davor. Im Studio hörst du nämlich, wie du tatsächlich spielst – und nicht, wie du es dir vorstellst, wenn du im Proberaum oder auf der Bühne stehst. (grinst)

Habt ihr euch wenigstens ein wenig neues Vintage-Equipment gegönnt, um die Aufnahmen erträglicher zu gestalten?
Wir experimentieren immer mal wieder mit den verschiedensten Geräten herum, weil wir eine sehr genaue Vorstellung davon haben, wie wir klingen wollen. Diesmal haben wir unter anderem Amps von Orange und Hiwatt benutzt, aber früher oder später verliert man da den Überblick. Es war jedenfalls eine Menge Kram – alter wie neuer. Letztlich ist am Wichtigsten, wie du spielst und nicht, mit was du spielst. Es gibt schließlich großartige Platten, die mit richtig miesem Equipment aufgenommen wurden.

In Bezug auf die Spielweise könnte LIGHTS OUT fast live aufgenommen worden sein. Es klingt so spontan, roh und direkt wie die Platten der Sechziger und Siebziger.
Das kommt der Wahrheit auch ziemlich nah. Wenn mir die Drums mehr oder weniger glücken, behalten wir den ganzen Take und bügeln nur die gröbsten Fehler aus. Es ist also größtenteils live eingespielt. Natürlich kommen uns manchmal noch gute Ideen, wenn wir den Song schon eingespielt haben, aber das verändert den Sound auch nur sehr gering. Für mich muss ein Album live und organisch klingen. Alles andere langweilt mich.

Welche Vision hattet ihr für LIGHTS OUT?
Wir wollten ein größeres Spektrum abdecken. Der härteste Song ist wohl der härteste Song der Bandgeschichte, der sanfteste unser mit Abstand sanftester. Wir wollten uns diesmal in einem größtmöglichen musikalischen Universum bewegen, das dennoch überall den gewissen Graveyard-Touch aufweist. Wofür wir deutlich mehr Arbeit investierten, waren diesmal die Lyrics. Die machen die ganze Sache düsterer und bitterer.

Tatsächlich erscheinen die angeschnittenen Themen pessimistisch und tendenziell niedergeschlagen. Hat es was damit zu tun, dass das Album nach dem letzten Sommer mit seinen Reisen und Festivals geschrieben wurde?
Damit hat es eher weniger zu tun, glaube ich. Es ist eher die Reise an sich, dir wir in den letzten Jahren mit Graveyard unternommen haben. Ein Freund von mir meinte, das Album klinge wie ein grummeliger alter Mann. Mit einem gewissen psychedelischen Touch. Ich weiß zwar nicht, ob das die ganze Wahrheit ist, aber er hat damit gewiss nicht Unrecht. Letztlich spiegelt das Album nämlich den Zustand der Welt und gewisse persönliche Empfindungen, die einen durchaus grummelig werden lassen können. Das ist wohl normal, wenn man über das tägliche Leben schreibt.

›Fool In The End‹, ›Endless Night‹, ›An Industry Of Murder‹… viel Platz für Frohsinn gibt es auf LIGHTS OUT nicht.
Wie interessant ist fröhliche Musik denn bitteschön? Nenne mir eine gute fröhliche Band! (lacht) Ich würde das Album aber eher als nachdenklich beschreiben. Es ist nicht deswegen dunkel oder unglücklich, nur um möglichst böse zu wirken. Es reflektiert unsere Gedanken und Empfindungen – und diese kennen nun mal alle anderen Menschen dort draußen auch.

Aber eigentlich gab euch der Erfolg doch nicht unbedingt einen Anlass dazu, bitter und grummelig zu werden, oder?
Nein, das hat damit auch nicht das Geringste zu tun. Wir können mittlerweile von unserer Musik leben, und das ist ein wahr gewordener Traum. Als Musiker sind wir besser, selbstsicherer geworden, als Menschen sind uns aber die Dinge passiert, die einem Menschen nun mal widerfahren. Es gab gute Dinge, aber auch schlechte Dinge, und wenn man plötzlich auf der Straße erkannt wird, ist es schwer zu sagen, ob das nun gut oder schlecht ist. Uneingeschränkt gut ist allerdings, dass ich mittlerweile topfit in Geografie bin. Dieses ganze Touren kreuz und quer durch Europa hat quasi die ganzen Punkte zu einem großen Ganzen verbunden.

In gewisser Weise erinnern Graveyard an die Protestbands der späten Sechziger. Siehst du deine Band als Nachfolger dieser Acts, die schließlich auch das tägliche Leben besangen und Missstände in der Gesellschaft anprangerten?
So habe ich das noch nie betrachtet, aber vielleicht hast du ja Recht damit. Vielleicht haben wir dieses Vermächtnis mehr oder weniger unterbewusst angenommen? Wir sind zumindest überzeugt davon, dass in der Welt eine Menge falsch läuft und dass mehr und mehr willentlich ihre Freiheit und ihre Rechte abgeben, um sie großen Firmen oder dem Staat in die Hände zu legen. Für mich ist es völlig belanglos, wenn Bands über alte Könige, Piraten oder „Dungeons & Dragons“ singen, während um sie herum all das passiert. Manchmal muss ich mich da sehr wundern…

Diese alles andere als wohlmeinende Sicht auf die Welt wird schon vom Albumtitel und dem komplett schwarzen Cover versinnbildlicht. Nach dem detailverliebten HISINGEN BLUES-Artwork ist das natürlich ein Schock.
Klar, das soll es ja auch sein. (lacht) Wir wussten, dass wir das letzte Cover in Sachen Details und Ausstrahlung nicht toppen können. Also wollten wir ein Anti-Cover, sozusagen – und dennoch eines, das gut zur Musik passt und von dieser auch mit Bedeutung gefüllt werden wird. Ein Typ von unserer Plattenfirma verglich die beiden Alben auf visueller Ebene mit SGT. PEPPER‘S LONELY HEARTS CLUB BAND und dem WHITE ALBUM der Beatles. Und ein anderer meinte nur: Das ist so bescheuert, dass es schon wieder brillant ist.

Und letztlich nur möglich ist, weil ihr Graveyard seid und nach wie vor an vorderster Front dieses ungebrochenen Trends steht. Wie wertet ihr den Hype rund um althergebrachte, psychedelische Rockmusik?
Nun, es ist ein Trend, also wird er wie jeder andere Trend davor auch irgendwann verschwinden. Das ist der Unterschied zwischen einem Trend und einer guten Band: Der Trend geht, die Band bleibt. Um das weiterzuführen, möchte ich ein Phil Anselmo-Interview anführen, das ich kürzlich sah. Er wurde gefragt, was er Bands auf den Weg gibt, die ihn um Rat fragen, wie sie es „schaffen“ können. Er meinte, dass zu viele Bands auf einen Trend aufspringen, um dann nur das zu kopieren, was zwei Bands vor ihnen gemacht haben. Dabei müssten sie von jeder Band stehlen, die sie hören – wie es eben die guten Bands machen. Ich denke, dass darin eine ganze Menge Weisheit steckt. Wenn du es dir erlaubst, viele Einflüsse zu haben, wird deine Musik interessant werden. Und das bedeutet nicht, dass du eine Band starten sollst, deren Songs aus Polka, Death Metal und R‘n‘B bestehen.

 

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