The Sound Of Smørebrød: über den richtigen Umgang mit Retro-Rock-Bands und warum beherzte Schläge auf den Kopf letztlich auch keine Lösung sind.
Was das Schöne an der Rock-Kultur ist? Dass man den gleichen Witz immer wieder erzählen kann, weil ständig Leute nachwachsen, die ihn noch nicht kennen. Wir erinnern uns etwa an die 90er-Jahre, als eine Generation, die Steve Marriott wahrscheinlich für einen Hotelketten-Besitzer hielt und im Namen The Kinks einen Rechtschreibfehler vermutete, komplett aus dem Häuschen geriet, weil englische Musiker mit Ringo-Starr-Moptop, halbakustischer Gitarre und Bundeswehr-Parka den ganz heißen Scheiß namens Britpop erfanden.
Ein paar Jahre später waren es dann vornehmlich amerikanische The-Bands, die so taten, als sei Andy Warhols Factory nie geschlossen worden, kurz darauf folgten artig frisierte Legionen spröder Schmerzensmänner, die offenkundig nicht gewillt waren, das Ende von Joy Division zu akzeptieren.
Und heute?
Sind wir ungefähr in jener Ära angekommen, als regenbogengestreifte Olympia-Waldis, gelbe Synthetik-Schlaghosen und Männermatten bis zum Bauchnabel Ausdruck eines progressiven Lebensgefühls waren. Damit hier keine Missverständnisse auftauchen: Wenn eine junge bärtige Band aus dem mittelnordschwedischen Smørebrød oder sonst woher in Papis Plattensammlung Black-Sabbath-Scheiben entdeckt, spontan super findet und beschließt, künftig auch „sowas zu machen“, ist das einerseits völlig legitim und andererseits sogar durchaus erfreulich, denn es gibt in der Tat bedenklichere Inspirationsquellen.
Wenn dann aber gefühlte 547 Stoner-Doom-Psychedelic-Metal-Retro-Rocker rund um den Globus auf die gleiche brillante Idee kommen, kann’s auch mal etwas eintönig werden.
Zum stilechten Retro-Rock gehören natürlich Retro-Outfit und Retro-Equipment. Retro-Frise nicht zu vergessen, weshalb mich von manchen brandneuen Bandfotos mein Ian-Anderson-mähniger, Karl-Marx-bärtiger Mathe/Physik-Lehrer von 1979 anzustarren scheint – mit einer Einschränkung: Er war vermutlich nicht tätowiert. Glaube ich jedenfalls, beschwören kann ich’s nicht. Ansonsten: Freaky Styley! Aber halten wir uns nicht mit Äußerlichkeiten auf, denn daran reiben sich ohnehin bloß die Doofen.
Viel wichtiger ist der richtige Sound, und da lautet das Gebot der Stunde: analog!
Wie lustig: Als die Mehrheit der zeitgenössischen Retro-Rocker das Licht der Welt erblickte, wurde die Produktions-Software „Pro Tools“ gerade als geilstes Gadget seit Erfindung des Binärcodes gepriesen, aufgenommen wurde auf Harddisk. Der Fortschritt war unaufhaltsam!
Wer sich künftig noch immer mit zweifellos empfindsamen Bandgeräten abmühte (unbedingt beachten: hin und wieder den Azimut am Tonkopfspalt kontrollieren!), galt als kauziger Schrat, der vermutlich auch ein Trichtergrammophon besaß und Farbfernsehen für überbewertet hielt, zumal es der schwarzweiße „Graetz Markgraf“ doch noch tadellos tat. Das waren die Zeiten, als man bei eBay einstmals sündhaft teure Studio-Tonbandgeräte fast zum Elektroschrott-Tarif schießen konnte.
Leider vorbei! Wer heute was auf sich hält, nimmt auf Zweizoll-Tape auf, die 762m-Spule für schlappe 400 Euro. Und die ist, bedarfsgerecht eingesetzt, nach einer guten halben Stunde voll. Toll!
Vorbilder, Attitüde und Sound stimmen also meist, wenn Retro-Rocker zur Tat schreiten. Nur mit der Musik ist das manchmal so eine Sache. Nicht jede bärtige Band aus dem mittelnordschwedischen Smørebrød oder sonst woher schreibt Songs, die den Aufwand wirklich rechtfertigen. Von derlei postmodernem Mittelmaß gelangweilt verspürt man plötzlich den dringlichen Wunsch, doch wieder den alten Kram auf den Teller zu legen.
Das Ende aller Entdeckerfreuden! Oder auch: das öde Verharren im ewig Gleichen.
Was also tun?
Option 1: das Unternehmen „Löschkopf“. Man bittet den Türsteher-Hulk seines Vertrauens, einem so oft auf die Birne zu hauen, bis man alle Sabbath-Songs komplett vergessen hat und folglich völlig neu entdecken kann. Falls Hulk wider Erwarten eine pazifistische Grundgesinnung offenbaren sollte, helfen erfahrungsgemäß anzügliche Bemerkung über seine Mutti, um ans Ziel zu kommen. Erst einmal erreicht, ist man auf einen Schlag – oder zwei oder drei – nicht mehr auf die Rock-Recycler angewiesen, kann erstaunlich gut gelaunt und zum ersten Mal der originalen Klangkunst von 1971 lauschen, sollte sich aber beizeiten über die diversen Pflegestufen informieren.
Option 2: Unternehmen „Qualitätskontrolle“. Man meidet all jene Retro-Kapellen, die einen mit mehrfach gebrauchten, zu Neun-Minuten-Songs ausgewalzten Sabbath-Riffs anöden und auch noch erschreckend uninspirierte Soli darüber gniedeln.
Option 3: Unternehmen „Metamorphose“. Man wechselt das Genre, fühlt sich von den Flippers, Amigos und Semino Rossi emotional tief bewegt, substantiell angesprochen und intellektuell vollkommen erfüllt. Kann passieren, wenn beim Unternehmen „Löschkopf“ was schief gelaufen ist. Bedauerlicher Kollateralschaden, unter Umständen leider irreparabel. Wir tendieren also aus Sicherheitsgründen zu Option 2.