20 Thunder
WONDER DAYS
(earMUSIC/Edel)
Obwohl sich die englischen Hardrocker vorher schon zweimal aufgelöst hatten, kamen sie 2013 ein drittes Mal zusammen. Das Resultat eines langen Wiedervereinigungsprozesses mit etlichen Tourneen ist ihr zehntes Studio-Album, das zu den besten im Katalog des Quintetts gehört. Wie immer schrieb Gitarrist Luke Morley die Songs, der Rest nahm sie erfreut zur Kenntnis und dann auch auf. Trotz der Krebs-Erkrankung von Gitarrist und Keyboarder Ben Matthews, der hier nicht zu hören ist, klingt das Ganze rund wie immer. Sowohl Titelsong als auch Cover tragen autobiographische Züge, hier reflektiert Sänger Danny Bowes die Anfangstage der Londoner, als fünf picklige Teenager eine Band gründeten, um an die Mädels heranzukommen. Ein bisschen Melancholie schwingt bei dieser gelungenen Retrospektive mit, aber die war bei Thunder schon immer unterschwellig vorhanden. Wenn sie sich dann, wie in diesem Fall, an die musikalische Bandbreite halten, die einst von ihren Landsmännern Led Zeppelin Ende der 60er Jahre vorgegeben wurde, dann kommt automatisch eines der besten Hardrock-Alben der letzten fünf Jahre heraus. Thunders typischer Riff-Rock (›The Thing I Want‹, ›Black Water‹) ist hier ebenso vertreten wie akustische Ausflüge (›Rain‹), 70er-Jahre-Metal (›The Prophet‹) oder epischer Stoff (›When The Music Played‹). Und dass sie auch Rock And Roll in seiner puristischen Form können, beweist der Rausschmeißer ›I Love The Weekend‹. Die Pause hat ihnen sichtlich gut getan und es wäre verdammt schade, wenn diese Band sich irgendwie erneut verabschieden würde. Dass sie nämlich auch vor einem reinen Metal-Publikum überzeugen können, haben sie 2013 in Wacken gezeigt. Ein Mitschnitt dieses großartigen Konzertes liegt nämlich der limitierten Deluxe-Edition von WONDER DAYS bei. In ihrer Heimat England stieg das Comeback-Album Thunders übrigens auf Platz 9 in die Charts ein. Es war ihr erster Top 10-Hit seit 1995. Kein, äh, Wunder…
Jörg Staude
19 Steven Wilson
HAND.CANNOT.ERASE
(Kscope/Edel)
Der jüngste Prog-Präsident in der Geschichte des Rock findet 2015 neben seinen 5.1 Surround-Sound-Remix-Schlachten von Jethro Tull, Yes und XTC auch noch die Zeit, um mit dem Nachfolger des gefeierten THE RAVEN THAT REFUSED TO SING (AND OTHER STORIES) eine Platte von eiskalter bis glühender Intensität zu veröffentlichen.
18 Graveyard
INNOCENCE AND DECADENCE
(Nuclear Blast/Warner)
Ein drittes Mal mussten Graveyard ins Studio gehen, um endlich ihre verschiedenen Geschmacksrichtungen zu einer untrennbaren, homogenen Masse zu verschmelzen. Was wir auf INNOCENCE AND DECADENCE zu hören bekommen, ist eine vollkommene Original-Legierung aus Metal, Soul und Retro-Rock.
17 David Gilmour
RATTLE THAT LOCK
(Sony)
Mit Pink Floyd mag es das seit THE ENDLESS RIVER endgültig gewesen sein, deshalb aber verliert Gilmours DNA auch auf seinem neuesten Solo-Werk seit 2006 nicht einfach diesen unverwechselbaren atmosphärischen Sound, dieses markante Gitarrenspiel, diese sanfte Stimmung, die RATTLE THAT LOCK zu einem einfach wahrhaft schönen Werk macht.
16 Gary Clark Jr.
THE STORY OF SONNY BOY SLIM
(Warner)
Wenn du als neuer Heilsbringer eines gewissen Genres gefeiert wirst, kannst du eigentlich als Künstler nur verlieren oder mit beinahe unangemessener Gelassenheit eine neue Scheibe nachschieben, die gleich mit der gesamten amerikanischen Musikhistorie aufräumt. Und das tut Gary Clark Jr.: Der macht sich auf THE STORY OF SONNY BOY SLIM nämlich Blues, Rock, Soul, Hip Hop, R’n’B und Disco wie selbstverständlich zu eigen.
15 Noel Gallagher’s High Flying Birds
CHASING YESTERDAY
(Sour Mash/Indigo)
Es scheint wie blanker Hohn, eines der entspannt souveränsten Alben der letzten zwölf Monate so zu betiteln. Hier wird nicht gehetzt und in Richtung Vergangenheit ist hier auch keiner gewandt. Warum auch?Noel hat keinen Stress nötig. Er steht über den Dingen, denn er ist der Songwriter von Oasis.
14 Israel Nash
ISRAEL NASH’S SILVER SEASON
(Loose Music/Rough Trade)
ISRAEL NASH’S SILVER SEASON ist Musik gewordenes Gold, das in dieser puren Form – wie der Texaner hier zeigt – nicht nur Neil Young im Herzen trägt. Ohne geklaut zu haben, schwingen hier stets das Storytelling, der raue Folk, die wüste Psychedelic, die Weite des Americana-Landes und ja, auch die Stimme des Großmeisters mit.
13 Kadavar
BERLIN
(Nuclear Blast/Warner)
Musiker und ihre innig empfundene Beziehung zu Metropolen ist ein bücherfüllendes Thema. Die Stadt als Muse selbst, als urbane Personifizierung, als Projektionsfläche all dessen, wofür die Band steht, zieht sich kreuz und quer durch den Rock-Kanon. Berlin nimmt in diesem Kanon eine besondere Rolle ein. David Bowie, U2, Iggy Pop, sie alle kamen suchend nach Berlin. Und fanden. Fanden Inspiration für legendäre Klassiker, fanden aber auch den Exzess, den Taumel ins Bodenlose. Vor einigen Jahren verschlägt es wieder einmal ein paar Musiker nach Berlin. Hier gründen sie eine Band namens Kadavar, die sich in kurzer Zeit vom Geheimtipp zu Deutschlands führender Classic-Rock-Instanz entwickelt. Im Sommer 2015 trägt die Band dem Rechnung. Indem sie ihr drittes Album schlicht BERLIN betitelt, bringt sie zum Ausdruck, was in den fünf Jahren seit Bandgründung passiert ist. Das wäre ohne diese Stadt nicht möglich gewesen, sind sich die drei Bartträger sicher. In den großen Sonnenbrillengläsern des Cover-Girls spiegelt sich der Flughafen Tempelhof, ebenso nostalgieumweht gibt sich die Musik. Es ist ihr Geniestreich, dieses Album, der uneingeschränkte Höhepunkt und das vorläufige Ende einer beeindruckend dynamischen Bandentwicklung. BERLIN atmet die klassische Dreierbesetzung, rockt wie wild, hat beeindruckend arrangierte und toll komponierte Hits in Hülle und Fülle. Sogar die zugegebenermaßen nicht gerade leichte Aufgabe, Nicos sentimental-verdrogte Nummer ›Reich der Träume‹ zu interpretieren, gelingt ihnen scheinbar schlafwandelnd. So ist das eben, wenn man mal einen Lauf hat. Das wussten die Scorpions, die in den 70ern einen Klassiker nach dem anderem raushauten, das war auch Led Zeppelin klar, die in nicht mal drei Jahren ihre vier ersten Platten veröffentlichten. Für Kadavar ist BERLIN eine Weichenstellung, die sie 2016 mehr oder weniger konstant auf Tournee schicken und ihr eine rosige Zukunft bescheren wird. Für die Hauptstadt ist es nach all den Gossensongs über sie ein aufrichtig gemeinter Liebesbeweis. Mit Bart.
Björn Springorum
12 The Dead Daisies
REVOLUCIÓN
(Spitfire/Rough Trade)
Eine hochqualifizierte Herrenrunde, deren Mitglieder aus solch illustren Bands wie Thin Lizzy und Guns N’ Roses stammen, gründet eine Band nur aus einem Grund: Freude am guten, alten, patenten Rock. Die eine Bereicherung, die den Dead Daisies bei ihrem Debüt noch fehlte ist ihr neuer Sänger: John Crabi, ehemals Interimsfrontmann bei Mötley Crüe, macht REVOLUCIÓN mit seinem naturgewaltigen Organ zu einer leidenschaftlichen Liebeserklärung an die Musik.
11 Imperial State Electric
HONK MACHINE
(Sound Pollution/Rough Trade)
Auch wenn die Nachricht über eine One-Off-Show-Wiedervereinigung der Hellacopters mehr Staub aufgewirbelt hat als jede Hubschrauberlandung, beweist Nicke Andersson auch alleine beziehungsweise
mit seinen stärkeren Imperial State Electric, dass sein Retro-Rock immer etwas mehr kann als der – dank ihm grundlegend verzichtbare – „normale“ Retro-Rock seiner schwedischen Kollegen.