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Brian Eno im Interview: „Oft war vor allem ich der Untalentierte“

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Brian Eno im Interview: „Oft war vor allem ich der Untalentierte“

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Brian Eno hat mit Roxy Music die Welt der Rock-Sounds nachhaltig geprägt und nach seinem Ausstieg die elektronische Musik mit seinem Pioniergeist beflügelt. Vor einigen Jahren half er nicht nur seinem ehemaligen Kollegen Bryan Ferry auf dessen Soloplatte aus, sondern hatte 2014 auch ein eigenes neues Werk am Start. Der Titel: SMALL CRAFT ON A MILK SEA.

Wie geht’s?“, fragt Brian Eno freundlich, als er seine Studiotür öffnet und seinen Besuch in den umgebauten, ehemaligen Pferdestall im Londoner Stadtteil Notting Hill hineinlässt. Er hat gerade noch ein paar Bio-Muffins besorgt und das Wasser für die Ceylon-Kardamom-Mischung aufgesetzt, doch nun nimmt er sich erst einmal die Zeit, um seinen Arbeitsplatz zu zeigen. Der erinnert eher an eine Bibliothek als an ein Tonstudio. Thematisch nach Stichworten wie Architektur, Poesie, Reisen, Zukunftstheorien oder Geschichte geordnet, reihen sich Tausende von Büchern dicht an dicht. Selbst die Klolektüre – ein Band des englischen Bildhauers Antony Gormley, ein Werk des kanadischen Philosophen Marshall McLuhan und die Memoiren eines Erotik-Buchhändlers – ist ausgesucht eklektisch. An der Wand stehen mehrere Krachmaschinen, so genannten „Monochords“. Das sind meterlange Holzblöcke, auf denen eine elek-trisch verstärkte Saite befestigt ist. Eno hat sie extra für eine Klanginstallation bauen lassen.
In einem kleineren Nebenraum befindet sich das eigentliche Studio samt Archiv. In dem sind nach neuester Rechnung „6,9 Tage unveröffentlichter Musik“ gesammelt. Das Meiste davon, so Eno, „ist aber nicht besonders gut, schließlich gibt es einen Grund, warum es noch nicht erschienen ist“.

Dabei übersteigt allein Enos bis dato veröffentlichter Output den Umfang einer normalen Musikerkarriere bei Weitem. Er war Gründungsmitglied von Roxy Music, prägte den Sound der ersten Talking Heads-Alben, zeichnete maßgeblich für Bowies Berlin-Trilogie verantwortlich und wirkte auch bei einem Großteil der U2-Alben mit.
Brian Eno erkannte als einer der ersten Künstler, dass ein Studio nicht nur ein Ort zum Aufnehmen, sondern auch ein Ort zum Gestalten und Komponieren von Musik ist. Damit schaffte er die Grundlage für die heutigen Laptop-Produktionen. Ohne ihn gäbe es weder das Genre Ambient noch einen Windows 95- Sound, zudem programmierte er mit „Bloom“ eins der bisher besten Musik-Apps fürs iPhone. Das Eno-Album MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS nahm die Praxis des Sampling vorweg, indem der Künstler darin erstmals elektronische Musik mit afrikanischen und arabischen Sounds verwob – ein Werk, das großen Einfluss auf die spätere Arbeit von Prince, Aphex Twin oder Public Enemy hatte.

Doch trotz all dieser Verdienste: Auch nach über 40 Jahren im Geschäft bezeichnet sich Eno immer noch als „Nicht-Musiker“, der „kein einziges klassisches Instrument beherrscht“.

Brian, du bezeichnest SMALL CRAFT ON A MILK SEA als einen „Film-Soundtrack ohne Film“. Das ist eigentlich ein klischeehafte Beschreibung für instrumentale elektronische Musik…
Mag sein, aber ich beschäftige mich schon sehr lange mit diesem Thema. Ich lernte nämlich die Musik zu Fellinis Filmen kennen, bevor ich die Gelegenheit hatte, die Filme zu sehen. Den Soundtrack zu „Julia und die Geister“ aus dem Jahr 1965 liebte ich sofort. Die Musik stammt von Nino Rota, und sie besteht eigentlich nur aus zwei Stücken, die in verschiedenen Versionen wiederholt werden. Da gibt es dann etwa die traurige Harfen-Fassung oder die lebhafte Blechbläser-Version. Für mich als junger Musiker war dieser Gedanke sehr, sehr interessant. Da hatte jemand ein Skelett und legte dann viele verschiedenen Arten von Haut darauf. Zudem stellte ich mir mit Hilfe der Songtitel meinen eigenen Film dazu vor. Der hatte – wie sich später herausstellte – natürlich nichts mit Fellinis Film gemein. Doch ich lernte dadurch, dass man Musik bewegender machen kann, indem man etwas wegnimmt. In diesem Fall fehlte der Film, und dadurch wurde meine Fantasie angeregt. Ende der sechziger Jahre hatten die meisten Leute dank der massenhaften Verbreitung von Stereoanlagen erstmals die Möglichkeit, Musik in relativ guter Qualität bei sich zu Hause zu hören. Eine große Veränderung! Denn wenn jemand Musik nicht mehr an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt hören muss, sondern sie immer und immer daheim wieder hören kann, geht sie gewissermaßen in seinen Besitz über. Die Komponisten mussten sich im Zuge dessen neu mit ihrer Arbeit auseinandersetzen.

Auch heute findet wieder ein Wandel in Sachen Hörgewohnheiten statt…
Ja, die Musik ist flüssiger geworden. Ähnlich wie das Lesen. Ich habe festgestellt, dass sich mein Leseverhalten stark geändert hat. Wenn ich heute ein Buch lese, lese ich eher so, wie ich im Internet lese. Ich fange nur noch selten auf Seite 1 an und lese dann bis zum Ende durch. Ich schlage das Inhaltsverzeichnis auf und gehe dann zur Mitte und wieder zurück. Aber das geschieht nicht beliebig. Ich glaube, man entwickelt ganz gute Antennen dafür, was man lesen will. Etwas Ähnliches passiert auch mit der Musik. Das macht es natürlich schwieriger für die Komponisten, weil sie nicht wissen, wie Leute etwas hören werden, und ob es überhaupt noch sinnvoll ist, sich bei der Zusammenstellung der Liedabfolge eines Albums Mühe zu geben, wenn kaum jemand eine Platte durchhört. Das trifft sogar auf mich zu. Ich höre zwar nach wie vor sehr gern CDs, weil ich das Medium mag, aber ich stelle fast immer den Random-Shuffle-Modus an, weil ich überrascht werden möchte.

Warum erscheint SMALL CRAFT ON A MILK SEA dann als CD?
Ich mag CDs, aber ich mag vor allem auch Credits. Wenn man Sachen etwa in iTunes runterlädt, sieht man sie nicht. Das ist eine Schande. Und selbst wenn es ein digitales Booklet gibt, kann man die Credits nicht finden.

Berücksichtigst du bei der Arbeit auch, dass heute viele Leute die Musik in eher schlechter Audioqualität hören, nämlich in Form komprimierter Musikdateien?
Ja, ich erstelle eigentlich immer mp3-Versionen von meinen Stücken, um zu hören, wie das klingt. Aber ich fürchte, meine Ohren sind mittlerweile ziemlich taub, weil ich meist Schwierigkeiten habe, den Unterschied zu erkennen zwischen einer mp3-Datei und einer Aufnahme, die direkt aus dem Studio kommt. Manchmal kann ich das, aber generell finde ich, dass mp3s besser sind als ihr Ruf.

Wie schlagen sich die veränderten Hörgewohnheiten der Menschen in deiner Arbeit nieder?
Nun, dafür gibt es ein gutes Beispiel. Zurzeit helfe ich Fela Kutis Sohn Seun beim Abmischen eines Live-Albums – er war mit den verbliebenen Leuten von Felas Band und neuen Mitgliedern unterwegs und hat einige Shows mitschneiden lassen. Kurz bevor ich mir seine Aufnahmen anhörte, lief in meinem Studio ein neues R’n’B-Album. Plötzlich fand ich, dass die Kuti-Aufnahmen zwar großartig und aufregend, aber auch sehr unaufgeräumt klangen. Ich wusste zunächst nicht, was ich tun sollte: sie so lassen, weil sie ein Live-Dokument sind oder – wir leben schließlich im Jahr 2010 – sie so sorgfältig und clean zu produzieren wie diese R’n’B-Scheibe? Denn das ist natürlich zunächst eine ideologische Frage: Entscheidet man sich für die natürliche, organische oder für die gentechnisch veränderte Variante? Ich wählte Letztere, zumindest bei einem Song, denn ich wollte das mal ausprobieren. Mein Plan war, dieses Afrobeat-Stück zu nehmen und es so perfekt und frisch aufzupolieren wie diese R’n’B-Tracks, in denen jeder einzelne Moment vorsichtig abgewogen wird. Ich habe mal Will.i.am von den Black Eyed Peas bei der Arbeit zugesehen. Das war absolut faszinierend. Er verbrachte eine gesamte Nacht – und zwar von 20 Uhr bis 5 Uhr am nächsten Morgen – damit, bei einem fünf Minuten langen Drumtrack die einzelnen Beats per Maus so zu verschieben, dass sie leicht neben dem Takt liegen – und damit so klingen, als wären sie von einem Menschen gespielt. Man kann so etwas natürlich per Software korrigieren lassen, so etwas nennt sich „Humanizer“. Aber Will.i.am verschob die Beats einzeln mit der Hand. Ich dachte: „Wahnsinn, das ist eine völlig neue Art von Handwerk!“ Es gibt ein Publikum, das daran gewöhnt ist, diese speziellen Präzisions-Musikproduktionen zu hören. Dasselbe habe ich mit dem Seun-Kuti-Track versucht. Eine Art Kraftwerkisierung von Kuti. Er hat es noch nicht gehört, aber ich bin gespannt, was er davon hält.

Sind auch auf SMALL CRAFT ON A MILK SEA solche Methoden zum Einsatz gekommen?
Ja, aber das passiert fast automatisch. In der klassischen Musik gab etwa alle 40 Jahre eine Klangrevolution. Als Steinway das dritte Pedal am Flügel erfand, war das zum Beispiel ein ungeheurer Durchbruch: Komponisten wie Debussy schrieben eine Menge neuer Stücke. Heute finden Veränderungen dieser Tragweite fast jeden Tag statt. Das ist wie das Mooresche Gesetz: Die Sound-Möglichkeiten verdoppeln sich alle paar Monate. Als ich anfing, machte ich Tape-Experimente. Leute fanden heraus, dass man Tonbänder auf halber Geschwindigkeit laufen lassen konnte. Das war damals eine Sensation! Heute passiert so etwas ständig. Das Problem ist eher, dass niemand mehr mit den Entwicklungen Schritt halten kann. Man ist die ganze Zeit damit beschäftigt, die Neuerungen zu verdauen. Auf dem neuen Album haben wir zum Beispiel viel Software von Michael Norris eingesetzt, einem Komponisten, der Processing-Tools erstellt, Dinge also, bei denen man an einem Ende einen Sound eingibt und am anderen Ende etwas völlig anderes rauskommt. Als Komponist muss man sich dann überlegen, was man mit so einem neuen Werkzeug anfängt. Leo Abrahams, der Gitarrist, mit dem ich für dieses Album zusammengearbeitet habe, gibt seine Sounds in diese Tools ein, und heraus kommt etwas, das ganz anders klingt. Auf dem Album wird fast auf jedem Stück Gitarre gespielt, nur dass es sich nicht danach anhört – wie bei dem harschen Beat in ›Flint March‹.

Das neue Album ist das Resultat einer Zusammenarbeit mit den beiden Musikern Jon Hopkins und Leo Abrahams. Warum diese Kollabora­tion?
Ganz einfach: Ich schätze Minimalisten, also Leute, die ohne viel Aufhebens zu großen Resultaten gelangen. Piet Mondrian war der Maler, den ich als Kind am meisten bewunderte. Es war wie Magie, dass so etwas Simples wie diese typischen Mondrian-Bilder mit drei Primärfarben, die mit ein paar Linien voneinander getrennt sind, solch eine große Wirkung haben konnte. Ich fand auch immer schon Zauberer eindrucksvoll, die es schaffen, einen mit einem einfachen Kartentrick zu täuschen. Chris Martin von Coldplay ist in gewisser Art das Gegenteil davon. Wenn ich mit ihm zusammenarbeite, ziehe ich ihm zum Beispiel Handschuhe an, nur damit er nicht so viele Noten auf dem Klavier spielt. Und ich mag Leute, die von etwas besessen sind. Ich bin der Überzeugung, dass alles Gute entweder der Besessenheit oder der Begeisterung entspringt. Man muss nicht begeistert sein, um von etwas besessen zu sein, und man muss auch nicht besessen sein, um sich für etwas zu begeistern. Aber eines von beiden muss vorhanden sein, wenn man etwas erreichen will. Oft höre ich mir mit Leuten Musik an, die dann sagen: „Ach, diese Idee hatte ich schon vor Jahren.“ Ich antworte dann: „Ja, aber du hast es nicht gemacht. Du warst nicht besessen genug. Diese Person dagegen war so besessen davon, dass sie es auch wirklich durchgezogen hat.“ Talent hingegen erachte ich für nicht besonders wichtig. Virtuosität kann mitunter hilfreich sein, aber sie interessiert mich meist nicht sonderlich.

In der Vergangenheit gab es aber doch oft Brian Eno-Projekte, an denen sehr talentierte Musiker beteiligt waren…
Ja, aber auch viele untalentierte. Na ja, oft war vor allem ich der Untalentierte (lacht). Darin unterscheidet sich Popmusik von klassischer Musik: Der beste Musiker ist nicht unbedingt der richtige Musiker für einen Job. Ein Beispiel: Maureen Tucker von Velvet Underground. Sie ist eine lächerliche Schlagzeugerin. Ich meine, ich spiele genauso gut Schlagzeug wie sie, und das will was heißen. Aber es war absolut revolutionär, dass es eine Rockband gab, in der eine Schlagzeugerin spielte, die nur jeweils eine einzige Trommel benutzte. Gleiches gilt für Adam Clayton von U2. Man kann sich U2 ohne Adam überhaupt nicht vorstellen – und doch ist er nicht gerade das, was man einen guten Bassisten nennen würde.

Wie erklärst du dir, dass Musikproduzenten heute zu den größten Stars im Musikgeschäft gehören?
Dazu muss man erst einmal klären, was ein Musikproduzent überhaupt ist. Das ist ja ein lustiger Begriff. Leute, die mit Musik nichts zu tun haben, denken, dass er so etwas wie ein Filmproduzent ist. Oder auch ein Toningenieur, der die Sounds nett klingen lässt. Und es stimmt ja beides. Es gibt Produzenten, die nur die Sessionmusiker organisieren. In Kanada habe ich mal einen Produzenten getroffen, dessen Hauptbeitrag war, dass er sich für den besten Fadeout-Künstler der Welt hielt. Er bestand darauf, jeden Song eigenhändig auszufaden. Einmal schlief er über dem Mischpult ein, seine Hand noch am Fader. Als es an der Zeit war, den Fade zu machen, zog ihn der Toningenieur einfach auf seinem Stuhl nach hinten, und der Fade war im Kasten (lacht). Das ist das eine Extrem, das andere sind Produzenten wie Giorgio Moroder, Phil Spector oder eben heutige R’n’B-Produzenten, die die ganze Musik erschaffen und bestimmen, wo es hingeht, wem es gehört und so weiter. Ich befinde mich wohl irgendwo in die Mitte zwischen diesen beiden Polen. Gruppen, die sich schon sehr lange kennen, hören meist auf, sich zu überraschen, weil jeder schon weiß, was der andere vorhat. Deshalb engagieren sie mich. Ich bin das Zufallselement, das die Dinge zu einem anderen Muster zusammenfügt. Eine Art „Randomisierer“.

Große Produzenten sind oft unberechenbare, extreme Persönlichkeiten. Du hingegen wirkst besonnen. Woher kommt das?
Nun, ich nehme an, dass Drogen bei extremen Menschen eine wichtige Rolle dabei spielen. Und ich war noch nie ein großer Drogenkonsument. Wenn man als Produzent lange Außenseiter war und dann plötzlich eine Reihe von Millionen-Hits hat wie Phil Spector, dann kann das zu Größenwahn führen. Ich dagegen hatte nie eine Reihe von Riesen-Hits, und ich fühlte mich auch nie als missverstandenes Genie. Ich habe vorhin von Besessenheit gesprochen: Phil Spector war definitiv besessen. Es heißt, dass er für seinen Hit ›To Know Him Is To Love Him‹ eine kurze Streicherpassage 34 Mal neu aufnehmen ließ. Er nahm jede Version mit nach Hause, hörte sie die ganze Nacht an und ließ sie am nächsten Tag erneut einspielen. Um so etwas zu machen, muss man schon etwas verrückt sein. Aber am Ende war es vermutlich die beste Streicheraufnahme, die je auf einer Platte zu hören war. Meine Besessenheit ist etwas anders gelagert. Ich bin besessen von der Frage: „Wozu ist Kunst da?“ Man denkt, dies sei eine Frage, die schon vor Ewigkeiten irgendwer ein für allemal beantwortet haben müsste. Aber für mich ist sie noch immer unbeantwortet. Und so lange das so ist, arbeite ich weiter.

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