Das Gitarren-Ass Ayron Jones aus Seattle verwandelt seine harte Jugend in einen großen, fiesen, grungigen, bluesigen Rocklärm – und kämpft dabei stetig gegen rassistische Stereotypen an.
Die Vorstellung des Rock-Rebellen, der aus der Gosse aufsteigt, um nach den Sternen zu greifen, ist so anziehend, dass sie zum Klischee geworden ist. Und angesichts der Zahl an Künstlern, die ihre faden Lebensläufe aufpolieren, um dem Archetyp des kämpfenden Musikers zu entsprechen, der sich gegen alle Widrigkeiten nach oben arbeitet, kann man leicht skeptisch werden, wenn mal wieder einer mit einer derartigen Vita daherkommt. Im Fall von Ayron Jones verkneift man sich solchen Zynismus besser. Er musste nicht nur schon früh im Leben mit großen Herausforderungen fertigwerden, etwa dem Tod seiner Eltern und dem Aufwachsen bei Pflegefamilien (ganz abgesehen von den vielen Nachteilen, die daraus entstehen, im urbanen Amerika schlicht und ergreifend dunkelhäutig zu sein).
Als Musiker musste er zudem unablässig gegen rassistische Vorurteile kämpfen, die auch auf die Musik angewendet werden. Ein schwarzer Junge, der Hardrock spielt? Sind wir nicht alle tolerant genug, um das nicht infrage zu stellen? „Das Thema kommt leider immer noch auf“, sagt Jones und grinst gequält. „‚Bist du ein Rapper? Rappst du? Bist du DJ? Produzent?‘ Das frustrierte mich früher sehr, aber irgendwann nutzte ich es zu meinem Vorteil. Heute will ich fast, dass du mich für einen Rapper hältst, bevor ich auf die Bühne gehe, damit du am Ende dein eigenes Vorurteil reflektieren musst und die Frage, woher das kommt, verstehst du?“
Natürlich kommt es von Stereotypen, wie sie sich etwa offenbaren, wenn zum Beispiel ein weißer Rapper bei einem Open-Mic-Abend in einem HipHop-Club aufkreuzt (wenn wir Eminems Film „8 Mile“ glauben können). Der Hintergrund für Jones ist jedoch von bitterer Natur, wenn man sich die fehlenden Chancen für Schwarze in den USA vor Augen hält. „Wir mussten mit all den Schwierigkeiten klarkommen, die damit einhergehen, ein Schwarzer in Amerika – oder eigentlich überall in der westlichen Welt – zu sein“, so Jones. „Eben, dass man, ob bewusst oder unbewusst, als Bürger zweiter Klasse betrachtet wird. Dann muss man gegen diese Vorbehalte ankämpfen, um überhaupt erst mal so wie andere Bands behandelt zu werden. Das war anstrengend. Und das ist es manchmal immer noch.“ Doch es ist ein Kampf, den er gewinnt, denn heute hat er sich einen Namen gemacht, beginnend in seiner Heimatstadt Seattle, die für ihr reiches Erbe in Sachen Rockmusik bekannt ist.
Sein gerade erschienenes Majorlabel-Debüt CHILD OF THE STATE verbindet kernigen, wütenden, Grungebeeinflussten Hardrock mit der emotionalen Wucht des Blues, unwiderstehlichen Grooves und frenetischen Ausbrüchen an der Leadgitarre – die richtigen Zutaten, um ein Publikum weit über den Nordwesten der USA hinaus zu finden. Jones ist weit gekommen, seit er sich in seinen frühen Teenagerjahren selbst Gitarre und Schlagzeug beigebracht hat. Damals lebte er bei seiner Tante und seinem Onkel. Sie hatten ihn aufgenommen, nachdem er seit seinem vierten Lebensjahr immer wieder in Pflegefamilien gelandet war, während seine Eltern daran scheiterten, ihre Drogensucht in den Griff zu kriegen. Er sagt, er habe der Musik den Fokus auf schwierige Emotionen ebenso wie einen Ausweg aus der Armut zu verdanken, was in der Single ›Take Me Away‹ angedeutet wird. „In dem Song geht es darum, wie ich all meine Energie und Konzentration in meine Gitarre und meine Musik stecke, um mich aus welcher Situation auch immer zu retten, in die ich geboren wurde.“
Seine Sporen verdiente er sich in der örtlichen Coversband Ayron Jones & The Way. Das Trio veröffentlichte 2013 auf eigene Faust das Album DREAM, produziert vom Rap-Rebellen Sir Mix-A-Lot aus Seattle, bevor er dann 2017 als Solokünstler AUDIO PAINT JOB herausbrachte, betreut vom einstigen Screaming-Trees-Schlagzeuger Barrett Martin. Mittlerweile protegiert von heimischen Größen, bat Barrett ihn, 2017 als Frontmann seiner Supergroup Levee Walkers mit Duff McKagan und Mike McCready von Pearl Jam auf der Single ›All Things Fade Away‹ zu singen. McKagan lud ihn außerdem ein, in jenem Jahr für Guns N’ Roses zu eröffnen. Jones hat daneben schon die Bühne mit u. a. B.B. King, Public Enemy und Jeff Beck geteilt. „Ayron ist ein so einzigartiger und grandioser neuer Künstler aus Seattle“, sagte McKagan im Rolling Stone. „Ich ging zu einem seiner Konzerte und es war eine dieser Shows, bei denen mir bewusst wurde, wie froh ich bin, dass ich mich für die Musik als meinen Weg entschieden habe.“
Jones ist eine eloquente, enthusiastische Persönlichkeit, und man gewinnt den Eindruck, dass er in jedem Umfeld auf sich aufmerksam gemacht hätte, doch er führt die Unterstützung seiner Heimat als wichtigen Faktor an, worauf der Albumtitel CHILD OF THE STATE hinweist. „Meine Eltern starben, bevor ich mit der Musik anfing, also sahen sie mich nie spielen. Meine Tante und mein Onkel, ebenso wie meine Cousins und Cousinen im Bundesstaat waren die Leute, die mich großgezogen haben. Hier in Seattle, Washington – das ist die Stadt und der Staat, die mir wirklich die Gelegenheit gaben, ich selbst zu werden, als Mensch und als Künstler.“
Dieser unbeirrbare Stolz auf seine Wurzeln, geografisch wie kulturell, donnert auf dem Albumopener ›Boys From The Puget Sound‹ aus den Boxen. Der Song streckt zudem all jenen einen angepissten Mittelfinger entgegen, die Jones und seiner Band auf dem Weg nach oben das Leben schwer machten. „Der Song entstand, weil Leute immer wieder die Bullen riefen, wenn wir ihnen zu laut waren. Das geht auch wieder auf das Stigma zurück, nicht dem gängigen Bild einer Rockband zu entsprechen: Man kommt herein und sieht einen Haufen schwarzer Typen … Wir bekamen so oft die Cops auf uns gehetzt. Einmal waren wir in einer Halle in Utah, die für laute Musik gemacht war, und sie riefen trotzdem die Bullen. Also war dieser Song jedes Mal, wenn wir auf die Bühne kamen, ein großes ‚Fuck you‘ an alle, die sich uns in den Weg gestellt haben. Nach dem Motto [zitiert den Text]: ‚We’ll blow out all these fucking windows, here come the boys from the Puget Sound‘.“
Wenn wir irgendwann wieder in geschlossenen Räumen auf Konzerte gehen können, freuen wir uns schon darauf, zu bezeugen, wie Ayron und seine Freunde in paar Scheiben aus der Wand blasen. „Ich hatte mich schon auf die Festivals in diesem Jahr gefreut, Mann“, sagt er begeistert. „Es ist so traurig, dass wieder alles abgesagt wurde. Aber da gibt es wohl eh keine Fenster, die wir zertrümmern könnten, oder?“ Das ist wohl wahr, doch Ayron Jones wird auch so einen Weg finden, auf sich aufmerksam zu machen.
Text: Johnny Sharp