Axel Rudi Pell: Kein seelenloser 08/15-Kram

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Axel Rudi Pell: Kein seelenloser 08/15-Kram

Dass die härtesten Rocker oft die schönsten Balladen schreiben, ist keine wirklich neue Erkenntnis – schon gar nicht im Kontext von Metal-Gitarrenheld Axel Rudi Pell. Wie sonst könnte es sein,
dass der Bochumer mit BALLADS VI nun schon die sechste (ja tatsächlich!) Zusammenstellung eher ruhiger, romantischer Stücke aus seinem enormen Repertoire präsentiert und diese dennoch von seinen zahlreichen Fans auf der ganzen Welt sehnsüchtig erwartet wird?

Axel, auch wenn die meisten Hard-&- Heavy-Fans dich als Shredder an den sechs Saiten kennen und lieben gelernt haben, bist du mittlerweile – quasi nebenher – ein veritabler Experte für sanfte Klänge geworden. Deshalb gleich zu Beginn diese Frage: Was macht für dich eine gute Rockballade aus?
Sie muss mich rühren – am besten zu Tränen. Bei Balladen geht es ganz allein um Emotionen. Du kannst den kompositorisch perfekten Song schreiben, aber wenn du dabei kein Gefühl reinlegst, kannst du ihn vergessen.

Und wie macht man das?
Ein Song muss leben, muss etwas Eigenes haben, etwas das ihn von der Norm abweichen lässt. Es ist einfach, eine „Schnulze“ am Reißbrett zu entwerfen, genauso wie einen typischen Pop-, Country- oder Reggaetrack. Herrgott, dafür gibt es mittlerweile schon Computer-Software. Das Ergebnis wäre aber seelenloser 08/15-Kram. Was ein Lied, und speziell eine Ballade außergewöhnlich macht, ist die persönliche Note. Das Ganze muss atmen und darf und soll gern ein bisschen eigenwillig anmuten. Eine Rockballade steht und fällt zudem mit ihrer Melodie. Ohne die kannst du Gefühle noch und nöcher reinhauen – es würde nichts bringen, weil sie sinnlos verpuffen. Ebenso andersrum: Eine tolle Melodie ohne ein emotional stimmiges Arrangement ist verschwendet. Die Kombination, das Zusammenspiel aus beidem, macht’s.

Wenn du dich daran machst, ein ruhiges Lied zu schreiben, gehst du dabei anders vor als bei knackigen Hardrock-Nummern?
Ich habe mich noch nie mit der Absicht hingesetzt, eine Ballade zu schreiben. Das geht nicht auf Knopfdruck. Ich komponiere ohne Plan, spiele einfach drauf los. Manchmal kommen dabei Heavy-Tracks heraus, manchmal Schleicher, oft aber auch tagelang nichts. Es war noch nie so, dass ich dachte: ‚Oh, dem neuen Album fehlt noch eine Midtempo-Nummer, ein harter Rocker oder eben ein ruhiger Titel – den schreibe ich jetzt einfach mal.‘ Das funktioniert so nicht. Wenn du auf diese
Weise Musik machst, landest du ganz flott bei der eben beschriebenen Reißbrett-Situation. (lacht)

Neben ein paar bereits von den regulären Alben bekannten Liedern hast du BALLADS VI drei neue eigene Nummern beigefügt, aber auch zwei exklusive Coverversionen – ›Diamonds And Rust‹ von Joan Baez und den Kansas-Hit ›Dust In The Wind‹. Warum gerade diese beiden Klassiker?
Ich höre im Auto viel Radio. Wenn dann ein Song kommt, der mich berührt oder den ich in meiner Jugend geliebt und jetzt aber lange nicht gehört habe, denke ich beinahe automatisch darüber nach, ob und wie er im ARP-Kontext klingen könnte. Bei diesen beiden kamen mir schnell sehr konkrete Ideen. Es ist wichtig, dass du bei einem Cover etwas anderes, etwas Eigenes einbringst. Es macht doch keinen Sinn, das Original eins zu eins nachzuspielen. Bei dem ursprünglichen Folkstück ›Diamonds And Rust‹ gibt es aber schon eine geniale Hardrockversion von Judas Priest. Es wäre also überflüssig gewesen, es in diese Richtung zu überarbeiten. Zudem hat Ritchie Blackmore das Lied mit Blackmore’s Night in ein Renaissance-Gewand gekleidet, das ebenfalls sehr gelungen ist. Meine Idee lautete nun, die drei Varianten irgendwie unter einen Hut zu bringen, und das im arenatauglichen Breitwand-Balladenformat. Das war nicht einfach, hat aber Spaß gemacht, und ich
bin mit dem Resultat sehr zufrieden.

Und wie lief es bei ›Dust In The Wind‹?
Da war der Ansatz eher gegenteilig. Hier habe ich versucht, das Stück auf seinen Kern zu reduzieren und es noch ruhiger, noch sanfter und klarer klingen zu lassen. Das haben wir erreicht, indem wir das Arrangement komplett auf Akustikgitarre, Keyboards und Gesang fokussiert haben. Inspiriert dazu wurde ich von einem YouTube-Video von Brian May, das ich mal gesehen hatte und an das ich denken musste. Bei uns kommt dann im hinteren Teil aber noch ein kerniges, elektrisches Solo dazu. Bass und Schlagzeug setzen selbst hier nicht ein, sondern sind komplett ausgespart. Was
jeden, der mich und meine Band kennt, vielleicht ein wenig überrascht.

Aber das ist ja auch mal nicht schlecht, oder? Apropos Band: Ihr geht im April und Mai auf ziemlich fette Tour durch Deutschland, aber auch andere Länder wie die Schweiz, Schweden und die Niederlande. Wirst du dabei ein paar der neuen Slow-Songs spielen?
Wir werden versuchen, zumindest ›Morning Star‹ in die Show einzubauen. Ansonsten handelt es sich bei den bevorstehenden Dates aber um die wegen der Pandemie seit 2020 mehrfach verschobenen Touren zu den Platten SIGN OF THE TIMES und LOST XXIII. Wobei wir erfreulicherweise noch ein paar zusätzliche Termine hinzufügen konnten. Aktuell ist das Live-Geschäft ja für viele Acts eine schwierige Sache. Die Leute nach fast drei Jahren auf dem Sofa wieder in die Hallen zu bekommen, scheint nicht so einfach. Bis auf einen Termin in Norditalien, den wir aufgrund schwacher Vorverkäufe wieder canceln mussten, haben wir Glück, dass auch die Tickets für unsere restlichen neu angesetzten Auftritte sehr guten Absatz finden.

Die Tour wird also eine klassische Hardrock-Show bieten. Hast du aufgrund des Erfolgs der BALLADS-Zusammenstellungen schon mal darüber nachgedacht, einen kompletten Abend mit ausschließlich ruhigen Nummern zu präsentieren – „BALLADS on Tour“ sozusagen?
Nein, das würde ich nicht machen wollen. Ich bin im Herzen Rocker. (lacht) Zwei Stunden lang nur ruhiges Material zu spielen, wäre langweilig – nicht nur für das Publikum, sondern vor allem für
mich selbst. Ich habe schon Unplugged-Konzerte mit rein akustischer Instrumentierung besucht. Nach spätestens 30 Minuten bin ich da immer abgehauen, weil mir die Dynamik fehlte. Zu Hause
eine Balladen-Platte aufzulegen, ist prima. Die lasse ich laufen, solange ich Spaß daran habe, und kann sie dann jederzeit ausmachen. Aber einen ganzen Abend nur ruhig dazusitzen und langsame Nummern anzuhören oder gar zu spielen, würde ich nicht aushalten.

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