Bislang waren Avenged Sevenfold ein rein amerikanisches Phänomen: Eine Band aus Huntington Beach, die ganz ungeniert auf den Spuren altgedienter Hardrockgötter wandelt und damit Millionen von Alben verkauft. Doch jetzt nehmen Sänger M. Shadows und Co. auch den deutschen Markt ins Visier. Im Gepäck: Ein Epos, das ebenso größenwahnsinnig wie revolutionär anmutet – cineastischer Breitwand-Metal für Fortgeschrittene.
Treffpunkt Berlin. M. Shadows alias Matthew Charles Sanders betritt die Interview-Suite am Potsdamer Platz – und wirkt in dem mondänen 450-Euro-Ambiente so deplatziert wie Stoiber beim Christopher Street Day: Der 32-Jährige trägt Turnschuhe, Blue Jeans, Metallica-T-Shirt und Baseballkappe zu bunten Tattoos und schulterlanger Metal-Mähne. Eben Wayne‘s World 2013 – und das exakte Gegenteil seines bisherigen Rockstar-Looks aus kurzen, gegelten Haaren, Goldbeißerchen und angewachsener Easy Rider-Brille. „Ganz ehrlich? Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass das nicht echt ist, dass ich wie ein Klischee wirke und mich vielleicht sogar ein bisschen dahinter verstecke“, setzt er in einem Anfall von Selbstreflektion an. „Jetzt verkörpere ich, was ich bin – ein großes Metal-Kid.“
Wobei das „groß“ wörtlich zu nehmen ist: Zumindest in den USA ist der Mann von der kalifornischen Westküste bestens im Geschäft. In den letzten 15 Jahren hat er nicht weniger als acht Millionen Tonträger verkauft und den etablierten alten Herren (Guns N‘ Roses, Judas Priest, Iron Maiden und Co.) gewaltig das Wasser abgegraben. Einfach, weil man durch sein Gothic-Image (Totenköpfe, Fledermäuse, etc.) ein junges, visuell orientiertes Publikum anlockt. Weil man sich fanorientiert gibt und ohne divenhafte Allüren auskommt. Sprich: A7X – wie sie gerne genannt werden – bilden eine leichte Identifikationsfläche, verkörpern die Maxime „von Fans für Fans“ und leben nicht nur von ihrem Backkatalog, sondern schreiben moderne, harte Rockmusik mit klassischem Touch. Sprich: Sie folgen ihren Helden, ohne sich jedoch des Plagiats schuldig zu machen. „Ich bin ein fanatischer Metallica-Fan“, gesteht M. Shadows. „Doch obwohl ihre Art des Songwritings fest in meinem Unterbewusstsein verankert ist: Ich käme niemals auf die Idee, sie 1:1 zu kopieren.“
Klangwunder
Eine Theorie, die er mit seinem sechsten Studio-Epos HAIL TO THE KING unterstreicht. Ein Werk, das allein klangliche Maßstäbe setzt – als eines der bestproduzierten Hard‘n‘Heavy-Alben aller Zeiten. Denn was Studio-Crack Mike Elizondo (u.a. Mastodon, Switchfoot) hier auftischt, ist ein cineastischer Breitwand-Sound, der an Hollywood-Scores von John Williams, Danny Elfman oder Hans Zimmer erinnert: Voll orchestriert (Bläser, Streicher, Chöre) und so bombastisch, dass gesträubte Nackenhaare garantiert sind. Eben ein richtiges Metal-Hörspiel, das zudem Anleihen bei Blues, Jazz und klassischer Musik aufweist sowie von handwerklicher Raffinesse bzw. hohem künstlerischen Anspruch zeugt. Kein Zufall, wie M. anführt: „Wir wollten etwas anderes machen als das, was gerade Usus ist. Also ein Album, das herausragt, statt sich anzupassen. Und das einen starken Drumsound hat. Was sich zum Beispiel am Song ›Planets‹ festmachen lässt – an diesem Marschmusikrhythmus. Zudem haben wir uns von all den süßen kleinen Sachen getrennt, die in der Vergangenheit immer ein bisschen kitschig rüberkamen. Wie die betont melodischen Parts, aber auch die duellierenden Gitarrenriffs. Die haben wir durch eine kräftige Portion Blues und coole klassische Arrangements ersetzt.“
Ein Hauch von Freddie
Womit sich der gutgelaunte Frontmann als echter Wolf im Schafspelz outet. Eben als ehrgeiziger Musiker, dem es nicht reicht, in einer Sparte erfolgreich zu sein. Was sich auf HAIL TO THE KING gleich an mehreren Stellen festmachen lässt. Etwa an ›Requiem‹, das Queens ›Bohemian Rhapsody‹ in Nichts nachsteht, mit einem mehrstimmigen Choral aufwartet und zudem in waschechtem Latein gehalten ist. „Das war das Härteste, was ich je gemacht habe“, lacht unser Gegenüber. „Wir haben extra einen Linguisten von der UCLA verpflichtet, der im Studio aufgepasst hat, dass ich jedes einzelne Wort richtig betone. Denn es war mir wichtig, da nicht irgendeinen Blödsinn zu machen. Im Sinne von: Die Worte ergeben keinen Sinn, oder die Aussprache bzw. die Betonung sind falsch. Wenn man sowas tut, dann darf man sich keine Blöße geben. Wobei ich keine Ahnung habe, wie wir das live umsetzen sollen. Also ich werde das jedenfalls nicht singen – weil ich nicht Freddie Mercury bin. Sollen sich doch die anderen dabei blamieren.“
Moderne Teufel
Dabei standen nicht nur Queen bei den zehn ausufernden Songs Pate, sondern auch Led Zeppelin, die das Spiel von Ausnahmegitarrist Synyster Gates prägen, sowie die Rolling Stones, deren ›Sympathy For The Devil‹ die lyrische Vorlage zum Opener ›Shepherd Of Fire‹ liefert. „Ich finde die Stones haben großartige Stücke geschrieben, gerade in den späten 60ern und frühen 70ern. Und ich mag die Art, wie sie den Teufel beschreiben. Eben nicht als Monster mit Hörnern und Pferdefuß, sondern als unauffälligen Anzugträger, der seine Opfer mit unmoralischen Angeboten ködert. Eben: ,Wie wäre es hiermit oder damit? Dafür musst du mir nur deine Seele geben.‘ Und das Tolle an ›Sympathy For The Devil‹ ist, dass der Teufel über sich selbst spricht, und dir seine Sicht der Dinge schildert. Was etwas Faszinierendes hat. Etwas, das dich zum Nachdenken bringt. Das haben wir nur zu gerne aufgegriffen.“ Schließlich, so fügt er hinzu, seien solche diabolischen Figuren im modernen Amerika an der Tagesordnung, weil „sich alles nur noch ums Geld dreht.“ Weil Moral, Skrupel und Ethik wie Begriffe aus einer anderen Zeit wirken. Und weil das Gesetz des Stärkeren gilt.
West Memphis Three
Eine Form von Gesellschaftskritik, die man A7X kaum zugetraut hätte, und die ihren Höhepunkt im Song ›Heretic‹ erreicht. Nämlich in einem mutigen Vergleich des vieldiskutierten Verfahrens gegen die „West Memphis Three“ (drei zu unrecht als Mörder verurteilte Teenager) mit den historischen Hexenverbrennungen von Salem. Eine nonchalante Abrechnung mit der US-Justiz und mit staatlicher Willkür: „Es ist ein Unding, das so etwas bis heute passiert. Dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer religiösen Überzeugung, ihrer Kleidung, ihrer Frisur oder ihrer musikalischen Vorlieben beurteilt werden. Das ist eine moderne Form der Hexenjagd – in einem Land, das sich als Rechtsstaat versteht. Und als die Jungs nach 18 Jahren freikamen, weil sich ihre Unschuld nicht länger leugnen ließ, haben sie nicht einen Cent als Entschädigung erhalten. Das ist wirklich ein Skandal.“
The Rev
Deutliche Worte von einem Mann, der um einiges smarter ist, als es seine Profession und sein Lifestyle vermuten lassen. Denn natürlich haben M. und seine Jungs den Aufstieg der letzten Dekade, in der die Schülerband aus der Punk/Skater-Szene zum millionenschweren Rock-Act gereift ist, auch entsprechend gefeiert. In einem Ausmaß, dass Drummer James Sullivan, genannt „The Rev“, am 28. Dezember 2009 im Alter von gerade Mal 28 Jahren starb. Laut M. der Auftakt zum radikalen Umdenken innerhalb der Band. „Ganz ehrlich: Es war mehr als ein Warnschuss. Es war so, als würde man uns eine Pistole an die Schläfe halten und sagen: ,Werdet endlich erwachsen – und zwar sofort. Hört endlich auf damit, euch wie kleine Jungs zu benehmen.‘ Das haben wir getan und wirklich ein paar Gänge zurückgeschaltet.“
Was sich z.B. darin äußert, dass er Ex-Tourmanagerin Valary DiBenedetto geheiratet hat und seit Sommer 2012 stolzer Vater eines kleinen Jungen namens River ist, der auch für den Albumtitel verantwortlich ist: „Als wir irgendwann in gemütlicher Runde zusammen saßen, habe ich ihn in die Luft gehalten und gebrüllt: ,Hail To The King!‘ Was dann hängen geblieben ist – weil es alle toll fanden. Außerdem ist es eine Hommage an The Rev, der ebenfalls ein verdammter König war, und den wir schmerzlich vermissen.“
Selbst wenn Nachfolger Richard Arin Ilejay (Ex-Confide), der sämtliche Tracks des neuen Albums eingespielt hat, scheinbar ein würdiger Ersatz ist: „Natürlich hat das Schreiben diesmal länger gedauert. Denn wir mussten Arin erst einmal verständlich machen, was wir wollen. Nämlich jede Menge Groove, aber gleichzeitig ein sehr technisches, präzises Spiel. Ohne Schnickschnack und direkt auf den Punkt. Was er auch hinbekommen hat, selbst wenn die Aufnahmen – das gebe ich offen zu – anfangs eine ziemliche Tortur waren. Einfach wegen der hohen Erwartungen.“
Der letzte Mohikaner
Schließlich hoffen A7X mit HAIL TO THE KING auch endlich den deutschen Markt zu knacken. Denn während sich Großbritannien und Skandinavien als Selbstläufer erwiesen, genießen sie hierzulande immer noch reinen Insider- und Kultstatus. Einfach, weil sie nie so viel Arbeit in Live-Konzerte und Interviews investiert haben, wie in ihrer Heimat, sondern sich lediglich auf Auftritte bei Rock am Ring/Rock im Park beschränkten. „Deutschland ist für uns so etwas wie der letzte Mohikaner“, lacht denn auch M. und zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, woran das liegt. Aber ich habe das Gefühl, dass man uns hier nie richtig verstanden hat, dass man nicht weiß, wie man uns einordnen soll und ob wir nicht nur ein Haufen Poser sind. Da kann ich nur sagen: Wir nehmen das, was wir machen, verdammt ernst. Wir spielen die Musik, die wir lieben. Und nur, weil andere Bands schon 30 Jahre dabei sind, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie besser sind als wir. Ich finde, die Leute müssen sich auch mal für neue Sachen öffnen. Eben für Bands wie uns, die der Szene frische Impulse geben wollen.“
Heißer Herbst
Wobei M. alle Hoffnung auf die Herbsttournee legt. Denn da hat der Fünfer zum ersten Mal seine komplette US-Produktion dabei. Mit gigantischer Lightshow und jeder Menge Pyrotechnik, die Unsummen verschlingt. „Wir werden draufzahlen, keine Frage“, sinniert der Sänger. „Was aber nicht weiter schlimm ist. Ich sehe das als Investition in die Zukunft. Eben in einen Markt, den wir bislang sträflich vernachlässigt haben, der aber jetzt ganz oben auf unserer Liste steht. Einfach, weil uns klar geworden ist, dass wir hier ein bisschen mehr investieren müssen, als woanders. Und dazu sind wir bereit. Wir sind eine Band, die gerne hart arbeitet, Mann.“ Der kräftige Händedruck zum Abschied spricht Bände…
Treffpunkt Berlin. M. Shadows alias Matthew Charles Sanders betritt die Interview-Suite am Potsdamer Platz – und wirkt in dem mondänen 450-Euro-Ambiente so deplatziert wie Stoiber beim Christopher Street Day: Der 32-Jährige trägt Turnschuhe, Blue Jeans, Metallica-T-Shirt und Baseballkappe zu bunten Tattoos und schulterlanger Metal-Mähne. Eben Wayne‘s World 2013 – und das exakte Gegenteil seines bisherigen Rockstar-Looks aus kurzen, gegelten Haaren, Goldbeißerchen und angewachsener Easy Rider-Brille. „Ganz ehrlich? Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass das nicht echt ist, dass ich wie ein Klischee wirke und mich vielleicht sogar ein bisschen dahinter verstecke“, setzt er in einem Anfall von Selbstreflektion an. „Jetzt verkörpere ich, was ich bin – ein großes Metal-Kid.“
Wobei das „groß“ wörtlich zu nehmen ist: Zumindest in den USA ist der Mann von der kalifornischen Westküste bestens im Geschäft. In den letzten 15 Jahren hat er nicht weniger als acht Millionen Tonträger verkauft und den etablierten alten Herren (Guns N‘ Roses, Judas Priest, Iron Maiden und Co.) gewaltig das Wasser abgegraben. Einfach, weil man durch sein Gothic-Image (Totenköpfe, Fledermäuse, etc.) ein junges, visuell orientiertes Publikum anlockt. Weil man sich fanorientiert gibt und ohne divenhafte Allüren auskommt. Sprich: A7X – wie sie gerne genannt werden – bilden eine leichte Identifikationsfläche, verkörpern die Maxime „von Fans für Fans“ und leben nicht nur von ihrem Backkatalog, sondern schreiben moderne, harte Rockmusik mit klassischem Touch. Sprich: Sie folgen ihren Helden, ohne sich jedoch des Plagiats schuldig zu machen. „Ich bin ein fanatischer Metallica-Fan“, gesteht M. Shadows. „Doch obwohl ihre Art des Songwritings fest in meinem Unterbewusstsein verankert ist: Ich käme niemals auf die Idee, sie 1:1 zu kopieren.“
Klangwunder
Eine Theorie, die er mit seinem sechsten Studio-Epos HAIL TO THE KING unterstreicht. Ein Werk, das allein klangliche Maßstäbe setzt – als eines der bestproduzierten Hard‘n‘Heavy-Alben aller Zeiten. Denn was Studio-Crack Mike Elizondo (u.a. Mastodon, Switchfoot) hier auftischt, ist ein cineastischer Breitwand-Sound, der an Hollywood-Scores von John Williams, Danny Elfman oder Hans Zimmer erinnert: Voll orchestriert (Bläser, Streicher, Chöre) und so bombastisch, dass gesträubte Nackenhaare garantiert sind. Eben ein richtiges Metal-Hörspiel, das zudem Anleihen bei Blues, Jazz und klassischer Musik aufweist sowie von handwerklicher Raffinesse bzw. hohem künstlerischen Anspruch zeugt. Kein Zufall, wie M. anführt: „Wir wollten etwas anderes machen als das, was gerade Usus ist. Also ein Album, das herausragt, statt sich anzupassen. Und das einen starken Drumsound hat. Was sich zum Beispiel am Song ›Planets‹ festmachen lässt – an diesem Marschmusikrhythmus. Zudem haben wir uns von all den süßen kleinen Sachen getrennt, die in der Vergangenheit immer ein bisschen kitschig rüberkamen. Wie die betont melodischen Parts, aber auch die duellierenden Gitarrenriffs. Die haben wir durch eine kräftige Portion Blues und coole klassische Arrangements ersetzt.“
Ein Hauch von Freddie
Womit sich der gutgelaunte Frontmann als echter Wolf im Schafspelz outet. Eben als ehrgeiziger Musiker, dem es nicht reicht, in einer Sparte erfolgreich zu sein. Was sich auf HAIL TO THE KING gleich an mehreren Stellen festmachen lässt. Etwa an ›Requiem‹, das Queens ›Bohemian Rhapsody‹ in Nichts nachsteht, mit einem mehrstimmigen Choral aufwartet und zudem in waschechtem Latein gehalten ist. „Das war das Härteste, was ich je gemacht habe“, lacht unser Gegenüber. „Wir haben extra einen Linguisten von der UCLA verpflichtet, der im Studio aufgepasst hat, dass ich jedes einzelne Wort richtig betone. Denn es war mir wichtig, da nicht irgendeinen Blödsinn zu machen. Im Sinne von: Die Worte ergeben keinen Sinn, oder die Aussprache bzw. die Betonung sind falsch. Wenn man sowas tut, dann darf man sich keine Blöße geben. Wobei ich keine Ahnung habe, wie wir das live umsetzen sollen. Also ich werde das jedenfalls nicht singen – weil ich nicht Freddie Mercury bin. Sollen sich doch die anderen dabei blamieren.“
Moderne Teufel
Dabei standen nicht nur Queen bei den zehn ausufernden Songs Pate, sondern auch Led Zeppelin, die das Spiel von Ausnahmegitarrist Synyster Gates prägen, sowie die Rolling Stones, deren ›Sympathy For The Devil‹ die lyrische Vorlage zum Opener ›Shepherd Of Fire‹ liefert. „Ich finde die Stones haben großartige Stücke geschrieben, gerade in den späten 60ern und frühen 70ern. Und ich mag die Art, wie sie den Teufel beschreiben. Eben nicht als Monster mit Hörnern und Pferdefuß, sondern als unauffälligen Anzugträger, der seine Opfer mit unmoralischen Angeboten ködert. Eben: ,Wie wäre es hiermit oder damit? Dafür musst du mir nur deine Seele geben.‘ Und das Tolle an ›Sympathy For The Devil‹ ist, dass der Teufel über sich selbst spricht, und dir seine Sicht der Dinge schildert. Was etwas Faszinierendes hat. Etwas, das dich zum Nachdenken bringt. Das haben wir nur zu gerne aufgegriffen.“ Schließlich, so fügt er hinzu, seien solche diabolischen Figuren im modernen Amerika an der Tagesordnung, weil „sich alles nur noch ums Geld dreht.“ Weil Moral, Skrupel und Ethik wie Begriffe aus einer anderen Zeit wirken. Und weil das Gesetz des Stärkeren gilt.
West Memphis Three
Eine Form von Gesellschaftskritik, die man A7X kaum zugetraut hätte, und die ihren Höhepunkt im Song ›Heretic‹ erreicht. Nämlich in einem mutigen Vergleich des vieldiskutierten Verfahrens gegen die „West Memphis Three“ (drei zu unrecht als Mörder verurteilte Teenager) mit den historischen Hexenverbrennungen von Salem. Eine nonchalante Abrechnung mit der US-Justiz und mit staatlicher Willkür: „Es ist ein Unding, das so etwas bis heute passiert. Dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer religiösen Überzeugung, ihrer Kleidung, ihrer Frisur oder ihrer musikalischen Vorlieben beurteilt werden. Das ist eine moderne Form der Hexenjagd – in einem Land, das sich als Rechtsstaat versteht. Und als die Jungs nach 18 Jahren freikamen, weil sich ihre Unschuld nicht länger leugnen ließ, haben sie nicht einen Cent als Entschädigung erhalten. Das ist wirklich ein Skandal.“
The Rev
Deutliche Worte von einem Mann, der um einiges smarter ist, als es seine Profession und sein Lifestyle vermuten lassen. Denn natürlich haben M. und seine Jungs den Aufstieg der letzten Dekade, in der die Schülerband aus der Punk/Skater-Szene zum millionenschweren Rock-Act gereift ist, auch entsprechend gefeiert. In einem Ausmaß, dass Drummer James Sullivan, genannt „The Rev“, am 28. Dezember 2009 im Alter von gerade Mal 28 Jahren starb. Laut M. der Auftakt zum radikalen Umdenken innerhalb der Band. „Ganz ehrlich: Es war mehr als ein Warnschuss. Es war so, als würde man uns eine Pistole an die Schläfe halten und sagen: ,Werdet endlich erwachsen – und zwar sofort. Hört endlich auf damit, euch wie kleine Jungs zu benehmen.‘ Das haben wir getan und wirklich ein paar Gänge zurückgeschaltet.“
Was sich z.B. darin äußert, dass er Ex-Tourmanagerin Valary DiBenedetto geheiratet hat und seit Sommer 2012 stolzer Vater eines kleinen Jungen namens River ist, der auch für den Albumtitel verantwortlich ist: „Als wir irgendwann in gemütlicher Runde zusammen saßen, habe ich ihn in die Luft gehalten und gebrüllt: ,Hail To The King!‘ Was dann hängen geblieben ist – weil es alle toll fanden. Außerdem ist es eine Hommage an The Rev, der ebenfalls ein verdammter König war, und den wir schmerzlich vermissen.“
Selbst wenn Nachfolger Richard Arin Ilejay (Ex-Confide), der sämtliche Tracks des neuen Albums eingespielt hat, scheinbar ein würdiger Ersatz ist: „Natürlich hat das Schreiben diesmal länger gedauert. Denn wir mussten Arin erst einmal verständlich machen, was wir wollen. Nämlich jede Menge Groove, aber gleichzeitig ein sehr technisches, präzises Spiel. Ohne Schnickschnack und direkt auf den Punkt. Was er auch hinbekommen hat, selbst wenn die Aufnahmen – das gebe ich offen zu – anfangs eine ziemliche Tortur waren. Einfach wegen der hohen Erwartungen.“
Der letzte Mohikaner
Schließlich hoffen A7X mit HAIL TO THE KING auch endlich den deutschen Markt zu knacken. Denn während sich Großbritannien und Skandinavien als Selbstläufer erwiesen, genießen sie hierzulande immer noch reinen Insider- und Kultstatus. Einfach, weil sie nie so viel Arbeit in Live-Konzerte und Interviews investiert haben, wie in ihrer Heimat, sondern sich lediglich auf Auftritte bei Rock am Ring/Rock im Park beschränkten. „Deutschland ist für uns so etwas wie der letzte Mohikaner“, lacht denn auch M. und zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, woran das liegt. Aber ich habe das Gefühl, dass man uns hier nie richtig verstanden hat, dass man nicht weiß, wie man uns einordnen soll und ob wir nicht nur ein Haufen Poser sind. Da kann ich nur sagen: Wir nehmen das, was wir machen, verdammt ernst. Wir spielen die Musik, die wir lieben. Und nur, weil andere Bands schon 30 Jahre dabei sind, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie besser sind als wir. Ich finde, die Leute müssen sich auch mal für neue Sachen öffnen. Eben für Bands wie uns, die der Szene frische Impulse geben wollen.“
Heißer Herbst
Wobei M. alle Hoffnung auf die Herbsttournee legt. Denn da hat der Fünfer zum ersten Mal seine komplette US-Produktion dabei. Mit gigantischer Lightshow und jeder Menge Pyrotechnik, die Unsummen verschlingt. „Wir werden draufzahlen, keine Frage“, sinniert der Sänger. „Was aber nicht weiter schlimm ist. Ich sehe das als Investition in die Zukunft. Eben in einen Markt, den wir bislang sträflich vernachlässigt haben, der aber jetzt ganz oben auf unserer Liste steht. Einfach, weil uns klar geworden ist, dass wir hier ein bisschen mehr investieren müssen, als woanders. Und dazu sind wir bereit. Wir sind eine Band, die gerne hart arbeitet, Mann.“ Der kräftige Händedruck zum Abschied spricht Bände…
Text: Marcel Anders