Neben Wolfmother sind Airbourne zurzeit der heißeste australische Rock-Export – und das nicht nur, weil sie eine ähnliche Einstellung haben wie ihre Landsleute, die Riff-Pioniere AC/DC. Drummer Ryan O’Keeffe wagt einen ErfolgsErklärungsversuch.
Es gibt Menschen, die nächtelang überlegen, was die Zukunft wohl noch alles so für sie bereit halten wird. Oder sich das Hirn zermartern, weil sie in ihrer Jugend diese oder jene Entscheidung vielleicht doch besser anders getroffen hätten. Und es gibt Menschen, die einfach im Hier und Jetzt leben. Die genießen, was der Moment so für sie bereit hält, sich nicht grämen und auch keinen Gedanken daran verschwenden, ob sie die exzessive Party des gestrigen Abends vielleicht einen weiteren Monat ihres Lebens gekostet hat.
Airbourne fallen in diese Kategorie. Sie sagen Sätze wie „Wir werden niemals einen traurigen Song schreiben, denn wir haben keine dunkle Seite in uns“ oder „Rock’n’Roll darf man nie zu ernst nehmen, sonst fühlt sich die Musik unehrlich an“. Ziemlich große Worte für eine Truppe von Mittzwanzigern, die sich zwar schon seit sechs Jahren unermüdlich den Arsch abtourt, aber erst in denen vergangenen Monaten so richtig durch die Decke gegangen ist und so etwas wie „Star-Status“ erleben darf.
Doch die vier Australier haben, dicke Lippe hin oder her, genau die richtige Einstellung. Denn gerade für eine junge Band, die schnell international erfolgreich wird, ist zu viel Ernsthaftigkeit oft der Anfang vom Ende. Airbourne dagegen nehmen sich selbst den Druck. Sie legen Wert auf Spaß – für ihr Publikum, aber auch für sich selbst. Während der Aufnahmen zum aktuellen Album NO GUTS, NO GLORY haben sie sich in den Pubs von Chicago nächtelang hemmungslos betrunken, allerdings nicht aus Kummer über die Qualität des eigenen Song-Materials, sondern aus Gründen der Bodenhaftung. Sie wollten geerdet bleiben, um die Stücke später auch in der Live-Situation authentisch rüberbringen zu können. Keine besonders gesunde Methode, aber offensichtlich eine erfolgreiche. Denn nun, gut ein halbes Jahr nach den Recording-Trinkgelagen, präsentieren Airbourne ihre Hangover-Hymnen erstmals dem deutschen Publikum. Die Hallen sind voll – und das trotz des stattlichen Eintrittspreises von 30 Euro. „Wir kommen ehrlich rüber. Bei uns gibt es keine Mogelpackungen. Das lieben die Leute“, versucht Drummer Ryan O’Keeffe vor dem Auftritt in der Münchner Tonhalle das Airbourne-Phänomen zu enträtseln. „Außerdem sind wir eher eine Live- als eine Studio-Band. Die Essenz von Airbourne tritt auf der Bühne wesentlich schneller und direkter zu Tage als auf Platte. Im Grunde ist es so: Im Studio kreieren wir das Monster – und live lassen wir es dann frei!“
Inzwischen hat das Monster auch jede Menge Futter, denn es kommen mehr und mehr Fans zu den Konzerten. Das ist ein Segen, natürlich. In manchen Momenten aber auch ein Fluch. So muss Frontmann Joel O’Keeffe, der während der Show auch immer einige Zeit auf einem Bar-Tresen rockt, höllisch aufpassen, dass er bei seinem Ausflug in die Halle nicht den Anschluss verliert: Die Reichweite seines Gitarrensenders reicht nämlich inzwischen des Öfteren nicht mehr aus, wenn sich der Aussie-Rocker bis in den hinteren Teil des Venues durch-kämpfen muss. „Es ist krass“, erzählt sein jüngerer Bruder Ryan lachend, „er ist plötzlich nicht mehr zu hören und muss dann schnell zusehen, dass er wieder zurück nach vorne kommt. Das ist uns früher nicht passiert!“
Früher ist noch gar nicht so lange her. Da hieß es für die Band: ab in den Pub, Instrumente raus, los geht’s! Kein Soundcheck, kein stundenlanges Warten in zugigen Hallen, keine Interview-Termine. Dafür ein klassisches Rocker-Leben. Geld vom Staat, ab mit dem Scheck in die Kneipe nebenan. Und dann 13 Tage nur Brot und Reis, bis zum nächsten Zahltag. Nicht schön auf Dauer, aber mit dem nötigen Abstand (und Erfolg) dennoch eine coole Zeit, der Airbourne ab und an noch nachtrauern. So haben sie sich im Vorfeld der Aufnahmen zu NO GUTS, NO GLORY eigens in einem leer stehenden Pub eingemietet, um die Song-Ideen in der richtigen Umgebung zurechtzuschnitzen und das Gefühl für die Club-Atmosphäre nicht zu verlieren. Und wenn dann irgendwann wirklich gar nichts mehr ging in Sachen Kreativität: Gleich eine Tür weiter war ein weiterer Pub. Und da funktionierte die Zapfe noch…
Wem es bis hierhin noch nicht aufgefallen sein sollte: Airbourne lieben den kernigen, unprätentiösen Lebensstil ihrer australischen Heimat. Und genau der ist es, der sie und natürlich auch Ikonen wie AC/DC weltweit bekannt gemacht hat. Die Botschaft lautet: Bier und Rock, das gehört zusammen! Um das zu verstehen, braucht man keinen Hochschulabschluss. Und das ist wichtig in einem Land, das nach wie vor von den Regeln und Gepflogenheiten der Arbeiterklasse geprägt ist. Ehrliche Handarbeit zählt hier noch etwas – das erklärt auch den hohen Stellenwert von Rock’n’Roll. Allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Musik auch im Mainstream angekommen ist, wie Airbourne zu berichten wissen: „Es gibt kaum Unterstützung durch Radiosender oder Magazine. Daher haben wir noch nie eine größere Tour durch Australien gemacht“, so Ryan O’ Keeffe bedauernd. „Doch das soll sich mit NO GUTS, NO GLORY ändern!“
Doch so heimatverbunden die Rocker auch sind: Mindestens ebenso sehr freuen sie sich auch auf die neuen Erfahrungen, die sie auf ihren Tourneen im Ausland sammeln können. Die USA kennen sie inzwischen fast wie ihre Westentasche, in Europa gibt es jedoch noch eine Menge zu entdecken für die jungen Wilden aus Melbourne. Das Faszinierendste an Deutschland ist für sie momentan: Kuchen. Ja, Kuchen. „Wir lieben das Zeug“, jubelt der Schlagzeuger. „Heute haben wir vor der Show sechs große Torten geliefert bekommen. Die werden wir uns direkt nach dem Gig reinziehen. Sie schmecken wahnsinnig gut!“
Um den Kalorienmix aus Süßkram und Bier wieder abzutrainieren, müssen Airbourne im Anschluss an die hiesige Tour wohl auf der Bühne extra viel Action veranstalten. Doch eines steht fest: Schwer fallen wird es ihnen nicht, wie Ryan betont: „Live, live, live, so lautet unser Credo. Außerdem wollen wir mit Leidenschaft an die Sache herangehen! Denn wenn sich diese Einstellung auf die Leute überträgt, ist alles in Butter. Dann haben die Fans bei unserer Show eine gute Zeit, trinken ein Bier, rocken gemeinsam mit uns aus und kommen beim nächsten Mal wieder. So einfach ist das. Rock’n’Roll ist schließlich kein Hexenwerk.“
Petra Schurer