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AC/DC: Ohne Tempo-Limit

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AC/DC: Ohne Tempo-Limit

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Nach den vier Shows von AC/DC mit Kiss kam Simmons zu dem Schluss: „Das war eine Band, mit der man rechnen muss.“ Und er sah etwas Einzigartiges in Bon Scott. „Vielleicht, weil er aus einem harten Umfeld kam, war er das Gegenteil all dieser hübschen Frontmänner jener Zeit. Nackter Oberkörper, laute Stimme. Er trank viel, aber diese Stimme war der Wahnsinn.“

1978 tourten AC/DC mit einer weiteren großen US-Band: Aerosmith. Im Los Angeles Forum war ein 15-Jähriger namens James Hetfield im Publikum. Drei Jahre, bevor er Metallica gründete, besuchte er sein erstes Rockkonzert. „Ich war ein großer Fan von Aerosmith“, sagte er. „Aber ich hatte keine Ahnung, dass AC/DC so cool waren. Ich ging mit meinem großen Bruder hin und weiß noch, wie er auf Angus zeigte und sagte: ‚Dieser kleine Typ, der die ganze Zeit herumrennt, ist total nervig!‘ Aber ich wollte dieser Typ sein!“

Auch ihre Kollegen bemerkten, was für eine Macht AC/DC live waren. 1978 eröffneten sie das Festival Day On The Green vor 80.000 Besuchern im Oakland Coliseum in Kalifornien. Aerosmith waren die Headliner, zudem waren auch Foreigner, Pat Travers und die aufstrebenden Van Halen zu sehen. Deren Gitarrist Eddie Van Halen packte die blanke Angst, als er sah, wie die Australier aufdrehten: „Ich stand am Bühenrand und dachte: Wir müssen nach diesen motherfuckers spielen?“ Gary Moore hatte eine ähnliche Erfahrung, als AC/DC später im selben Jahr als Vorgruppe von Thin Lizzy tourten. „In Cleveland bliesen sie uns von der Bühne“, gestand er. „Sie haben uns fucking fertiggemacht.“

Folglich war es nur konsequent, nach POWERAGE ein Live-Album zu veröffentlichen. Für Atlantic hatte es das Potenzial, der Durchbruch für die Band zu sein, so wie es 1975 schon Kiss mit ALIVE! gelungen war. IF YOU WANT BLOOD YOU’VE GOT IT wurde am 30. April 1978 im Glasgow Apollo mitgeschnitten – in der Stadt also, in der Malcolm und Angus Young auf die Welt kamen, und zwei Stunden von Bons Heimatort Kirriemuir entfernt. Von den elektrisierenden ersten Tönen von ›Riff Raff‹ bis zum stürmischen ›Rocker‹ war das Album explosiv. Doch sein Erfolg in Großbritannien und Frankreich wiederholte sich nicht in den USA, wo es nur Platz 113 erreichte. Diese Enttäuschung war es, die zu schweren Anspannungen zwischen AC/DC und Atlantic Records führte.

Anfang 1979 fuhr Michael Klenfner, der Vizepräsident des Labels, von New York nach Sydney, um die Band zu treffen und das neue Material zu hören, an dem sie in den Albert Studios mit Harry Vanda und George Young arbeitete. Klenfner machte seine Position sehr deutlich: Er wollte Songs hören, die in Amerika im Radio gespielt werden könnten, und in den Demos, die George ihm vorspielte, gab es keinen einzigen solchen Song.

George und Harry wussten, wie man Hits macht. Sie hatten es in der Vergangenheit mit The Easybeats geschafft, und Anfang 1979 hatten sie mit John Paul Youngs Discopop-Nummer ›Love Is In The Air‹ einen riesigen Welthit gelandet. Doch bei AC/DC war das anders. Sie sahen die Band genauso wie Malcolm und Angus: roher Rock’n’Roll, sonst nichts. Wie George sagte: „Wichtiger war immer, dass es Eier hatte. Wenn wir also einen Take auswählen mussten, entschieden wir uns stets für den, der am meisten Power hatte.“

Klenfner wollte davon nichts wissen. Er glaubte, um AC/DC auf das nächste Level zu heben, musste ein neuer Produzent her. Und letztendlich stimmten Malcolm und Angus nach einem Gespräch mit George widerwillig zu. Es wurde keine Zeit verschwendet. Im Februar ging die Band in den Criteria Studios in Miami, Florida mit Eddie Kramer an die Arbeit, einem Produzenten mit erwiesenem Erfolg. Geboren in Südafrika, hatte er als Aufnahmetechniker an einigen Album-Klassikern der 60er und 70er gearbeitet, darunter die ersten drei der Jimi Hendrix Experience sowie HOUSES OF THE HOLY und PHYSICAL GRAFFITI von Led Zeppelin. Zudem in jüngerer Vergangenheit an drei Alben für Kiss. Doch schon nach wenigen Tagen stellte sich heraus, dass er und AC/DC nicht miteinander konnten. Nachdem er vorgeschlagen hatte, die Band solle eine Coverversion des 60s-Hits ›Gimme Some Lovin’‹ der Spencer Davis Group aufnehmen, brach Malcolm die Sessions unverzüglich ab.

Vielleicht war es Schicksal. Michael Browning, der Manager von AC/DC, teilte sich damals eine Wohnung in New York mit „Mutt“ Lange. Lange, ebenfalls ein Südafrikaner im Exil, hatte kürzlich mit ›Rat Trap‹ von den Boomtown Rats seine erste Nr.-1-Single in Großbritannien gelandet. Browning stellte Lange bei Atlantic als den perfekten Kandidaten für AC/DC vor – einen Mann mit dem richtigen Gespür für Rock und einem clever Instinkt für Pop. Atlantic gab grünes Licht und im März versammelte Lange die Band in London.

Zunächst probten und perfektionierten sie die Songs in einem billigen Proberaum mit Lehmboden und einer Paraffin­heizung gegen die Winterkälte. Für die Aufnahmen zogen sie dann in die Roundhouse Studios in Chalk Farm um.

Innerhalb der Band herrschte Skepsis gegenüber Lange. Malcolm sagte später, wenn sie gewusste hätten, dass er mit den Boomtown Rats zusammengearbeitet hatte, „hätten wir ihn niemals durch die Tür kommen lassen“. Doch sobald sie sich an die Arbeit machten, wurde allen, vor allem Malcolm, klar, dass dieser Typ genau wusste, was er tat.

Seine Detailverliebheit war bemerkenswert. Im Gegensatz zur lässigen Herangehensweise von George und Harry legte Lange großen Wert auf Rhythmus und Tuning. Tony Platt, der als Tontechniker an dem Album arbeitete, sagte: „Eins der Dinge, die Mutt AC/DC nahebrachte, war, wie man einen richtigen Groove hinbekommt“. Und beim Gesang legte Lange die Messlatte noch höher. Er holte das Beste aus Bon, und, da er selber ebenfalls ein guter Sänger war, steuerte Backing-Vocals bei, um die Refrains noch stärker zu machen.

All das wurde schon beim ersten Song deutlich, der für HIGHWAY TO HELL aufgenommen wurde, dem Titelstück. Im Kern waren das AC/DC,
wie sie schon immer gewesen waren. Wie Malcolm es formulierte: „Einfach lauter Rock’n’Roll, wham, bam, thank you ma’am!“ Doch dank Langes magischer Hand wurde daraus etwas noch viel Größeres: eine Rockhymne, die Tote wieder zum Leben erwecken konnte. Und nachdem die im Kasten war, folgten die anderen neun Tracks in Windeseile. Das komplette Album wurde in nur drei Wochen eingespielt.

Bei einigen der Tracks ging es vorrangig um eben jenen Groove – ›Girls Got Rhythm‹, ›Shot Down In Flames‹ und ›Get It Hot‹. Bei Letzterem ist noch ein abfälliger Kommentar von Bon über den großnäsigen König des Schmalzpops zu hören, Barry Manilow. Die aggressiveren Nummern waren zudem so hart und fies wie alles auf LET THERE BE ROCK: ›Walk All Over You‹ war in seiner Langsam-schnell-langsam-Dynamik brutal effektiv, ›Beating Around The Bush‹ eine Achterbahnfahrt, wie Fleetwood Macs ›Oh Well‹ in doppelter Geschwindigkeit. ›If You Want Blood (You’ve Got It)‹ wiederum war schiere Angepisstheit, deren Text und Titel von Witzen inspiriert waren, die Bon und Angus bei jenem Day On The Green Festival gemacht hatten.

Angus erinnerte sich: „Dieser Typ von einer Filmcrew schnappte sich mich und Bon und fragte uns, was für eine Show wir spielen würden. Bon sagte: ‚Weißt du noch, als die Christen den Löwen zum Fraß vorgeworfen wurden? Nun, wir sind die Christen!‘ Dann fragte dieser Typ mich und ich sagte: ‚Wenn sie Blut wollen, werden sie es bekommen!‘“

Auf ›Love Hungry Man‹ und ›Touch Too Much‹ war Langes Einfluss am deutlichsten. Seine Stimme war weit vorne im Mix und sein Popinstinkt im vollen Einsatz. Malcolm und Angus konnten nie viel mit dem maßvollen, fast entspannten ›Love Hungry Man‹ anfangen. Sie hatten auch ihre Zweifel bezüglich ›Touch Too Much‹, das erstmals 1977 als Demo aufgenommen wurde. Dabei hatte dieser Song alles, was AC/DC so großartig macht: den schlagkräftigen Rock’n’Roll und einen Text, der so typisch für Bon war: Er schwärmte von einer Frau mit einem Körper wie Michelangelos Venus, nur mit Armen. Und was Lange daraus formte, war ziemlich genial: Er machte die Nummer radiotauglich mit cleveren Vocal-Hooks und indem er die Band dazu brachte, etwas vom Gas zu gehen, um das funky Riff wirklich glänzen zu lassen.

Doch am Ende wurde es noch mal düster. Die grundlegende Aufgekratztheit des Albums mündete in ›Night Prowler‹, einem dichten, unheimlichen Blues-Song, auf dem Bon in die Rolle eines mörderischen Bösewichts schlüpft. Musikalisch war das so mächtig wie der Text finster, doch am Höhepunkt, als wolle er den Fluch brechen, ließ Bon etwas Witziges raus und zitierte die fiktive Alien-Sprache aus der 70s-Sci-Fi-Sitcom „Mork vom Ork“: „Shazbot! Nanu nanu!“

Jahre später verfolgte ›Night Prowler‹ die Band selbst, als der Song mit Richard Ramirez in Verbindung gebracht wurde, dem amerikanischen Serienmörder, der als „The Night Stalker“ berühmt wurde. Nach seiner Verhaftung 1985 behauptete er in sensationslüsternen Zeitungsschlagzeilen: „AC/DCs Musik brachte mich dazu, 16 Menschen zu töten!“

Malcolm Young brachte später seine Verachtung für Ramirez und die Medien zum Ausdruck, die AC/DC die Verantwortung in die Schuhe schieben wollten. „Die Antwort darauf ist: Habt ihr seinen Mageninhalt nach etwas von McDonald’s durchsucht? Wenn jemand ein Irrer ist, ist er nun mal ein Irrer.“

Im Frühling 1979, als HIGHWAY TO HELL fertiggestellt wurde, war es jedoch das Titelstück und nicht ›Night Prowler‹, das Atlantic Records beunruhigte. „Ab dem Moment, an dem wir das Album HIGHWAY TO HELL nannten, geriet die amerikanische Plattenfirma in Panik“, sagte Angus. „Ich dachte, in Bezug auf religiöse Angelegenheiten sei es überall so wie in Australien. Dort nennt man aggressive Religionsverfechter ‚bible thumpers‘, aber die sind eine überschaubare Minderheit. Sehr überschaubar. Das Christentum war dort nie sehr beliebt. Das muss an den Wurzeln in all diesen Sträflingen liegen!“

Doch in den USA, wo die christliche Moral eine wesentlich größere Rolle spielte, war die Kontroverse vorprogrammiert. Bevor die Band im Mai für eine Tour mit den britischen Erfolgs­rockern UFO wieder dorthin zurückkehrte, trafen sich Angus und Bon mit „Sounds“-Autor Phil Sutcliffe in einem Hotel in London. Und in einem Interview am frühen Nachmittag wurde Sut­cliffe erstmals bewusst, dass Bons Trinksucht zu einem ernsten Problem geworden war. Er hatte die Band schon viele Male getroffen und wie so viele andere verstand er sich sofort mit Bon. Wie er sich erinnerte: „Er war so exzentrisch und doch so bodenständig. Auf der Bühne war er wie ein Pirat, irgendwie ledrig, und ein Macho. Doch wo immer er auch war, gab er den Leuten ein gutes Gefühl“. An jenem Tag war das anders. Laut Sutcliffe „wusste Bon nicht, wo er war“ und war so betrunken, dass er kaum einen zusammenhängenden Satz herausbrachte.

Als Sutcliffe ihn zum neuen Album und Mutt Langes Einfluss befragte, antwortete Bon lachend: „Na ja, im Wesentlichen, Mann, um deine Frage zu beantworten, war er der Schlüssel, mich dazu zu bringen, mich… in einer anderen Weise zu präsentieren, als ich das zuvor getan habe. So ungefähr.“ Wie Sutcliffe diesen Austausch in seinem Artikel beschrieb, war vielsagend: „Bon wankte auf dieser grammatikalischen Weitschweifigkeit wie ein Betrunkener, der beschließt, sich selbst auf einer weißen Linie auf die Probe zu stellen.“ Und in einer Feststellung zeigte er eine geradezu unheimliche Voraussicht: „Seltsamerweise scheint es wahr zu sein, dass Angus und vielleicht die gesamte Band sich in fast väterlicher Weise um Bon kümmern, obwohl der mit 33 mit Abstand der Älteste von ihnen ist. Er ist derjenige, auf den sie alle glauben, ein Auge werfen zu müssen.“

Als HIGHWAY TO HELL am 27. Juli erschien, hatte sich noch ein Mitglied des innersten Zirkels von AC/DC verabschiedet. Michael Browning war entlassen und durch Peter Mensch von der Firma Leber-Krebs ersetzt worden, zu deren Klienten große Stars wie Aerosmith und Ted Nugent zählten.

Alles passierte nun sehr schnell. Auf die Tour mit UFO folgte im direkten Anschluss eine mit Cheap Trick. In Großbritannien war das Album sofort ein Hit und erreichte Platz 8. In den USA, wo so viel von dieser Platte abhing, kam der ersehnte Durchbruch im Radio endlich, als das Titelstück als Single veröffentlicht wurde.



Genau wie Atlantic es erwartet hatte, sorgte HIGHWAY TO HELL für Empörung bei der sogenannten „moralischen Mehrheit“ des Landes, nicht nur wegen des Titels, sondern auch wegen des Fotos auf dem Cover. Das Gruppenbild zeigte Angus mit Teufelshörnern und, für einen zusätzlichen Schockeffekt, auch noch mit einem Teufelsschwanz. Angus erinnerte sich lachend: „In Amerika protestierten vor den Hallen Leute in Bettlaken mit Plakaten, auf denen Gebete standen. Ich fragte: ‚Für wen sind die hier?‘ Und sie sagten: ‚Für euch!‘ Es gab diese Geschichten, dass man satanische Botschaften hören könne, wenn man die Platte rückwärts abspielte. Verdammt, wieso sollte man das tun? Es steht doch direkt vorne drauf: HIGHWAY TO HELL!“ Gene Simmons hörte auf dem Album eine Band, die ihren Zenit erreicht hatte: „Ich liebte die Songs, und ich liebte den Vibe“.

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