Die psychedelischen Outlaws The Flying Burrito Brothers verbanden Rock mit Country. Damit ebneten sie den Weg für die Eagles und noch viel mehr.
Are you ready for the country? Diese Frage stellten The Byrds im August 1968 auf SWEETHEART OF THE RODEO. Auf ihrem sechsten Album, das teilweise in Nashville aufgenommen worden war, nahmen sie sich Songs vor, die einst durch Merle Haggard, die Louvin Brothers und andere berühmt geworden waren. Dazu gab es noch zwei Country-artige Eigenkompositionen vom neuesten Mitglied der Band, Gram Parsons.
Die absolut eindeutige Antwort auf die Frage der Byrds war: Nein. SWEETHEART OF THE RODEO floppte grandios und entfremdete sowohl Country-Hörer als auch die eingefleischten Byrds-Fans. Es wurden nicht mal 50.000 Einheiten verkauft.
In der kreativen Freiheit der späten 60er waren alle möglichen musikalischen Hybride aufgeblüht: King Crimson brachten Heavy-Riffs in den europäischen Klassizismus und entwickelten so den Prog. Fairport Convention verpassten dem traditionellen Folk einen feurigen Stromschlag. Wendy Carlos brachte die Welten von Elektronik und Bach zusammen. Captain Beefheart nahm den Freejazz und den Blues und führte beide zu neuen Horizonten. Die Kombination aus Country und Rock schien jedoch ein Schritt zu weit gewesen zu sein.
Country galt als Musik des Establishments, der Soundtrack des aufrecht-konservativen Amerikas. Und in der Ära der Studentenaufstände, des Vietnamkriegs und zivilen Ungehorsams, in der die Frontlinien zwischen der Gegenkultur und den Mächtigen gezogen wurden, stand Country für den Feind. Parsons und sein Byrds-Kollege Chris Hillman ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken. Sie wollten die Gemeinsamkeiten von Rock und Country weiter erkunden und verließen die Band, um Ende 1968 die Flying Burrito Brothers zu gründen.
Mit Pedal-Steel-Gitarrist „Sneaky“ Pete Kleinow und Bassist Chris Ethridge zogen die Burritos schließlich nach Kalifornien und setzten dort Parsons’ Vision von einem Ort um, an dem Gospel, Soul, R’n’B, Country, Psychedelic und Rock nebeneinander existieren konnten, einander inspirierten und formten. „Gram hatte diese Vorstellung von ‚kosmischer amerikanischer Musik‘“, sagt Hillman. „Ende der 60er, als die Plattenfirmen noch von echten Musikliebhabern geführt wurden, durfte man sich entwickeln und experimentieren. Es gab damals keine Regeln in der Musik. Man bediente sich bei anderen Stilrichtungen. Es herrschte so viel Freiheit.“
THE GILDED PALACE OF SIN, erschienen im Februar 1969, brachte die Westküsten-Hippie-Ästhetik in den Juke-Joint-Country. Die meisten Songs entstammten einem beschleunigten Kreativschub zwischen Hillman und Parsons in der Burrito Manor, dem Haus im San Fernando Valley, das sie gemeinsam bewohnten. „Das war eine der produktivsten Zeiten meines Lebens“, erinnert sich Hillman. „Dort erschufen wir einige der besten Songs, die jeder von uns je schrieb – Stücke wie ›Sin City‹, ›Christine’s Tune‹, ›Wheels‹ und ›Juanita‹, das wunderschöne Bilder heraufbeschwört.“
Besonders bemerkenswert waren aber die Coverversionen zweier Kompositionen von Chips Moman und Dan Penn: ›Do Right Woman‹ und ›Dark End Of The Street‹. „Gram eröffnete mir diese neuen Gebiete: den echten R’n’B, der aus Memphis kam“, erklärt Hillman. „Dass die Burritos ›Do Right Woman‹ im Country-Stil spielten, war ziemlich gewagt. Aber es funktionierte so gut.“
Auf dem Album wurden die Burritos als konträre Cowboys präsentiert, eine psychedelische Bande von Wüsten-Outlaws in Nackt-Anzügen, die mit Hanfblättern, Pfauen und brennenden Kruzifixen bedruckt waren
Doch das war nicht das einzige, was das potenzielle Publikum der Band verwirrte. Die Musik tat es auch. Trotz einer euphorischen Rezension im „Rolling Stone“ und überschwänglichen Lobs von Bob Dylan geriet auch THE GILDED PALACE OF SIN zu einem kommerziellen Flop. „Es war nicht glatt genug, um im Country-Radio zu laufen, aber die Rockhörer waren auch noch nicht bereit dafür“, seufzt Hillman. „Für die meisten war es einfach zu kantig und roh.“
Live waren die Burritos noch weniger fokussiert. Sie hatten mit Schlagzeuger Michael Clarke einen weiteren Ex-Byrd ins Boot geholt und feierten auf Tour nonstop. Parsons, Clarke und Ethridge waren dem Alkohol, Meskalin und Kokain besonders zugetan, wodurch die chaotischen Konzerte entweder genial oder komplett nichtssagend waren. Parsons aufblühende Freundschaft mit Keith Richards und den Rolling Stones lenkte ihn noch weiter ab. „Da beschloss er, ein Rockstar zu werden“, beklagt Hillman. „Gram wurde zu einem Menschen, mit dem man einfach nicht mehr arbeiten konnte.“
Vor diesem Hintergrund nahmen die Burritos die zweite LP BURRITO DELUXE auf, die im April 1970 erschien. Die Intensität und Ambition des Vorgängers fehlten hier, doch es gab immer noch hörenswerte Momente. Gitarrist Bernie Leadon, der Ethridge ersetzt hatte, leistete seinen Beitrag zum Songwriting, vor allem auf dem hervorragenden ›Older Guys‹ (geschrieben gemeinsam mit Parsons und Hillman). Parsons wiederum brachte ›Lazy Days‹, einen seiner früheren Songs, in einen stampfenden Stones-Sound. Als Geste des guten Willens schenkten die Stones ihnen zudem ›Wild Horses‹, das später auf ihrem eigenen Album STICKY FINGERS erschien.
Die Verkaufszahlen von BURRITO DELUXE waren genauso enttäuschend wie die von THE GILDED PALACE OF SIN. Im Juli waren Parsons Ausschweifungen schließlich zu viel geworden. Hillman feuerte ihn nach einem katastrophalen Auftritt in Los Angeles, zu dem er in letzter Minute und betrunken erschienen war. Hillman verglich ihre letzten Konzerte mit Parsons mit den „Keystone Kops, die in eine Wand krachen“, und machte noch ein paar Jahre mit den Burritos weiter, bevor er bei Stephen Stills’ Band Manassas einstieg. Leadon war, frustriert vom ausbleibenden Erfolg, schon zuvor ausgestiegen, um die Eagles zu gründen – und genau da wird der tatsächliche Wert der Burritos deutlich.
Die Eagles glätteten die scharfen Kanten des Burritos-Sounds, verbannten die Pedal-Steel und zielten direkt auf Mainstream-Amerika. Ihr Debüt von 1972 mit ›Take It Easy‹ und ›Peaceful Easy Feeling‹ wurde zum Platinseller und machte den Country-Rock für den Massenkonsum genießbar. Glenn Frey erinnerte sich, wie er die Burritos bei einer ihrer Shows im Troubadour in Los Angeles studiert hatte: „Wir gingen zu ihrem Konzert, sahen uns an, was sie da taten, und hörten uns die Harmonien an.“
Andere folgten ihnen, etwa Linda Ronstadt, die Doobie Brothers, Pure Prairie League und Firefall, zu denen Michael Clarke und Rick Roberts gehörten, ein weiterer Ex-Burrito. Noch später wurden die Flying Burrito Brothers als wichtiger Einfluss für den Alt.Country-Boom der frühen 90er genannt. Uncle Tupelo, Whiskeytown und Wilco waren nur einige, die ihnen Tribut zollten.
In den Liner Notes zu einer 90er-Jahre-Reissue von THE GILDED PALACE OF SIN brachte Sid Griffin von The Long Ryders den kommerziellen Misserfolg des Albums in einen weiteren kulturellen Kontext: „Wie beim ersten Album von Velvet Underground scheint jeder der 50.000 Menschen, die es sich kauften, daraufhin eine Band gegründet zu haben, die von der Musik inspiriert war.“ Chris Hillman brachte das Vermächtnis der Burritos in „Hot Burrito“ auf den Punkt, verfasst mit John Einarson: „Die Byrds erfanden den Country-Rock. Gram und ich verfeinerten ihn bei den Burritos und die Eagles machten damit Kasse“.