Am 6. April 1974 sitzt Ritchie Blackmore in einem Wohnwagen am Ontario Motor Speedway. Manager und Bandkollegen betteln ihn an, endlich rauszukommen, doch ihm schießt vor Wut der heiße Dampf aus den Ohren…
Er hatte den Gig beim California Jam ausdrücklich und vertraglich festgelegt nur unter der Bedingung zugesagt, dass Deep Purple ihre Show nach Sonnenuntergang anfangen. Jetzt war es gerade mal 18:30 Uhr und gleißend hell draußen, ein absolutes No-Go für den virtuosen Außenseiter und Festival-Hasser. Deswegen schließt er sich in seinen Trailer ein, trinkt ein paar Bier und lässt sich erst zu Sonnenuntergang auf die Bühne bewegen, um eine seiner bis dato wohl fulminantesten Shows abzuziehen.
Am Ende der 30-minütigen Version von ›Space Truckin’‹ zerlegt der schwarze Magier auf theatralische Weise gleich mehrere seiner Strats, lässt seinen Verstärker in einer großen Explosion zerscheppern und hält ein Publikum von circa 350.000 Menschen gebannt in Atem. Kein Wunder, dass dieser Mann aufgrund solcher und diverser anderer Geschichten (man erinnere sich an den Teller Spaghetti im Gesicht von Ian Gillan) einen gewissen Ruf genießt: natürlich den eines der besten Rockgitarristen aller Zeiten, aber eben auch den eines äußerst schwierigen Menschen und Exzentrikers.
Alleine in seiner abermals genialen Post-Purple-Formation Rainbow begrüßte und verabschiedete dieser Mann über 25 Künstler – darunter Ronnie James Dio, Graham Bonnet und Joe Lynn Turner – die jüngste Wiederbelebung unter dem Titel „Ritchie Blackmore’s Rainbow – Rock Memories“ besteht seit 2015 und zählt mit seiner losen vierjährigen Existenz zu den beständigeren Line-ups, die er bisher um sich duldete. Schon früh war klar, dass Ritchie Blackmore trotz seiner Virtuosität nicht dem typischen Bild eines Gitarrengottes entspricht: Er ist gern alleine, lacht nicht viel, stellt so etwas wie die filtrierte Kauzigkeit in Person dar. Es gibt da jedoch erstaunlicherweise diese eine Person, deren Anwesenheit der Großmeister seit einigen Jahrzehnten zu jeder Zeit willkommen heißt. Candice Night nennt sich jene Auserkorene, die 1989 durch Zufall in das Leben des Eigenbrötlers trat und seit 1997 Sängerin seiner Barden-Gruppe namens Blackmore’s Night ist.
Mit diesem Herzensprojekt frönt das Paar seiner geteilten Leidenschaft für Renaissance- und Mittelalterklänge, kostümiert sich dementsprechend altertümlich und verbringt seine Zeit gern auf Burgen. Zwischen roher Rockmusik und Minnesang. Leben und leben lassen. Beim Anblick dieser gewöhnungsbedürftigen Konstellation fragt man sich automatisch, ob vieles von Blackmores Gehabe vielleicht einfach nur plane Fassade oder einen ausgeklügelten Schutzmechanismus darstellt. Ist Ritchie Blackmore auf seine alten Tage einfach milder geworden oder war der zurückgezogene Musiker mit dem bröseltrockenen Humor (oh ja, den hat er) vielleicht schon immer ein zutiefst missverstandener Typ? Will Ritchie Blackmore am Ende einfach gern missverstanden werden?
Allesamt Punkte, die man versuchte, im Rahmen eines leider sehr knappen, trotzdem gar nicht unamüsanten Interviews subtil anzuschneiden.
Wie beurteilst du die Wichtigkeit eines gewissen Nostalgiefaktors, der heutzutage bei Rainbow-Shows eine tragende Rolle spielt?
Ich beurteile die Wichtigkeit von Nostalgie nicht. Die Nostalgie spielt eben eine Rolle, aber da gibt es nicht mehr und nicht weniger dazu zu sagen. Was man davon halten mag, das sollen die Fans am Ende einfach selbst entscheiden.
Gibst du deinen heutigen, jüngeren Bandkollegen jemals Musiker- oder Lebensratschläge?
Nein, niemals.
In einem Interview erwähntest du mal, dass für dich bei der Rockmusik immer Wut mitschwingt: Fühlst du Wut, wenn du heutzutage Rainbow- oder Deep-Purple-Songs spielst? Und genießt du diese Shows wirklich?
Ich empfinde immer Wut, wenn ich Rockmusik spiele. Genießen tue ich sie aber trotzdem.
Wie wichtig ist der Faktor „Eskapismus“ für dich als Künstler?
Glücklicherweise gelang mir mein wichtigster Eskapismus, als ich mit 15 Jahren die Schule hinschmiss. Ich bin einfach nur froh darüber, dass ich mit meinem Gitarrenspiel genug Geld machen kann, um zu überleben, und nichts anderes tun muss.
Retrospektiv gesehen: Welches Line-up war das beste, in dem du jemals gespielt hast?
Immer das Line-up, in dem ich zu dem Zeitpunkt gerade gespielt habe oder spiele.
Denkst du jemals darüber nach, welchen Ruf du hast?
Mich haben schon immer die Taugenichtse und Bösewichte interessiert, vor allem in Filmen. Christopher Lee, Lee Van Cleef, Clint Eastwood, Vincent Price, Max Schreck. Ich wollte immer einen schlechten Ruf haben, weil mir so die Leute endlich meine Ruhe lassen würden und ich mir meine Freunde selbst aussuchen konnte.
Welches Geheimnis steckt hinter einer friedfertigen Kollaboration mit Ritchie Blackmore?
Das ist relativ einfach: nicht bezahlt werden zu wollen.
Würdest du dich selbst als Misanthropen bezeichnen?
Darüber habe ich tatsächlich noch nie nachgedacht. Was immer die Leute auch glauben wollen, ich lasse es ihnen durchgehen. Ich selbst glaube nun mal daran, dass man immer und zu jeder Zeit zu 100 % ehrlich sein muss. Damit können viele Menschen einfach nicht umgehen, es passt ihnen nicht in den Kram oder ihr Weltbild.
Was ist schlimmer: ironisch sein und missverstanden zu werden oder ehrlich sein und missverstanden zu werden?
Nun ja. Jede Geschichte hat ihre zwei Seiten. Und ich liebe die Musik von Bob Dylan.
Lebst du gerne in der heutigen Zeit?
Ich muss sagen, ich leide ab und zu unter Hämorrhoiden, vor allem, wenn ich das falsche Toilettenpapier benutze.
Wenn jemand in 100 Jahren eine Enzyklopädie über die Rockmusik schreibt, was willst du, dass über Ritchie Blackmore geschrieben steht?
„Er hat stets seine Rechnungen bezahlt.“