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Die wahren 100 besten Alben der 80er: Platz 31

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Die wahren 100 besten Alben der 80er: Platz 31

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lou_reed_new_york_albumIhr glaubt, die besten Alben dieser oft belächelten Dekade zu kennen? Dann lasst euch eines Besseren belehren. Wir präsentieren die Platten, die wirklich wichtig waren.

Willkommen zu unserem monumentalen Countdown der WAHREN 100 besten Alben der 80er – der Auswahl für echte Kenner. Bitte hereinspaziert zu Platz 31:

In den 60ern hatte Lou Reed die Parameter des Rock erweitert. Seine Arbeit mit The Velvet Underground, furchtlos transgressiv, gab dem noch in den Kinderschuhen steckenden Genre mehr Härte, ließ die textliche Lingua Franca vom Babygefasel der Brill-Building-Popschmiede zum schonunglos ehrlichen, ungeschönten Dreck eines Hubert Selby Jr. reifen und verschob die sorglosen Grooves à la ›Green Onions‹ in Richtung beißender Proto-Metal-Aggression. Seine Solowerke in den 70er Jahren festigten dann seinen Ruf als schlaues Rock‘n‘Roll-Tier. Staubtrocken, gefährlich und von der Glam- wie der Punk-Be­wegung gleichermaßen als widerwilliger Star gefeiert, stand niemand so sehr für den die Kritiker verwirrenden künstlerischen Vorwärtsdrang wie er. Von TRANSFORMER bis STREET HASSLE war er ein Hai unter kleinen Fischen.

Und dann kamen die 80er.
Aus Erfahrung wissen wir, dass eine Dekade meistens ein bis zwei Jahre braucht, um ihren Weg zu finden und die Ketten der jüngsten Vergangenheit abzustreifen, bevor sie ihre grundlegenden Eigenschaften wirklich offenbart. Folglich passt auch das reduzierte, eloquente THE BLUE MASK von 1982 zu seinen besten Werken des vorigen Jahrzehnts. Überschwänglich, ekstatisch und inspiriert, zeigte MASK einen neugeborenen Reed, gerade frisch verheiratet, nüchtern und tief verliebt in seine neue Frau und Muse Sylvia Morales. Es war der Klang des Sturms vor der Ruhe, die Leidenschaft der Flitterwochen vor dem bequemen Zusammenleben. Auf LEGENDARY HEARTS (1983) wurden die lebendigen Blautöne von MASK zu Pastellfarben, NEW SENSATIONS von 1984 war er­­schütternd nichtssagend, während die seichte Fehlzündung von MISTRIALS (1986) zu bestätigen schien, dass Reed unaufhaltsam in die künstlerische Bedeutungslosigkeit ab­­schmierte. Dann starb Andy Warhol.
Der plötzliche Tod seines einstigen, größtenteils entfremdeten Mentors schien Reed aus seiner kreativen Lähmung zu reißen. Als er an den Texten zu SONGS FOR DRELLA arbeitete, dem Requiem für Warhol, das er später mit John Cale aufnahm und schließlich 1990 veröffentlichte, sah er um sich herum den verfallenen, erniedrigten und scheinbar fehlregierten Zustand der Stadt, zu deren Hofdichter er inoffiziell erklärt worden war. Es war die Inspiration, um NEW YORK zu schreiben.

Man tut ihm kein Unrecht, wenn man sagt, dass Anfang 1989 nicht mehr allzu viele Menschen gebannt auf ein neues Album von Lou Reed warteten. Selbst die eingefleischtesten Fans gaben zu, dass er seinen Lebenslauf hin und wieder mit Fehltritten wie GROWING UP IN PUBLIC beschmutzte, doch die anhaltende Strähne misslungener Platten Mitte der 80er schien zu belegen, dass er sich in einem unaufhaltsamen Niedergang in die Starre einer erloschenen Quelle befand. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz sollte das messerscharf fokussierte, kein Blatt vor den Mund nehmende und bissige NEW YORK seine Karriere retten.
Es erschien in der ersten Woche des Jahres 1989 und war ein wütender Liebesbrief, eine schonungslose Kritik und ein offenherziger Ausbruch der Empathie, Verzweiflung, Resignation, Wut und Empörung, der Reeds formidable Kräfte der poetischen Kommunikation vollends zur Geltung brachte, um Rassismus, Kindesmissbrauch, AIDS, Umweltschmutz, urbanen Verfall und mehr anzusprechen.

Lou brannte vor selbstgerechter Leidenschaft, doch sein pechschwarzer, knochentrockener Humor begleitete jedes Statement. Textlich war er nie so stark, und diese verblüffende Wortgewandtheit verlangte nach einer gebührenden Untermalung. Doch wer sollte das produzieren? In einer Zeit, die von übertriebenen Produktionen geprägt war, die die Kraft der Musik eher schwächten als verstärkten, kam NEW YORK schlicht, ungekünstelt und direkt daher. Den Platz an Lous Seite am Mischpult nahm der 24-jährige Schlagzeuger und Co-Produzent Fred Maher ein. Schon mit 18 war er Reed von Robert Quine, Gitarrist auf THE BLUE MASK und vormals bei den Voidoids, als Wunderkind empfohlen worden. Viel Produktionserfahrung konnte er nicht vorweisen, doch er verstand Lous Gitarrenklänge und wusste, dass er nicht von ihm verlangen konnte, zu „singen“.

Was völlig ausreichte, um einen Klassiker zu erschaffen.
Also tat Maher genau das mit Bassist Rob Wasserman, Lous Schwager und Co-Gitarrist Mike Rathke und manchmal sogar mit Ex-Velvet-Underground-Percussionistin Maureen Tucker. Hier sind seine Erinnerungen.

Wann, wo und wie bist du Lou Reed erstmals begegnet?
Das muss 1982 gewesen sein. Ich war am Set des Videos zu ›Woman‹. Dieses „Set“ war tatsächlich der „Große Raum“ in den RCA Studios in New York City. Bob Quine hatte kürzlich auf THE BLUE MASK gespielt und mich engagiert, um im Video so zu tun, als würde ich die Drums spielen. Aus irgendeinem Grund hasste Lou den Typen, der auf der Platte gespielt hatte, und wollte ihn nicht um sich haben. Bobs wahrer Grund, mich da an Bord zu holen, war aber, um mich Lou als potenziellen echten Schlagzeuger vorzustellen. Lou mochte mich, und als es darum ging, für ihn live oder auf einer neuen Platte zu spielen, war ich es, der drankam. Ein tatsächliches Vorspielen gab es dabei nie, er mochte mich einfach und Bob versicherte ihm, dass ich der Richtige für den Job war. Lou mochte Drummer, die geradeheraus spielten.

Vermutlich hat dich Robert Quine aber auch gewarnt, dass der Job bei Lou nicht die einfachste Station deines Arbeitslebens werden würde, oder?
Nicht wirklich. Lou war kurz vor THE BLUE MASK nüchtern geworden und blieb das meines Wissens auch bis zum Ende. Falls es irgendwelche Warnungen gab, kann ich mich entweder nicht daran erinnern oder ich habe sie ignoriert, denn ich war ja erst 18.

Wurden die Basistracks mehr oder weniger live im Studio aufgenommen?
So ziemlich. So natürlich die Platte auch klingt, war die Aufnahmetechnik doch total unorthodox. Die Gitarren wurden zuerst eingespielte, ohne Click-Track, dann der Gesang, dann der Bass, dann das Schlagzeug.

Gab es am Anfang eine formelle Entscheidung, dass du co-produzierst, oder entwickelte sich diese Situation während des Projekts?
Ich hatte bis etwa 1984 für ihn Drums gespielt. Wir verstanden uns gut und ich lernte von Bob Quine viel über The Velvet Underground. Bei den Konzerten spielten wir auch viele Songs von The Velvet Underground. Im Frühling und Sommer 1984 verpisste ich mich und stieg bei Scritti Politti ein. Im Winter 1985 waren Scritti Politti aber auch schon wieder vorbei. Danach begann ich meinen Weg, Produzent zu werden, also fuhr ich nach Australien, um meine erste Platte zu machen, kam dann zurück und produzierte noch ein paar weitere. Irgendwann kontaktierte mich Lou und fragte mich, ob ich auf seinem nächsten Album Schlagzeug spielen wollte. Natürlich sagte ich zu. Und dann begann die Suche nach dem richtigen Produzenten. Da ich jung war und mich auskannte, fragte mich Lou nach meiner Meinung über diverse Producer. Um es kurz zu machen: Niemand wollte den Job, also schlug ich ihm vor, dass ich es machen könnte. Er lachte und sagte: „Was weißt du denn darüber, Gitarren aufzunehmen?!“ Ich überredete ihn, mir eine Chance zu geben, nur einen Tag im Studio. Er stimmte zu. Der Song, den wir an dem Tag aufnahmen, war ›Romeo Had Juliette‹. Er hatte sehr genaue Vorstellungen davon, wie die Gitarren klingen mussten. Er war damals besessen davon. Also legte ich eine verrückte Zahl von Mikrofonen auf die Gitarrenverstärker und stellte sogar Mikros vor die Gitarren selbst. Ich hatte diese verrückte Idee, dass es ihnen eine Art obertonreiches „Leben“ verleihen würde, wenn ich die tatsächlichen „akustischen“ Geräusche dieser Instrumente aufnehmen würde. Jedenfalls ließ ich Lou und Mike einfach nur spielen und gab Lou ein Gesangs-Mikro, einfach nur um auf dem Laufenden zu bleiben, wo im Song sie gerade waren. Nach ein paar Takes kam Lou in den Kontrollraum und hörte es sich an. Zum Glück liebte er den Sound. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dachte, das sei „nur zum Testen“, oder ob ich dachte, wir hatten schon mit den tatsächlichen Aufnahmen begonnen. Ich weiß noch, wie wir dann gleich den Gesang über die Gitarren legten. Dann schnappte ich mir einen Bass und wir machten den Overdub davon. Ich bin kein Bassist, aber wir wollten einfach hören, wie das alles zusammenkommen würde. Dann spielte ich auf einem Roland Octapad die Drum-Samples, nur eine Kick und eine Snare. Ich fügte noch ein Tamburin hinzu und das war‘s. Dann mischte ich es schnell ab, zog es für Lou auf Kassette und machte noch eine für mich. Am nächsten Morgen rief er mich an und sagte: „Zum ersten Mal seit Jahren klinge ich wieder wie Lou Reed. Lass es uns machen“. Dieser Mix von jenem Tag kam dann aufs Album. Er definierte die Stimmung und die Methodik für die ganze Platte.

War Lou ein Perfektionist, der nach der ultimativen Darbietung im Studio suchte, oder wurde alles in ein oder zwei Takes eingefangen?
Das einzige, was ihn wirklich interessierte, war der Klang der Gitarren. Ansonsten war er nicht besonders sorgfältig, doch er und Mike Rathke waren gut vorbereitet. Sie hatten alle ihre Parts schon gelernt.

Hast du je mitbekommen, wie er Tonleitern sang oder sich irgendwie aufwärmte? Pflegte er seine Stimme oder gab es nur Kaffee und Kippen?
Nein. Kein Aufwärmen, kein Tee, kein Honig. Er trank nur Evian-Wasser, während er seinen Gesang aufnahm. Das Rauchen hatte er damals schon aufgegeben.

Was war seine Arbeitsweise während der Aufnahmen? War er ein „Neun bis fünf“-Typ?
Wir hatten respektable Rock‘n‘Roll-Arbeitszeiten. Meistens von 11 oder mittags bis neun oder zehn Uhr abends, fünf oder sechs Tage die Woche. Ich glaube, das ganze Ding war nach sechs Wochen fertig.

Wenn er dir neues Material präsentierte, wie exakt waren da seine Vorgaben bezüglich der Drum-Parts?
Es gab überhaupt keine. Er mochte mein Spiel und meinen Instinkt wirklich. Er ließ mich auch Sachen wie das Metronom auf ›Endless Cycle‹ machen. Das waren tatsächlich ein paar Samples eines alten Seth-Thomas-Metronoms, die ich drüberlegte, wiederum auf dem Roland Octapad gespielt.

Bei Erscheinen des Albums war die Produktion ein frischer Wind. War sie eine Ablehnung des damals dominierenden synthetischen Sounds, eine Rückkehr zu der Authentizität der Musik, mit der Lou aufgewachsen war, oder einfach nur ein Mittel, um die Texte im besten Licht dastehen zu lassen?
Das war keine bewusste Ablehnung aktueller Methoden, eher ein Verlangen von mir, es intim klingen zu lassen. Also ja, ich wollte, dass Lous Stimme und Worte im Mittelpunkt stehen. Was ich nicht wollte, war ihn zum „Singen“ zu bringen. Ich kannte die Velvet-Sachen und viel von seinen früheren Solowerken sehr gut, und als Mitwirkender hatte ich gesehen, wie andere Produzenten versucht hatten, ihn auf überproduzierten Tracks „singen“ zu lassen. Aber diese Kombination funktionierte nie für mich. Die Inspiration für mich war eine Verbindung von zwei Dingen: eine Coverversion von ›One For My Baby (And One More For The Road)‹, die Lou zuvor mit Rob Wasserman aufgenommen hatte, und das damals neue Album von Leonard Cohen, I‘M YOUR MAN. Der Song mit Wasserman war so nackt und doch so warm, und Lous lässige Stimme schwebte nur darüber. Und dann die Cohen-Platte, nicht wegen der Produktion an sich, sondern weil der Gesang so aggressiv im Vordergrund stand. Ich hatte ein Vorbild gefunden und orientierte mich daran.

Lou war auf NEW YORK so politisch wie nie. Hast du irgendeine Ahnung, warum der glücklich verheiratete Mann auf LEGENDARY HEARTS und der relativ unkontroverse Elder Statesman auf NEW SENSATIONS plötzlich so ein soziales Bewusstsein und so eine Wut darüber entwickelt hatte, was mit seiner Heimatstadt passierte?
Ich bin mir nicht ganz sicher, woher das kam, aber ich glaube, das hatte etwas mit Rudolph Giuliani zu tun. Er war damals ein Staatsanwalt aus der Reagan-Ära in New York und war ständig wegen seiner strengen Urteile in den Nachrichten. Außerdem war es das Ende dieser langen, schmerzhaften Reagan-Zeit. Das, kombiniert mit der AIDS-Epidemie, Lous erfolgreicher Alkoholabstinenz und der Tatsache, dass er mit Sire Records eine neue, künstlerfreundlichere Heimat gefunden hatte, ergab einen Lou Reed, der bereit war, seine Meinung zu sagen.

Auf dem Album scheint er auch fokussiert wie nie zuvor zu sein. Wie viel trank er damals?
Er war nüchtern, das war er da schon seit einigen Jahren. Und das half ihm, zu dem spitzzüngigen Witz zurückzufinden, den er schon immer gehabt hatte. Er war konzentriert darauf, nüchtern zu bleiben und „um jeden Preis“ eine Weile positiv zu denken, doch zur Zeit von NEW YORK kehrte er wieder zurück zu seinem typischeren bissigen, sarkastischen Blickwinkel in Bezug auf die Menschheit.

Wie kam Maureen Tucker dazu und wie war die Arbeit mit ihr?
Lou kontaktierte sie. Sie war interessiert, er gab mir ihre Nummer und sagte: „Triff die Vorkehrungen“. Er hatte bestimmte Songs, auf denen er sie spielen lassen wollte, und er fragte mich, ob ich fand, dass sie gut dazu passen würde. Ich dachte: „Willst du mich verarschen? Lassen wir sie doch auf allen Tracks spielen!“
Zufällig war er auch mit John Cale in Kontakt getreten. Ich weiß nicht genau, wie das lief, aber ich erinnere mich noch, wie ich mit John telefonierte. Als wir uns unterhielten, war er kurz davor, seine Teilnahme zuzusagen. Er fing an, Fragen zu stellen, wer im Studio anwesend sein würde. Ich sagte ihm, dass Maureen für einige Schlagzeug-Parts vorbeikommen würde, und er antwortete: „Was? Ist das irgendeine fucking Velvets-Reunion?“ Ich zögerte einen Moment, denn ich war sowohl von seinem Tonfall als auch der Frage überrascht, und ich weiß nicht mehr, was ich dann erwiderte. Er spürte, wie nervös ich war, und legte abrupt auf. Wie wir wissen, war er auf der Platte nicht dabei.
Etwas mehr als ein Jahr später rief mich Lou in der Frühphase von SONGS FOR DRELLA an. Er sagte, er wünschte sich, dass ich bei diesem Projekt involviert wäre, aber Cale wollte nicht mit „Lous Leuten“ zusammenarbeiten. Er wollte „neutrales Gebiet“. Offenbar gab es also auch nach all den Jahren noch einen Machtkampf in der Beziehung zwischen Lou und Cale.

Und natürlich Dion. Lou war vermutlich ein großer Fan.
Dion war ein toller Typ. Eine große, liebenswerte Persönlichkeit. Er arbeitete im Studio über uns an irgendwas und Lou war wirklich ein großer Fan, also kam Dion und sang.

Warum, denkst du, arbeitete Lou auf NEW YORK mit Mike Rathke zusammen?
Na ja, er war sein Schwager. Ich denke, Mike war ein fähiger, entspannter, folgsamer und flexibler Typ. Quine nannte ihn Lous Schoßhündchen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich wette, er war auch nüchtern, also fühlte sich Lou bei ihm sicher.

Gibt es irgendwelche bestimmten Geschehnisse bei den Aufnahmen, an die du dich erinnern kannst?
Kurz vorher war da was. Wie ich schon sagte, begann die Platte mit meinem „Probe-Produzieren“, und es gab eine Lücke dazwischen und dem richtigen Beginn der Arbeiten. Ich machte in Los Angeles gerade ein Album von Matthew Sweet [EARTH] fertig, das wir dort abmischten. Der Termin für die Sessions mit Lou stand schon, aber ich musste ihn um zwei Tage verschieben, weil ich einen Weisheitszahn gezogen bekam. Und beim Mixen in L.A. erhielt ich dann noch ein Angebot, einen 12-Inch-Remix für einen Song von Bros zu machen. Ich hatte ein bisschen Zeit, also nahm ich den Auftrag an.
Um es kurz zu machen: Ich konnte den Job nicht ohne meine Leute in New York zufriedenstellend abschließen. Als ich also wieder in New York war, beschloss ich, den Zahnarzttermin zu verschieben, um den Auftrag zu erledigen, den ich angenommen hatte. Obwohl ich den Beginn von Lous Platte nicht geändert hatte, war er sehr wütend auf mich, dass ich diese andere Arbeit machte, statt mir Zähne aus dem Kopf reißen zu lassen. Er schimpfte am Telefon mit mir, während ich – ohne Erfolg – zu erklären versuchte, dass ich in derselben Position mit ihm genauso gehandelt hätte. Dass ich liebend gerne mein Leben unterbrechen würde, um einen Abgabetermin für ihn einzuhalten. Das war ihm egal und er legte auf. Ich war verärgert und verwirrt. Ich rief meinen Manager an und sagte ihm, dass ich nicht mehr mit Lou arbeiten wollte. Zum Glück beruhigte mich mein Manager und sagte ganz klar: „Fred, du MUSST diese Platte machen. Das ist sehr wichtig“. Also rief ich Lou an und versuchte, die Wogen zu glätten. Er bestand darauf, dass ich wortwörtlich sage: „Es tut mir leid, Lou. Ich hatte Unrecht und ich entschuldige mich“. Als sich alles wieder abgekühlt hatte, konnten wir darüber lachen. Und das war der Grundstein für das totale Vertrauen, als wir weitermachten.

War NEW YORK das letzte Projekt, an dem du mit Lou gearbeitet hast?
Ja. Auch wenn ich wusste, dass ich nicht an SONGS FOR DRELLA mitwirken würde, dachte ich, dass wir wieder etwas gemeinsam machen würden. Aber dazu kam es nie. Lou scharte gerne eine loyale Crew um sich. Er wusste, dass ich meine eigene Karriere hatte, und ohne irgendeinen bösen Willen verlief sich die Beziehung im Sand.

Wenn Lou und John Cale nicht für SONGS FOR DRELLA und später dann die Velvets-Reunion wieder zusammengefunden hätten, glaubst du, er hätte für einige Zeit mit dir, Mike und Rob weitergemacht?
Ha! Ja.

Rückblickend gibt es auf ›Sick Of You‹ eine erstaunliche Passage, wo Lou sich eine verrückte Zukunft vorstellt und davon singt, wie die Trumps geweiht werden. Es wäre interessant zu sehen, wozu die aktuelle politische Lage ihn inspiriert hätte.
Und wie! Er hätte es genossen.

Hast du eine Lieblingstextstelle auf dem Album?
›Busload Of Faith‹ ist mein Lieblingssong. Das wurde tatsächlich live im Studio aufgenommen. Schlagzeug, Gitarren und der Gesang wurden gleichzeitig eingespielt, im selben Raum. Das hört man, es klingt sehr live. Die Drums gingen eben auch ins Gesangsmikro, die Gitarren ins Drum-Mikro. Als wir es im Kontrollraum anhörten, liebten wir es. Ich legte noch schnell einen Bass drüber und es war fertig.

Stellenweise ist das eine sehr lustige Platte. Lous knochentrockener Humor wird oft übersehen, wenn man sein Vermächtnis analysiert.
Ja, er war bei den Aufnahmen bester Laune, er machte ständig Witze, zerriss in den Pausen die Leute in den Nachrichten und im Fernsehen quasi in der Luft. Wir führten während dieser Plattenaufnahme tolle Diskussionen.

Wusstest du, und wusste Lou, dass ihr einen Klassiker erschafft? Dass es eines der wichtigsten Werke seiner Karriere war?
Mein Manager wusste es. Ich hatte keine Ahnung. Ich folgte einfach meinem Instinkt, den besten Weg zu finden, den Lou einzufangen, den ich kannte. Den Lou aus den Proben. Den Lou, der ein Mitglied von The Velvet Underground war. Den Lou, der ein Dichter war. Ich erinnere mich gerne an diese Zeit, als es noch Plattenfirmen und Labelbosse gab, die tatsächlich an die Künstler glaubten, die sie unter Vertrag nahmen. Sie ließen uns in Ruhe und förderten uns.

Wann hast du das letzte Mal mit Lou gesprochen?
Das war nicht lange vor seinem Tod, vielleicht ein Jahr oder so. Ich sah ihn in einem Restaurant in New York namens ABC Kitchen. Meine Frau drängte mich, Hallo zu sagen, aber aus irgendeinem Grund wollte ich das nicht. Ich hatte Angst, dass er sich nicht an mich erinnern würde. Und er sah schon ziemlich zerbrechlich aus. Er war mit Laurie [Anderson, seiner Frau] dort und ein paar anderen Leuten und sie wollten gerade gehen. Meine Frau, hartnäckig, wie sie nun mal ist, schob mich fast auf ihn. Ich sagte: „Hi Lou. Ich bin‘s, Fred Maher, vom NEW YORK-Album.“ Und er lächelte, schüttelte mir die Hand und sagte irgendwas wie ‚Hallo, schön dich zu treffen‘ oder zu sehen oder so. Ich war mir sicher, dass er keinen Schimmer hatte, wer ich war.
Dann kehrte ich nach Los Angeles zurück, wo ich seit 1996 lebe, ging auf Facebook und einer meiner alten Freunde sagte: „Ich habe gehört, dass du in New York im ABC Kitchen warst“. Was? Woher wusstest du das? Es war [Autor und Musiker] Michael Azerrad. Ich hatte ihn so lange nicht mehr gesehen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass er einer der Leute an Lous Tisch gewesen war. Er hatte mich auch nicht erkannt und war schon auf dem Weg nach draußen, als ich endlich mit Lou sprach. Er erzählte mir dann, dass sich Lou draußen vor dem Restaurant doch noch an mich erinnerte und sagte: „Das war Fred Maher. Toller Schlagzeuger.“

Und zu guter Letzt: Wer war Lou Reed?
Lou war ein Junge aus Long Island, der aus seiner vorgefertigten Vorstadt-Mittelmäßigkeit ausbrach und seine unauslöschliche Duftmarke im Rock‘n‘Roll hinterließ. Der Rock‘n‘Roll und sein implizites Ethos waren seine Besessenheit, sein Glaube und sein spirituelles Zentrum. Er war der erste Punk, ohne Zweifel. (Ian Fortnam)

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