Ihr glaubt, die besten Alben dieser oft belächelten Dekade zu kennen? Dann lasst euch eines Besseren belehren. Wir präsentieren die Platten, die wirklich wichtig waren.
Willkommen zu unserem monumentalen Countdown der WAHREN 100 besten Alben der 80er – der Auswahl für echte Kenner. Bitte hereinspaziert zu Platz 43:
43
DEAD RINGER
Meat Loaf
EPIC, 1981
Nach endlosen Tourneen zum unerwarteten Bestseller BAT OUT OF HELL war Meat Loaf vollkommen ausgebrannt. Das Allerletzte, was er wollte, war sein nächstes Album zu machen. Obwohl er dabei von einer Allstar-Band unterstützt wurde und ein Duett mit Cher singen durfte, sollte sein zweites Projekt mit Jim Steinman sie beinahe für immer und ewig entzweien.
DEAD RINGER war gar nicht als Meat Loafs zweites Album geplant. Das sollte RENEGADE ANGEL werden, die Platte, die Jim Steinman als Nachfolger von BAT OUT OF HELL konzipiert und geschrieben hatte. Doch lange Zeit schien es, als wolle keiner mehr eine Kollaboration der beiden hören, egal wie sie hieß.
Marvin Lee Aday, geboren 1947 in Dallas, Texas, als Sohn einer Lehrerin und eines alkoholkranken Polizisten, wurde von einem Football-Trainer auf der High School aufgrund seiner Körperfülle in Meat Loaf (Hackbraten) umgetauft. Mitte der 60er floh er vor den Problemen zuhause nach Los Angeles. Seine Stimme hatte ebenfalls Übergröße, und so tingelte er mit einer Reihe verschiedener Bands an der Westküste umher, bis er ins Ensemble der L.A.-Produktion des Musicals „Hair“ aufgenommen wurde, das später den Broadway eroberte.
In New York traf er dann Jim Steinman, als er für ein Musical vorsang, das dieser mitgeschrieben hatte, „More Than You Deserve“. Steinman war äußerst talentiert, aber auch ziemlich verschroben, schüchtern und verklemmt. In seiner überlebensgroßen neuen Bekanntschaft hatte er jedoch endlich seine Muse gefunden.
Die beiden nahmen 1974 die Arbeit an BAT OUT OF HELL in Angriff. Meat Loaf lieh den epischen Songs seine Stimme, die Steinman für ein Musical verfasst hatte, das er auf Basis von JM Barries „Peter Pan“-Geschichten entwickelt hatte. Das fertige Werk war ein fast perfektes Destillat seiner Vision: eine Rockoper zur „teenage angst“. Doch anfangs wurde es von jedem Label abgelehnt. Erst das wenig vielversprechende Indie-Label Cleveland International, das von der riesigen Sony Corporation geschluckt worden war, biss an. Ein Glücksfall, denn gleich nach der Veröffentlichung 1977 verkaufte sich das Album blendend. Meat Loaf wurde sofort auf Tour geschickt, Steinman spielte Klavier in seiner Band und sie traten sechsmal die Woche auf – der Anfang allen Ärgers.
Steinman sagte später: „Ich versuchte, das Label dazu zu bewegen, Meats Stimme ruhen zu lassen, dieses großartige Instrument, das sie jeden Abend auf die Bühne zwangen wie den Sänger einer Barband. Er machte seine Stimme wahnsinnig schnell kaputt.“
Körperlich und emotional fertig nach zehn Monaten ununterbrochenen Tourens, nahm Meat Loaf die Dinge schließlich bei einem Konzert in Ottawa, Kanada, selbst in die Hand. Während der Zugabe nahm er Anlauf und rannte von der sieben Meter hohen Bühne. Er brach sich das Bein, womit die Tour abrupt beendet war. „Sie hätten mich damals in eine Gummizelle sperren sollen“, sagte er Jahre später. „Ich war ein Wahnsinniger.“
Befreit von den täglichen Strapazen des Tourlebens, konnte Steinman endlich wieder neue Songs schreiben. Schon wie bei BAT OUT OF HELL waren sie wieder im Rock‘n‘Roll-Nimmerland aus Sex, Autos und nie endender Jugend angesiedelt. Die besten davon, etwa das wuchtige ›Surf‘s Up‹, waren auch kein bisschen weniger brillant und bombastisch. Als Titel wählte er RENEGADE ANGEL aus und holte Meat Loaf ins Studio. Doch das ganze Unterfangen krachte schnell auf den Boden der Tatsachen. „Ich verbrachte sieben Monate mit dem Versuch, einen Nachfolger zu BAT OUT OF HELL mit ihm zu machen“, so Steinman. „Er hatte seine Stimme verloren, sein Haus, und sein Verstand war als nächstes dran.“
„Zunächst war es psychosomatisch, weil ich es einfach nicht machen wollte“, sagte Meat Loaf über seine Unfähigkeit, zu singen. „Aber dann wurde aus der Verweigerung richtige Angst, denn selbst, als ich es wollte, konnte ich es nicht mehr. Ich hatte auch zu rauchen begonnen, und meine Stimme hält sowas nicht lange aus.“
Steinman beschloss, das Album allein aufzunehmen. Unter dem Titel BAD FOR GOOD erschien es 1981 – sein erstes und letztes Solowerk. Meat Loaf war wütend ob dieses Verrats, doch Steinman gab ihm fünf neue Stücke sowie zwei weitere, die er noch mal überarbeitet hatte.
Eine Behandlung bei einem Therapeuten in L.A. hatte Meat Loaf seine Stimme zurückgegeben. Mit einer Allstar-Band inklusive Pianist Roy Bittan und Schlagzeuger Max Weinberg von Bruce Springsteens E Street Band begab er sich ins New Yorker Record Plant Studio, um mit einiger Verspätung die nächste Platte einzuspielen.
Dabei ging es nur langsam voran. Sein Selbstvertrauen war so am Boden, dass Co-Produzent Stephen Galfas die Gesangsspuren in mühsamer Kleinstarbeit Phrase um Phrase zusammensetzen musste. DEAD RINGER erschien schließlich fünf Monate nach BAD FOR GOOD. In Großbritannien erreichte es Platz 1, doch in den USA floppte es und wurde allgemein nicht sehr geschätzt. Der „Rolling Stone“ tat es in einer kurzen Zwei-Sterne-Kritik als „beunruhigend furchtbar“ ab.
Aber dennoch war DEAD RINGER, abseits des übergroßen Schattens von BAT OUT OF HELL betrachtet, ein würdiger Nachfolger. Auf jeden Fall ist es die einzige Platte, die Meat Loaf oder Jim Steinman seither gemacht haben, ob zusammen oder im Alleingang, die auch nur in die Nähe dieses Geniestreichs kommt. Das Beinahe-Titelstück im Duett mit Cher war damals das offensichtliche Highlight, doch andere Tracks sind besser gealtert. Vor allem ›I‘m Gonna Love Her For Both Of Us‹ und ›I‘ll Kill You If You Don‘t Come Back‹ sind kein bisschen weniger bravourös als ›Hot Summer Night‹ oder ›Paradise By The Dashboard Light‹.
Meat Loafs spröde Stimme ist stellenweise schwach. Er sprach sogar einmal davon, DEAD RINGER neu aufzunehmen. Der „LA Times“ sagte er 1993: „Ich war damals außer Kontrolle. Ich wusste nicht, wie ich mit dem Berühmtsein umgehen sollte. Oder überhaupt mit irgendwas.“ (Text: Paul Rees)