Im Stil von Indiana Jones haben sich The Americans durch die musikalische Vergangenheit ihres Heimatlandes gegraben. Herausgekommen ist ein Debütalbum, das im Rock’n’Roll ebenso verwurzelt ist wie im Blues und Folk der 20er und 30er – und das trotzdem nicht angestaubt klingt.
Es ist Nacht in Los Angeles. Sänger Patrick Ferris springt auf einen anfahrenden Pick-up, lehnt sich an die Hinterwand der Ladefläche, seine Gitarre auf dem Schoß, und singt los. Ihm gegenüber seine beiden Mitfahrer und Bandkollegen, Jake Faulkner und Zac Sokolow. „I had a dream in this town, but I’m leaving now.“ Wohin die Reise geht, bleibt im Dunkeln. Nur wenige Fenster sind erleuchtet, einzelne Autos kreuzen die Straßen. Ferris legt all die Verzweiflung und enttäuschte Hoffnung in seinen Blick, seine Stimme, die jemand fühlen muss, der allein von zu Hause ausreißt, der kein Geld hat, keine Freundin mehr, und der nicht weiß, wohin er soll. Nur weg.
Diese Szene spielt sich ab im Video zu ›The Right Stuff‹, der ersten Single aus I’LL BE YOURS, dem Debütalbum der Americans. Und sie drückt in aller Kürze aus, was diese Band und ihre erste Platte ausmacht. Die Songs handeln von gebrochenem Herzen, von Einsamkeit, von unerfüllten Träumen und vom Gefühl des Gestrandetseins. Untergründig rauschen Aufbruchswut und eine unbändige, oft romantische Sehnsucht durch die Tracks, die aber fast durchweg unerfüllt bleiben. „I won you over with a first impression“, schmettert Ferris im eröffnenden ›Nevada‹. Doch dabei bleibt es nicht: „You didn’t read the writing on the wall/You cast a glance in my direction/Where now you see nothing at all.“ Alles verloren.
Im folkig-rastlosen Titelsong trauert der Sänger einem uneingelösten Liebesversprechen nach: „There’s no part of me not aching for a thrill/I could spend a lifetime of empty hours gazing at the wall.“ In ›Last Chance‹ bleibt nur die Erinnerung: „Your love made me someone I always wanted to be/But now that it’s gone, I’ve had to go on making do with a memory.“ Happy Ends sind rar gesät, so viel steht fest. In den besten Momenten erinnern die Texte in ihrer Verzweiflung und ihrer Unbedingtheit ein wenig an den Americana Noir von Bruce Springsteens NEBRASKA.
Dass die ganze Zeit nie von Dingen wie iPhones, Instagram oder Tinder die Rede ist, und dass auch musikalisch nichts explizit in der Gegenwart zu verorten ist, sondern vielmehr in so einer Art Resonanzraum der amerikanischen Musikgeschichte, das ist kein Zufall. Denn die Bandmitglieder haben sich auf quasi-archäologische Weise durch die musikalische Historie ihres Heimatlandes gegraben. Wenn man Ferris nach seinen Helden fragt, dann sind da natürlich einige übliche Verdächtige: Bob Dylan, Tom Waits, Leonard Cohen, die White Stripes. Als Teenager entwickelte er dann aber eine, nun ja, ungewöhnliche Vorliebe: Er entdeckte Country-, Folk- und vor allem Bluesaufnahmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für sich, gemacht von Leuten wie Blind Willie Johnson, Bukka White, Skip James oder Charley Patton. Wie kommt man als Heranwachsender im 21. Jahrhundert darauf, sich so was anzuhören?
„Es gibt viele großartige neuere Bands und Songwriter, die diese Musik bewundern“, erklärt Ferris. „Jack White ist zu White-Stripes-Zeiten mit T-Shirts von alten Bluesern wie Blind Willie McTell auf die Bühne gegangen.“ Derart angefixt, machte sich der künftige Americans-Sänger auf in die Vergangenheit – und entwickelte Gefallen daran, dort „herumzutasten“. Denn klar, so etwas wie einen ultimativen Guide zu dieser alten Musik gibt es nicht. Und genau darin liegt vielleicht ein Teil ihres Reizes. „Bei Bands wie Nirvana weiß man, wie viele Platten sie veröffentlicht haben, ihre Geschichte ist bekannt“, sagt Ferris „Mit den älteren Sachen hat es etwas Archivarisches auf sich, Leute mussten zurückgehen und diese Aufnahmen finden. So Vieles ist noch unentdeckt.“ Und weil einem diese Art von Musik keiner vor die Nase setzt, muss man selbständig nach ihr forschen. „Es ist, wie auf Schatzsuche zu gehen.“
Nicht dass Ferris neuen Pop nicht mag, es ist ihm wichtig, dass dieser Eindruck nicht entsteht. Seine Band soll schließlich nicht wie eine Oldies-Truppe wirken. Worauf es ihm ankommt, und was er in seine eigenen Songs hinüberretten möchte, ist diese ganz besondere Qualität, die er in Liedern aus den 20ern und 30ern hört. „Diese frühe Musik strahlt eine Unschuld aus, die sie besonders macht“, sagt Ferris. „Sie hat einen Mangel an Selbstreflexion an sich.“ Eine Feststellung, die er unbedingt positiv verstanden wissen will: „Manche werden das Puristische daran vielleicht nicht auf Anhieb schätzen, aber wenn man mal rein findet, scheint alles andere dagegen emotional wie durch eine Wand von dir getrennt zu sein.“
„Mit den älteren Sachen hat es etwas Archivarisches auf sich, Leute mussten zurückgehen und diese Aufnahmen finden. So Vieles ist noch unentdeckt. Es ist, wie auf Schatzsuche zu gehen.“ (Patrick Ferris)
Schon in ihrer Jugendzeit in Los Angeles brachten sich Ferris, Bassist Jake Faulkner und Gitarrist Zac Sokolow den Blues und Folk ihrer Vorbilder bei. Auf ihren bisherigen EPs seit der Bandgründung 2010, aufgenommen zusammen mit Drummer Tim Carr – der allerdings nicht zur Kernbesetzung gehört –, sind diese Einflüsse deutlich zu hören. Die Stücke auf dem ersten vollwertigen Album klingen allerdings deutlich ausgereifter und künstlerisch eigenständiger. Das Trio scheint seinen Mitte gefunden zu haben. Die Lyrics sind direkt, aufs Nötigste reduziert und, ja, sie strahlen in ihrer düsteren Einfachheit etwas aus, das man am besten vielleicht mit dem altmodischen Wort Wahrhaftigkeit beschreibt. Ferris: „Wenn man sich alte Recordings aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg anhört, dann findet man dort viele dunkle Sachen. Es war eine weniger glückliche Zeit, und es wurde von den Songs erwartet, das auszusprechen.“ Glitzernde Liebeslieder und Sunshine-Pop jedenfalls sucht man auf I’LL BE YOURS vergeblich.
Dafür gibt’s den harten, dreckigen, an die Rolling Stones gemahnenden Blues von ›Stowaway‹, den zarten, melodischen Folk von ›Harbor Lane‹ oder den aufgedrehten Rock’n’Roll von ›Long Way From Home‹. Letzteres ist ein witziges Stück darüber, was es bedeutet, seine Wurzeln zu verleugnen, dem schnellen Erfolg nachzurennen und seine Zeit in schicken Hotels zu verbringen: „When you sit to write your hit in a room alone/Even you must admit you’re a long way from home.“ Mit der Form von ungebrochener Authentizität und Wahrhaftigkeit, nach der Ferris und Kollegen aus sind, ist es dann eben vorbei.
Ihren Namen haben The Americans übrigens von Robert Franks berühmtem Bildband aus dem Jahr 1958. In wie nebenbei hingeworfenen Schwarzweißaufnahmen von turtelnden Pärchen, Großstadtcowboys, Kaffeehaus-Bedienungen oder Fabrikarbeitern schuf Frank damals ein beeindruckendes, ungeschöntes und Genrationen von Fotografen inspirierendes Bild von Amerika. Man weiß nicht, woher diese Menschen kommen, wohin sie gehen, die lakonischen Bilder lassen viel Raum, sie tragen ihre Geschichten in sich selbst. Es ist ebendiese Lakonie, die auch die Songs auf I’LL BE YOURS an sich haben. Vieles bleibt ungesagt, unkommentiert, die Figuren tauchen auf und verschwinden wieder. Wohin ist unklar. Wie im Video zu ›The Right Stuff‹.
„Franks Buch will einfach eine Geschichte erzählen“, sagt Ferris. „Es geht nicht darum, was diese Geschichte politisch aussagt, was ihre Message ist, es ist einfach eine Geschichte. Das gefällt uns daran.“