Der legendäre Sänger und Songwriter nahm in seiner Karriere fast 100 Alben auf. Trotz einiger stilistischer Fehltritte blieb er seinem rebellischen Geist jedoch immer treu.
Als Johnny Cash mal gefragt wurde, über welche Themen er am liebsten singe, antwortete er mit einer langen Liste, auf der sich „Pferde, Eisenbahnen, Wandern, Verdammung, Erlösung, Arbeit, Whisky, Mord, Krieg, Gefängnis, Humor, Rebellion, Herzschmerz, Rauflust, Liebe, Familie und Gott“ befanden.
Kurzum: Er sang gerne über das Leben. Von Hell bis Dunkel, heilig bis weltlich lässt sein Songbook nichts aus. Dass es bis heute relevant geblieben ist, liegt nicht nur an der Qualität des Materials, sondern auch der Stimme, die es darbietet: tief, knorrig, leidenschaftlich. Das Bindeglied zwischen Woody Guthrie und Bruce Springsteen, so direkt wie ein Folksänger, so passioniert wie ein Prediger und so selbstsicher wie ein Rocker. Und auch wenn diese Stimme wie die eines Helden klingt, ist in ihrem Herzen immer dieses Beben, das uns wissen lässt, dass Cash doch nur ein Mensch ist.
1932 in Arkansas als Sohn von Farmpächtern geboren, arbeitete er (J.R. getauft, als sich seine Eltern auf keinen ersten oder zweiten Vornamen einigen konnten) als Junge auf den Baumwollfeldern und träumte samstags zu den Radioübertragungen aus der Grand Ole Opry in Nashville. Mit zwölf spielte er schon Gitarre und schrieb Songs. 1955 unterschrieb er einen Vertrag bei Sun Records (wo Elvis seine ersten Platten machte). In den Anfangsjahren seiner Karriere kämpfte er mit den Dämonen Alkohol und Tabletten – u.a. bescherte ihm sein Verhalten einen Rausschmiss aus besagter Country-Institution namens Grand Ole Opry. Wie er später sagte: „Manchmal bin ich zwei Menschen. Johnny ist der nette Typ, Cash macht all den Ärger. Sie streiten sich“.
June Carters Liebe rettete ihn vor seinen Exzessen, nach ihrer Hochzeit 1968 waren sie unzertrennlich. Als größter Star des Country und Moderator seiner eigenen Fernsehsendung konnte er es sich zudem erlauben, furchtlose Entscheidungen für seine Karriere zu treffen. Er überschritt stilistische Grenzen, arbeitete mit Bob Dylan und Louis Armstrong zusammen, trat in Haftanstalten auf und setzte sich für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner ein. Währenddessen verkaufte er über 90 Millionen Alben und wurde der einzige Künstler, der sowohl in die Country-, als auch die Rock And Roll- und Songwriters-Hall Of Fame aufgenommen wurde.
Und was seinen Spitznamen „The Man In Black“ betrifft, sang er einst: „I wear the black for the poor and the beaten down, livin’ in the hopeless, hungry side of town/I wear it for the prisoner who has long paid for his crime, but is there because he’s a victim of the times.“
Unverzichtbar
THE FABULOUS JOHNNY CASH
COLUMBIA, 1959
Diese tiefe Stimme. Diese spärliche Begleitung, die dahinrollt wie ein Zug. Der Getriebene, zerrissen zwischen Licht und Dunkel. Sämtliche Markenzeichen von Johnny Cash finden sich auf seinem Debüt für Columbia Records. Es ist gerade mal 29 Minuten lang, aber keine einzige davon ist verschwendet. Die Themen Herzschmerz und Entbehrung sollten zur Blaupause für Country, Folk und Rock werden. Und auf dem selbstverfassten ›Frankie‘s Man‹ sowie dem Klassiker ›Don‘t Take Your Guns To Town‹ zeigt Cash schon sein ganzes Talent als Geschichtenerzähler. Auch fast 60 Jahre später knistert diese Platte vor schierer emotionaler Wucht.
AT FOLSOM PRISON
COLUMBIA, 1971
Der wahre „Jailhouse Rock“: Cash hatte schon seit zehn Jahren Konzerte in Gefängnissen gegeben, doch diese Show von 1968 fing ihn so roh wie nie ein, als er von Verbrechen, schlechtem Gewissen und dem Leben hinter Gittern sang. Seine Verbindung zu den Häftlingen ist elektrisierend, vor allem auf Rocknummern wie ›Cocaine Blues‹, ›25 Minutes To Go‹ (wo Cashs Gesang in Richtung Punk weist) und ›Dark As A Dungeon‹. Es ist die ultimative Kommunion, in der Künstler und Publikum die Songs gemeinsam durchleben. Um die Intensität aufzulockern, warf Cash Scherze wie diesen ein: „Das wird für ein Album aufgezeichnet, also darf ich keine Wörter wie ‚hell‘ oder ‚shit‘ verwenden“.
Wunderbar
WITH HIS HOT AND BLUE GUITAR
SUN, 1957
Die erste LP, die Sun Records veröffentlichte. Als Vorboten einer langen Karriere muss man nur die vier Hits hören, die Cash ins Radio und die Jukeboxen brachten: ›I Walk The Line‹, ›Cry, Cry, Cry‹, ›So Doggone Lonesome‹ und ›Folsom Prison Blues‹. Ein Edelstein in der Krone von Sun, der sich deutlich von den Rockabilly-Partys der Kollegen Elvis und Jerry Lee abhebt – mehr Hillbilly, ländlicher, aber randvoll mit Energie. Eine Zeile wie „I shot a man in Reno just to watch him die“ hätte man von Presley oder Lewis garantiert nie gehört.
ORANGE BLOSSOM SPECIAL
COLUMBIA, 1965
1965 wurden Cash und Dylan zu Kollaborateuren, dieses Album klingt wie eine Hommage an Bob. Dessen Songs ›It Ain‘t Me, Babe‹ und ›Don‘t Think Twice, It‘s All Right‹ macht er sich hier zu eigen, während er auf die vertraute Kombo aus Akustischer und Mundharmonika eines Folksängers setzt. Das Titelstück verwandelt er mit seiner herausragenden Gesangsleistung in einen Country-Standard – man beachte den Moment, als er singt: „I don‘t care if I do or die“. Zudem findet sich hier sein erstes Duett mit June Carter. Ein packendes, schlüssiges Album von Anfang bis Ende.
EVERYBODY LOVES A NUT
COLUMBIA, 1966
Johnny Cash als Witzbold? Ja, hinter der ernsten Fassade verbarg sich ein diebischer Sinn für Humor. Bis heute aktuell ist ›The One On The Right Is On The Left‹, eine Spitze gegen Musiker, die ihre politischen Ansichten in Songs ausdrücken. ›The Singing Star‘s Queen‹ persifliert den Ladykiller-Ruf seines Kumpels Waylon Jennings. ›Dirty Old Egg Sucking Dog‹ folgt einem klauenden Hund, während ›Boa Constrictor‹ das Verschlungenwerden in eine Serie von Einzeilern packt. Das Artwork stammt vom legendären „MAD“-Zeichner Jack Davis.
AMERICAN RECORDINGS
AMERICAN, 1994
Sam Phillips von Sun Records hatte es von Anfang an begriffen: Am besten klingt Cashs Stimme in reduzierten Arrangements. Als Rick Rubin den abgehalfterten Nashville-Star in den frühen 90ern unter Vertrag nahm, stellte er also einfach zwei Mikros vor seine Nase, trat zurück und drückte auf „Record“. Die daraus resultierende Sammlung aus eigenen Songs und Cover-Versionen, nur mit Stimme und Gitarre dargeboten, ist ein fesselndes Audio-Vérité-Porträt und die erste von fünf Veröffentlichungen dieser Serie in zehn Jahren.
Anhörbar
RING OF FIRE: THE BEST OF JOHNNY CASH
COLUMBIA, 1963
Normalerweise ist eine Best Of eine Art Abkürzung zu den Hits, doch diese versammelt mehrere wichtige Singles und EP-Tracks, die zuvor auf keinem Album erschienen waren. Darunter das Mariachi-beeinflusste ›Ring Of Fire‹, mitverfasst von Cashs zukünftiger Frau June Carter. ›What Do I Care‹ und ›I Still Miss Someone‹ sind Klassiker, während ›Forty Shades Of Green‹, seine Ode an Irland, einer sein sollte. Das vergessene Juwel ist aber ›Tennessee Flat Top Box‹ aus Cashs Feder, ein perfekter Song, der sich entfaltet wie ›Johnny B. Goode‹ aus einem Paralleluniversum.
RAGGED OLD FLAG
COLUMBIA, 1974
Es ist ein schmaler Grat zwischen Patriotismus und Hurra-Patriotismus. Der moderne Country ist vor allem von Letzterem durchsetzt. Doch dieses Konzeptalbum aus Cash-Kompositionen, erschienen während der Watergate-Prozesse, trifft die richtige Balance. Nach dem eröffnenden Vortrag, der eine Flagge ehrt, die „schon durchs Feuer gegangen ist“, singt er Oden an amerikanische Werte wie harte Arbeit (›King Of The Hill‹), Religion (›Pie In The Sky‹) und Familie (›I‘m A Worried Man‹), äußert sich aber auch zu Umweltverschmutzung (›Don‘t Go Near The Water‹) und Strafjustiz (›Please Don‘t Let Me Out‹).
THE HIGHWAYMEN
COLUMBIA, 1986
Über die Produktionen der 80er darf man hinweghören, doch es lohnt sich, Cash mit Titanen wie Willie Nelson, Waylon Jennings und Kris Kristofferson zu erleben. Jim Webbs Titelstück ist ein Meisterwerk über Reinkarnation, und Cashs Einstieg hat einen Captain-Kirk-Moment parat: „I fly a starship across the universe divide“. Weitere Highlights sind der Rockabilly-Swing von ›Big River‹ und berührende Cover-Versionen von Guy Clarks ›Desperados Waiting For A Train‹ und Bob Segers ›Against The Wind‹. Das Konzept, dass Legenden miteinander abhängen und Spaß haben, wurde zur Blaupause für Supergroups à la Traveling Wilburys.
Sonderbar
RAINBOW
COLUMBIA, 1985
Der Titel deutet an, dass hier was nicht stimmt. Die frühen 80er waren eine Zeit, in der Country in Nashville mit Sirup übergossen wurde. Cash tut sein Bestes, um sich anzupassen, doch diese Stimme mit kitschigen Synthies, schmetternden Gitarren und Drummaschinen zu umgeben (produziert vom Memphis-Soulstar Chips Moman), ist, als würde man „Citizen Kane“ kolorieren. Zwei annehmbare Songs – ›I‘m Leaving Now‹ und ›Casey‘s Last Ride‹ – reichen nicht als Gegengewicht zur Fahrstuhlmusik. Das bittere Ende von Cashs Zeit bei Columbia und der Katalysator für seine spätere, akustische Wiedergeburt.