Haarsträubend hanebüchen, unglaubwürdig in ihrer konstruierten Verschachtelung und nicht besonders furchteinflößend wirken die meisten Verschwörungen, mit denen sich Heldinnen und Helden in Kino und Serie herumplagen müssen. Vor allem im Serienbereich sind Konspirationen meist nur Hilfsmittel, um a) die Benennung eines klaren Antagonisten zu Gunsten einer diffusen Bedrohungskulisse zu vermeiden, b) die inhärente Ungreifbarkeit des Gegners als erzählerische Fluchttüre zur Erklärung unwahrscheinlicher Plotpunkte zu nutzen oder c), um mit ermüdenden Klischees zu spielen. Ausnahmen gibt es wenige, zuletzt fiel „The Honourable Woman“ als authentisch wirkender Poltithriller mit erstaunlich glaubhafter Geheimdienstkabale ins Auge. Die wohl verstörendste fiktive Verschwörung zeichnet Serienschöpfer Dennis Kelly mit „Utopia“: Einerseits fest im Terrain des Fantastischen verortet – es geht um ein Comic mit verschlüsselter Botschaft, um eine Gruppe zusammengewürfelter Außenseiter im Kampf gegen übermächtige, bestens vernetzte Gegner –, ist „Utopia“ andererseits provokant paranoid in der Thematisierung konsequent fortgedachter Wirklichkeit. Mit dabei: versteckte Genmanipulation, unsichtbare Instrumente zur Bevölkerungskontrolle, allgegenwärtige Totalüberwachung und beklemmende Ohnmacht gegenüber den Herrschenden. Inhaltlich eine Ausnahmeerscheinung, machen brillante visuelle Inszenierung, gekonnte narrative Taktung, großartige Charaktere und die meisterhaft gesetzten Gewaltspitzen „Utopia“ zu einer der besten Serien der letzten Jahre. Nach zwei Staffeln beendet und dank erwähnter Eigenheiten sicher nicht jedermanns Sache, ist es ein radikales Serienjuwel, das wirkt, als hätten David Lynch, Gaspar Noe und Edward Snowden „Akte X“ als bösen Acid-Trip verfilmt.
10/10
Utopia – Staffel 1 & 2
Polyband/VÖ: 28.10.