Vor 40 Jahren erschien ALADDIN SANE. Es war Bowies letztes Album mit den Spiders From Mars, auf Tour geschrieben, von den USA inspiriert und durchtränkt von Sex, Drogen und kompromisslosem Ehrgeiz.
Am 10. September 1972 gingen David Bowie und seine Frau Angie – „Großbritanniens berühmtestes bisexuelles Paar“ – in Southampton an Bord der Queen Elizabeth 2 mit Ziel New York City. Wo waren die Spiders? Mick Ronson, Trevor Bolder und Woody Woodmansey stießen eine Woche später zu ihnen und gingen per gemietetem Greyhound-Bus auf Tour. Erster Halt: Cleveland, Ohio. Als der Bus von der Grand Army Plaza losfuhr, zog eine Frau auf dem Bürgersteig ihren Rock herunter und entleerte ihren Darm in eine Papiertüte. Willkommen in Amerika.
Es war nicht Bowies erster Besuch in den USA. Drei Monate zuvor waren Dave’n’Ange schon in ihren flammroten Haaren und ausgefallenen Klamotten über die Pennsylvania Plaza getorkelt, um Elvis Presley im Madison Square Garden zu sehen. Sie saßen neben den VIP-Kollegen John Lennon, Led Zeppelin, Simon & Garfunkel und Bob Dylan.
„Elvis war einer meiner großen Helden“, sagte Bowie später. „Und ich war wahrscheinlich dumm genug, um zu glauben, dass es wirklich etwas bedeutete, am gleichen Tag wie er Geburtstag zu haben. Ich war für ein langes Wochenende eingeflogen. Ich war mitten in einer Ziggy-Stardust-Tour und flog am Freitag hin, um Elvis am Samstagabend zu sehen. Ich erinnere mich, wie ich direkt vom Flughafen kam und sehr spät in den Madison Square Garden lief. Ich trug all das Zeug aus der Ziggy-Phase und hatte tolle Plätze nahe der Bühne, etwa in der zehnten Reihe. Die ganze Halle drehte sich um und sah mich an, und ich fühlte mich wie ein echter Idiot. Ich hatte leuchtend rotes Haar, einen ausgepolsterten Raumanzug und diese roten Stiefel mit den dicken schwarzen Sohlen – das komplette Outfit. Ich wünschte mir, ich hätte mich für etwas Unauffälligeres entschieden, denn er muss mich bemerkt haben. Elvis hatte schon einige Lieder gespielt. Ich musste an all diesen ziemlich konservativen Amerikanern vorbei gehen… und es war das schlimmste, erniedrigendste Gefühl aller Zeiten. Ich flog am Sonntag wieder zurück, um Montagabend in Bristol zu spielen. Für etwa zwei Wochen war ich Presley [lacht]. Das war eine fantastische Erfahrung.“
Und davor, im Januar 1971, war Bowie nach New York geflogen und hatte die amerikanischen Legenden erlebt, die seine Liebe zu allem Bizarren und Dekadenten begründeten: The Velvet Underground im Max’s Kansas City und ein rotziger Club-Auftritt der Stooges. Bald würde er sowohl Lou Reed als auch Iggy Pop seinem britischen Publikum vorstellen und an ihren bahnbrechenden Alben TRANSFORMER und RAW POWER arbeiten. Bei diesem Antrittsbesuch war der Junge aus Süd-London mit den weit aufgerissenen Augen voll des Lobs für dieses neu entdeckte Gelobte Land. „Ich glaube, ich war die letzten 24 Jahre im Gefängnis. Nach Amerika zu kommen, hat eine Tür geöffnet.“
Wo diese erste Reise der Auslöser für den kreativen Höhenflug war, aus dem das Album THE RISE AND FALL OF ZIGGY STARDUST AND THE SPIDERS FROM MARS wurde, sollte sich das Abenteuer von 1972 als noch fruchtbarer erweisen. Bowie schrieb die Stücke für sein nächstes Projekt ALADDIN SANE im Bus, in Limousinen, Zügen und Hotelzimmern. Wenngleich es kein so plakatives Konzept wie ZIGGY hatte, war ALADDIN SANE textlich sein bislang ambitioniertestes Werk, kühler und emotionsloser als sein sommerlich wehender Vorgänger. Mit Aladdin Sane im Epizentrum beschrieb Bowie den Untergang von Welten, das Ende der westlichen Zivilisation. Er war der Fremde in einem seltsamen, dystopischen Land, bevölkert von sexbesessenen Berühmtheiten, Terroristen und Scharfschützen, Koks-Dealern, wilden Groupies, Andy-Warhol-Starlets und Rockstar-Heroin-Wracks – und er liebte jede koksschnupfende Minute davon. Dies war definitiv nicht die Top Rank Suite in Stoke-on-Trent, der letzten Station seiner UK-Tour, bevor er nach Amerika kam.
Der aktuelle Hit ›John, I’m Only Dancing‹, jenes Lied über bisexuelle Swinger, dominierte gerade die britischen Charts und Bowie und seine Jungs waren in Höchstform. Nach ihrem triumphalen ersten Auftritt in der Music Hall von Cleveland verfassten er und Ronson einen Nachfolger. ›The Jean Genie‹ klaute die Yardbirds-Version von Muddy Waters’ ›I’m A Man‹ und verwandelte sie in eine erotische Koks-und-Fick-Orgie, die perfekt zur Jubelstimmung der Tour passte. Der Roadie Will Palin erinnert sich daran, wie das Stück als Autobahnhymne geboren und von Ronno und Bowies Kumpel George Underwood von einem Jam untermalt wurde. Ronnos Riff wurde von „Bus, bus, bus, bus, bus, bus, we’re bussin“-Rufen begleitet.
Trevor Bolder offenbart: „Wir sahen es als Kopie von ›I’m A Man‹ an, das ich in Bands gespielt hatte, als ich jünger war. Im Bus spielten wir es auch. [Als wir es aufnahmen], hatten wir es in einer Stunde im zweiten oder dritten Take fertiggestellt.“
Bowie hatte die Textidee dazu nur Stunden, nachdem er von Bord der QE2 gegangen war. Er und Angie fuhren zum Mercer Arts Center, um die New York Dolls – bzw. The Dolls Of NY, wie sie sich damals gerade nannten – während eines 17-wöchigen Engagements im Oscar Wilde Room des Instituts zu sehen. Laut Dolls-Gitarrist Sylvain Sylvain genossen die Bowies ein fünftägige Orgie im Plaza Hotel mit Billy „Doll“ Murcia und der 21-jährigen Marilyn-Monroe-Doppelgängerin Cyrinda Foxe. Das Quartett ließ es mächtig krachen, während Champagnerflaschen vom Zimmerservice und Koksröhrchen den Boden bedeckten. „David Bowie hatte sich in Cyrinda verknallt und Angie hatte einen neuen Liebhaber – Billy Doll!“, so Sylvain.