Kein Nebenprojekt mehr, keine minderen Bad Seeds: Mit dem zweiten Album sind Grinderman für Nick Cave und Kollegen zur vollwertigen Band geworden – ein Garagenblues-Mahlwerk, vor dem einem schon mal das Deo versagt.
s ist egal, ob man Nick Kent oder Jon Savage heißt, ein gewiefter Musikjournalist oder Fanzineschreiber ist – irgendwann trifft man seinen Angstgegner. Irgendwann marschiert man mit einem Päckchen Kippen vor dem 19:25 Uhr-Interviewtermin auf und ab und hyperventiliert. Was kann man um die Zeit eigentlich noch… Was hat er heute noch nicht 1000 Mal… Okay, versuchen wir es mit dem „Langer Tag“-Gambit: Guten Abend, Mr. Cave. Gibt es eine Frage, die Ihnen heute noch nicht gestellt wurde? „Uhhngh. Ungh. Ugh. Ich weiß nicht.“ Er stöhnt ins Telefon. „Mir kam das vor wie eine Million Fragen. Du musst schon deine eigenen stellen, fürchte ich. Das ist dein Job.“
Fair genug. Schließlich sitzt auf der anderen Seite nicht mehr der augenberingte Fürst der Finsternis, der sich in den Achtzigern ein Wandloch mit Blixa Bargeld teilte. Nein, es ist Nicholas Ed-ward Cave, 52 Jahre alt, Feuilleton-Liebling, Untergrund-Ikone und der erfolgreichste Seelenver-käufer seit Robert Johnson – ein Mann, dem man selbst den 2008er „Pornstache“ überm schwachen Kinn verzeiht. Ein Nick Cave tut sowieso nur, was er will, denkt man – bis er mit dieser Stimme, die einem auch das Telefonbuch vorlesen darf, losknarzt, nein, vielmehr habe Grinderman ihn endlich vom Diktat des guten Geschmacks befreit. Als hätte er, der im Video Kylie totmachte, sich je darum geschert. Oder doch? „Du bist mit allem erdenklichen Gepäck befrachtet, immer“, kommt es zurück. „Aber bei Grinderman ist nichts mehr unmöglich, und alles ist neu.“
An der Herangehensweise hat sich seit GRINDERMAN 1 nichts geändert – nur der Haufen merk- würdiger Ideen ist gewachsen: „Die Songs entstehen aus Jams, die oft das völlige Chaos sind. Mittlerweile können wir auf sieben, acht CDs mit Material zurückgreifen, das spontan entstanden ist und irgendwie“ – er lacht guttural, hur, hur, hur – „interessant klang. Die Herausforderung ist, da-raus noch etwas zu formen, das halbwegs genießbar ist. Das war nicht immer einfach; einige Stücke wie ›Evil‹ und ›Worm Tamer‹ haben sich extrem quer gestellt. Aber ich denke, dass Grinderman bei aller Sprödheit tatsächlich etwas Neues ist, ein frischer Sound.“
Einwand, Euer Ehren: Wirklich neu ist das nur, wenn man weder Caves Hang zur Moritat noch das Grinderman-Debüt kennt, auf dem sich Warren Ellis, Martyn Casey und Jim Sclavunos 2007 das erste Mal auf das Geschrabbel ihres Chefs einließen. Das Resultat gemahnte an The Birthday Party, Gott hab’ sie selig, während GRINDERMAN 2 mehr von Bluesmännern und Predigern bevölkert wird – auch eine schöne Mischung. Dass sich das alles um ihn, Cave, dreht, verneint er indes: „Es gibt nur eine ultimative Autorität, und das ist Gott“, sagt er trocken. „Grinderman ist aber auch keine Demokratie. Für den kreativen Prozess wäre das zu langsam. Ich neige zum Delegieren, wenn du verstehst.“
Äh. Nicht direkt. „Als Musiker habe ich gelernt, wann ich etwas aus der Hand geben muss, und zwar an jemanden, der es besser kann.“ Ihre Sitzungen muss man sich folglich vorstellen wie Schwitzhüttenrituale in den Sussex Downs: „Wir sitzen Kopf an Kopf, ich mit Gitarre, Keyboard und Mikro, War-ren an der Gitarre, Martyn mit Bass, Jim an Drums, und versuchen zu ergründen, was in uns vier Individuen gerade vor sich geht.“ Dieses kollektive Einfühlen gebiert zuverlässig Monster und wird von Caves Lyrik zusammengezurrt wie mit… „einem Lasso!“, unterbricht er und gluckst. „So ein Ding, mit dem man Kühe fängt?“ Eisenketten, wollten wir sagen. Abgesehen davon, dass auch ein glucksender Nick Cave etwas Furchteinflößendes hat, woher kommen sie, seine Feuer & Schwefel-Texte? Diese Gischt schäumenden Mantras auf ›Evil‹, ›Kitchenette‹ und ›Worm Tamer‹, die Abgesänge des ›Bellringer Blues‹ und ›Mickey Mouse And The Goodbye Man‹, das schlafwandlerische ›What I Know‹?
„Anfangs ist das zu 100 Prozent Improvisation“, antwortet er. „Ich habe ein Talent, aus dem Stand Reime und einigermaßen schlüssige Erzählungen von mir zu geben. Wenn du das ein paar Tage lang machst, wie bei den Sessions, beginnst du zu delirieren. Dann ergießt sich dieses ganze… Zeug.“ Cave betont „Zeug“ wie ein Hund, der an seiner Kotze riecht – stolz und ein bisschen verwundert. „Wenn ich mir die Aufnahmen danach anhöre, denke ich nur: ,Fuck, wo kam das her?‘ Später arbeite ich sie zu Lyrics aus. Würdest du mich mit einem leeren Blatt an den Schreibtisch setzen, käme nichts raus; da ist der Geist nicht frei“, sagt er. „Betest du hin-gegen Song um Song runter, gerätst du schnell in Gefilde, wo du die Kontrolle verlierst.“
Einiges davon kann man zu Gruppen sortieren: ›Worm Tamer‹, ›When My Baby Comes‹ und ›Heathen Child‹ bilden ein Triptychon, das die Frau als das „unbarmherzige Andere“ zeigt. Hat sie ein Gesicht? „Mhh.“ Er lacht. Die Zahnräder knirschen. „Nein, ich glaube nicht. Das unbarmherzige Andere dieser Songs ist weiblich, aber auf der ganzen Platte ist es eher das Selbst. Die Chimären, die sich durch die Songs winden, sind das Unterbewusste, das sich aufbäumt. Bei ›Heathen Child‹ zum Beispiel sah ich ein Mädchen, das in einer Wanne sitzt und im Begriff ist, sich zu… verändern. Der Verlust der Unschuld, das Kind, das zur Erwachsenen wird – und zugleich tanzt es um diese Veränderung herum. Ängste und Archetypen kommen zum Vorschein, Mythen quellen hervor…“
Klingt, als ob er manchmal so lange in den Spiegel schaut, bis er sich fühlt wie Edvard Munchs „Der Schrei“… „Hur hur hur. Genau! Wobei“, fügt er hinzu, „ich zugeben muss, dass GRINDERMAN 2 eine ausgesprochen dunkle und gewalttätige Platte ist. Dass ich es immerzu von Gewalt oder Gott beziehungsweise deren Fehlen habe, ist eine Konstante bei mir. Selbst wenn ich von einem Pärchen in einem Blumenmeer singe, geschieht das unter den Vorzeichen von Gewalt.“ Er denkt nach, zögert. „Wovon meine Texte aber sicher nicht handeln, ist der Missbrauch von Frauen. Das ist Bullshit. Ständig kriege ich böse E-Mails dazu, deshalb nochmal zum Mitschreiben: Das Thema sind Wandlungen.“
Eines noch, Mr. Cave, ehe wir gehen müssen, und vielleicht eine unanständige Frage nach vier Dekaden im Musik-, Film- und Literaturgeschäft, aber… wo liegt der Quell der Kreativität? „Ähm. Vermutlich, leider… Beklemmungen, fürchte ich?“ Er schnaubt und seufzt im selben Atemzug. „Dabei liebe ich mein Leben, meine Frau, meine Kinder, meine Freunde und das ganze Zeug. Aber es gibt diesen einen Ort, den ich betreten kann, der süchtig machend und von einem Zaun umgeben ist, und das ist die Imagination. Sie hat ihre eigenen Ge-setze, ihren eigenen Drall. Sie ist unabhängig von meiner Stimmung, meinen Launen, auf welchen Drogen ich bin. Für die Vorstellungskraft ist Quali-tät kein Kriterium. Es ist ein Ort, an dem sich alles verändert, sogar die Chemie deines Körpers. Und dorthin gehe ich nicht – ich renne.“