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Werkschau: Motörhead

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Werkschau: Motörhead

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Rock’n’Roll’s Finest in ihrem natürlichen Lebensraum. Motörhead klangen nie besser, als wenn sie vor einem durchgeschwitzten Publikum spielten.

In ihrer vier Jahrzehnte umspannenden Karriere brachten es Motörhead, die wahrhaftigsten aller Rock’n’Roller, auf 22 Studioalben und pfiffen dabei auf flüchtig angesagte Szenen wie NWOBHM, Punk oder den guten alten Heavy Metal, um nach einer Maxime zu leben: „Wir sind Motörhead, wir spielen Rock’n’Roll“. Wie bei vielen ihrer Zeitgenossen aus den 70ern waren es auch hier die Live-Mitschnitte, die ihr wahres Wesen am besten abbildeten. Motörhead verbrachten ihr Leben auf Tour und spielten Songs, die ihre vollendete Ausdrucksform erreichten, wenn sie in einem Raum voller verschwitzter Zuschauer ertönten, die bereit waren, ihr Gehör zu opfern für die Chance, das echte Antlitz des Rock’n’Roll in all seiner warzigen Schönheit zu erblicken.

Die Briten waren bis kurz vor dem bitteren Ende unterwegs – Lemmy scherzte oft, dass er hoffte, „auf der Bühne zu sterben wie [der Comedian] Tommy Cooper“ – und ihre Live-Werke bieten oft einen authentischeren Blick darauf, wer sie an dem jeweiligen Punkt in ihrer Karriere wirklich waren. Veränderungen in ihrer Besetzung, ihrem Stil und ihrer Einstellung schlugen sich alle auf den (bis dato) 14 Konzertmitschnitten nieder, ganz zu schweigen von den wenig koscheren Begebenheiten hinter den Kulissen, die manche dieser Releases begleiteten (siehe „Sonderbar“), oder der Geschichte von WHAT’S WORDS WORTH?, das der Ex-Manager der Band veröffentlichte, um aus dem Erfolg von NO SLEEP ’TIL HAMMERSMITH Kapital zu schlagen. Trotz alledem zeigt jeder dieser Releases sie lebensechter, als es ein Studiowerk je könnte. Es gibt schließlich einen guten Grund dafür, dass Live-Versionen von ›No Class‹ und ›Bomber‹ ihren Weg auf „Greatest Hits“-Sampler finden und NO SLEEP ’TIL HAMMERSMITH als einziges Motörhead-Album überhaupt die Spitze der britischen Charts erreichte.

Zuverlässig wie ein Uhrwerk – Weihnachten ohne ihre jährliche Novembertournee fühlt sich immer noch seltsam an – und subtil wie eine Atombombe, waren Motörhead live eine tobende Bestie, die keinerlei Interesse an so banalen Dingen wie Dezibelgrenzen zeigte und völlig unbeeindruckt von dem Lametta blieb, mit dem sich andere Zeitgenossen auf dem Weg zum „Rockstar“-Status schmückten. Zwölfminütige Soli und schwurbelnde Vokaldemonstrationen könnten niemals mit der schieren Gewalt von ›Iron Fist‹, ›Over The Top‹ oder ›Orgasmatron‹ mithalten. Motörhead zementierten ihren Ruf als
Rockikonen, indem sie die Musik für sich sprechen ließen. Wie es die Band selbst bei fast jeder
Show nach 1979 sagte: „Der einzige Weg, den Lärm zu spüren, ist wenn er richtig laut ist“.

UNVERZICHTBAR

NO SLEEP ’TIL HAMMERSMITH
1981, BRONZE

Die Gelehrten sind sich unisono darüber einig, dass Motörhead in einer kreativen Form waren, die man nicht anders als „brandheiß“ bezeichnen kann, als sie 1981 NO SLEEP ’TIL HAMMERSMITH veröffentlichten. OVERKILL, ACE OF SPADES und BOMBER waren alle die Charts hinaufgeklettert, doch nur HAMMERSMITH erreichte den Gipfel. Krank, schnell und noch fieser als die Hinterläufe eines Maultiers, definierte es, wie Motörhead-Songs live zu klingen hatten und ließ die Studiofassungen von ›Bomber‹, ›No Class‹, ›Over The Top‹ und sogar ›Ace Of Spades‹ im Vergleich dazu blutleer klingen. Nach der perkussiven Explosion am Anfang des Openers ›Ace Of Spades‹ gibt es kein Zurück mehr.

EVERYTHING LOUDER THAN EVERYONE ELSE
1999, STEAMHAMMER

Jeder ernsthafte Rockfan wird NO SLEEP’ TIL HAMMERSMITH von 1981 als Motörheads definitives Livealbum bezeichnen. Aber vielleicht ist das nur die halbe Wahrheit . HAMMERSMITH mag eine Granate sein, was das Einfangen des „klassischen“ Line-ups betrifft, doch auf EVERYTHING LOUDER THAN EVERYONE ELSE aus dem Jahre 1999 erleben wir ein Statement, das ihr Vermächtnis bis zu ihrem Ende 2015 aufrecht erhielt. Eindrucksvoller oder unbezwingbarer klangen sie nie wieder, und neuere Tracks wie ›Sacrifice‹ und ›Burner‹ sind kein bisschen weniger mächtig als die langlebigen und unkaputtbaren alten Standards.

WUNDERBAR

THE WÖRLD IS OURS VOL. 1
2011, UDR/EMI

Aufgezeichnet in Santiago, New York und Manchester, zeigt THE WÖRLD IS OURS VOL. 1 – EVERYWHERE FURTHER THAN EVERYPLACE ELSE die Band im Zenit ihrer Kräfte in ihrer letzten Phase. Mit Songs von 1979 bis zu THE WÖRLD IS YOURS von 2010 ist dies ein Paradebeispiel für ihre damaligen Setlists. Die Songs werden mit einer Vitalität angegangen, die Blitze durch Klassiker wie ›Stay Clean‹ und ›Killed By Death‹ schießt, während ›Get Back In Line‹ und ›Rock Out‹ ihre Liebe zum klassischen aufgedrehten Rock’n’Roll-Sound belegen.

NO SLEEP AT ALL
1988, GWR

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, was das Verhältnis der Band zu GWR Records betraf (ein Streit über eine Leadsingle führte zu einem Gerichtsverfahren und ihrem Weggang von dem Label). Der Mix ist unausgegoren, und doch unterstreicht das Resultat ihren Ruf als Speed-Freaks, da jeder Song beschleunigt klingt und so klangliche Anarchie vermittelt. Die doppelte Gitarrenattacke von Phil Campbell und Würzel sorgt dabei für eine Wucht, die das übliche Trio nicht bieten kann, und ›Eat The Rich‹ und vor allem ›Just ’Cos You Got The Power‹ bekommen hier die 80er-Gitarrengott-Vollbedienung verpasst.

LOCK UP YOUR DAUGHTERS
1990, RECEIVER

Nach dem Erfolg von HAMMERSMITH versuchten viele der Business-Haie, denen Motörhead in ihren Anfangsjahren begegnet waren, mit ihren eigenen Livemitschnitten abzukassieren. Meist halbgar, zeigen diese Aufnahmen aus den späten 70ern nichts von der Bissigkeit und Energie der Band. LOCK UP YOUR DAUGHTERS istjedoch anders und eines der frühesten Dokumente des klassischen Trios aus „Philthy Animal“ Taylor, „Fast“ Eddie Clarke und Lemmy, das das Material der Erstwerke aufbohrt und dabei die anarchische Dynamik des Punk an den Tag legt.

25 & ALIVE: LIVE AT BRIXTON ACADEMY
2003, SPV/SANCTUARY

Motörhead feierten ihr Vierteljahrhundert mit Stil und brachten für eine Show in der Brixton Academy im Oktober 2000 illustre Gäste auf die Bühne. Brian May, Whitfield Crane, Doro Pesch u. a. schlossen sich ihnen bei Songs wie ›Overkill‹ und ›Born To Raise Hell‹ an, während „Fast“ Eddie für ›The Chase Is Better Than The Catch‹ und ›Overkill‹ zurückkehrte. Die Feierlaune hält das ganze Set über an, doch die schiere Aggression von ›We Are Motörhead‹ und ›I’m So Bad (Baby I Don’t Care)‹ zeigt, dass sich die Band nicht auf ihrem Ruhm ausruhte.

ANHÖRBAR

LOUDER THAN NOISE … LIVE IN BERLIN
2021, SILVER LINING

Louder Than Noise Live In Berlin

Deutlich schlanker als viele der Motörhead-Livewerke nach 2000, ist dies ein 70-minütiges Greatest-Hits-Set, auf dem die Band sich in Topform zeigt. Mit ›I Know How To Die‹ hebt sie ab wie ein Düsentriebwerk, während ›Rock It‹ und ›The One To Sing The Blues‹ hochwertiger und kraftvoller klingen als ihre Studio-Gegenstücke. Motörhead mögen sich nie als Virtuosen gesehen haben, doch der Mix von LOUDER THAN NOISE offenbart die nahtlose Tightness ihres Spiels und insbesondere ›Metropolis‹ und ›Damage Case‹ klingen groovier als je zuvor.

BBC LIVE & IN-SESSION
2005, SANCTUARY

Aufgezeichnet zwischen 1978 und 1986, ist dies das ultimative Dokument ihrer Entwicklung in ihrem ersten Jahrzehnt. Weniger in Verzerrung getränkt als andere Live-Releases, fühlt sich das von Natur aus näher an einer traditionellen Rock’n’Roll-Platte an. ›I’ll Be Your Sister‹ etwa, das sich in seiner Originalfassung immer wie ein Kuriosum anfühlte, wird hier als Teil einer Peel Session von 1978 neben frühen Nummern wie ›Keep Us On The Road‹ verständlicher. Die BBC-Version von ›Orgasmatron‹ verdient zudem besondere Erwähnung und fängt Lemmy dämonisch wie selten ein.

BETTER MOTÖRHEAD THAN DEAD
2007, SPV

Ironischerweise das einzige Livealbum der Band, das tatsächlich in Hammersmith (im Apollo) aufgenommen wurde, treffen wir die Band hier 2005, drei Jahrzehnte nach ihrer Entstehung. Der Sound ist etwas verwaschen, doch die Magie einer Motörhead-Show immer noch zu spüren, wenn sie bissige Darbietungen von ›Love For Sale‹, ›R.A.M.O.N.E.S.‹ und ›We Are The Roadcrew‹ raushauen. Am bemerkenswertesten ist jedoch ›Whorehouse Blues‹. Nach den 90ern fanden sich zwar mehr Balladen auf ihren Alben, doch diese wurden nur selten live gespielt, geschweige denn aufgezeichnet.

SONDERBAR

CLEAN YOUR CLOCK (LIVE IN MUNICH 2015)
2016, UDR

Dieses Machwerk stinkt zum Himmel! Aufgenommen einen Monat nach dem Tod von Phil „Philthy Animal“ Taylor (und einen Monat vor Lemmys), waren dies mit die letzten Shows, die Motörhead je spielten – und das hört man. Lemmys charakteristisches Brüllen ist zu einem schmerzhaften Flüstern verkommen, während kreischendes Mikrofon-Feedback auf dem Opener ›Bomber‹ ein erschütternder Beleg dafür ist, wie wenig Aufwand in diesen Release gesteckt wurde. Reine Geldmache mit dem Tod einer der strahlendsten Ikonen im Rock.

Text: Rich Hobson

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