Ihr glaubt, die besten Alben dieser oft belächelten Dekade zu kennen? Dann lasst euch eines Besseren belehren. Wir präsentieren die Platten, die wirklich wichtig waren. Und das ganz ohne BACK IN BLACK.
Willkommen zu unserem monumentalen Countdown der WAHREN 100 besten Alben der 80er – der Auswahl für echte Kenner. Bitte hereinspaziert zu Platz 70 bis 60:
70
Killing Joke
KILLING JOKE
E.G., 1980
Für viele wurde das Debüt von Killing Joke zur ultimativen Blaupause für harte Musik in der Post-Punk-Landschaft. Geordie Walkers solofreie Gitarrenwände, gepaart mit Paul Fergusons Tribal-Schlagzeug, die Tiefe des Dub, Youths von Chic inspirierte Bassläufe und natürlich Jaz Colemans rabenschwarze, apokalyptische Vocals und Keyboard-Atmosphären erschufen einen Sound, den später Manson, Nirvana und Metallica wahlweise aufgriffen, pflegten und klauten.
(Text: IF)
Zeitzeugen: „Killing Joke haben ein Element der Gewalt, das ihrer Musik das gewisse Etwas verleiht.“ („NME“)
69
Kiss
UNMASKED
CASABLANCA, 1980
Auch wenn Paul Stanley sich später von UNMASKED distanzieren sollte – „wir haben unsere Eier verloren“, sagte er lapidar –, ist es doch eine tolle Pop-Rock-Platte, ebenso wie schon DYNASTY zuvor. Auf zwei Songs, ›Tomorrow‹ und ›Shandi‹, erreichte Stanley selbst den Gipfel dieser Spielart, während Ace Frehleys ›Torpedo Girl‹ ein einzigartiges Beispiel für den Punkt ist, an dem Genie und Wahnsinn aufeinander treffen.
(Text: PE)
Zeitzeugen: „Nur Gene Simmons scheint zu begreifen, dass Kiss eigentlich ein Märchenspiel in Form einer Rockband sind.“ („NME“)
68
The Police
SYNCHRONICITY
A&M, 1983
Mit ihrem fünften – und letzten – Album aus fesselndem, aber undurchschaubarem Pop-Rock stiegen The Police endlich in die Oberliga auf. Dass sich auf SYNCHRONICITY vier Riesenhits fanden – ›Wrapped Around Your Finger‹, ›King Of Pain‹, ›Every Breath You Take‹ und ›Synchronicity II‹ – schadete dabei natürlich nicht. Selbst das experimentellere Material hier – und die gegenseitige Verachtung innerhalb des Trios – konnte nicht verhindern, dass sie zur größten Band der Welt wurden.
(Text: PL)
Zeitzeugen: „Eine Platte von wirklicher Leidenschaft, die man unmöglich wirklich erschließen kann.“ („NME“)
67
Siouxsie And The Banshees
JUJU
POLYDOR, 1981
Der Schlüsselmoment für die zweite Inkarnation der Banshees zerrte den Goth allem Widerstand zum Trotz in den Mainstream. Von den Hits der ersten Seite (›Spellbound‹, ›Arabian Nights‹) zu den düstereren Songs der zweiten (›Night Shift‹, ›Voodoo Dolly‹) erweiterten die treibende Percussion und die ausdrucksstarke Gitarre der Neuzugänge Budgie und John McGeoch den Appeal der Band über ein Szenepublikum hinaus und verwandelten die enigmatische Siouxsie in eine Ikone.
(Text: IF)
Zeitzeugen: „Faszinierend, intensiv, brütend und umwerfend stimmungsvoll.“ („Sounds“)
66
Squeeze
EAST SIDE STORY
A&M, 1981
Die Süd-Londoner verabschiedeten sich hier vom New Wave und fanden endlich kommerziellen Erfolg, der mit dem Lob der Kritiker gleichzog. Die Songwriter Glenn Tilbrook und Chris Difford wurden für ihren scheinbar endlosen Fluss aus souveränen Melodien und wortgewandten Texten als neue Lennon & McCartney ausgerufen. Ihr einziger Rivale in Sachen gewitzte Songschmiederei, Elvis Costello, fungierte denn auch als Co-Produzent auf ihren vierten Album – neben seinem eigenen Produzenten Roger Bechirian. Von Rockabilly bis Country, Psychedelik bis Blue-eyed Soul waren die Singles ›Labelled With Love‹, ›Tempted‹ und ›Is That Love?‹ hier nur die Spitze des eklektischen Eisbergs.
(Text: PL)
Zeitzeugen: „Ein Album, das die goldene Ära des Experimentierens in britischen Studios heraufbeschwört.“ („Creem“)
65
The Cure
DISINTEGRATION
FICTION, 1989
Robert Smith war so ausgebrannt von dem Ruhm, den The Cure 1985 mit THE HEAD ON THE DOOR erreicht hatten, dass er nach Kräften versuchte, mit DISINTEGRATION den Rückwartsgang einzulegen und die Lawine aufzuhalten. Er kehrte zu der doomigen Produktion von einst zurück, schaufelte sich Halluzinogene in den Rachen und weigerte sich, bei den Sessions in der Hook End Manor zu sprechen, um ein „leicht unangenehmes Umfeld“ zu erzeugen. Funktioniert hat es nicht: Das schimmernde ›Lovesong‹, das düster-schöne ›Lovesong‹ und das beunruhigende ›Lullaby‹ waren viel zu eingängig, um in einem unterirdischen Goth-Club zu versauern, und katapultierten DISINTEGRATION zu den besten Verkäufen in der Geschichte der Band.
(Text: HY)
Zeitzeugen: „Auch nach elf Jahren und acht Studioalben spielt Smith noch immer den verwirrten Heranwachsenden, der im Herzschmerz der Vorstadt treibt.“ („Q“)
64
The Jesus And Mary Chain
PSYCHOCANDY
BLANCO & NEGRO, 1985
Vier Monate nach Live Aid war dieses Debütalbum aus feedbackschwangerem Gitarrenlärm wie ein Schwall kalten Wassers in Gesicht, ein erfrischendes Gegengift gegen Stadionbombast und langweiligen, beigen Chartpop. The Jesus And Mary Chain fanden die Schnittmenge aus den Girlgroups der 60er und dem Nihilismus der 70er wie eine Art unheilige Fusion aus den Shangri-Las und den Stooges. ›Just Like Honey‹ war ein köstlicher Schuss Süßes, ›My Little Underground‹ ein Schlachtruf der neuen Indie-Generation.
(Text: PL)
Zeitzeugen: „Sehr präzise verwurzelt in einem New York auf exakt halber Strecke zwischen The Velvet Underground und den Ramones.“ („Melody Maker“)
63
Y&T
EARTHSHAKER
A&M, 1981
Das neue Jahrzehnt und der Namenswechsel vom skurrilen Yesterday And Today zum knapperen Y&T läutete eine neue Ära für die Kalifornier ein. Deutlich härter als die vorangegangenen Platten (weniger Bandporträts im Soft-Fokus, mehr wuchtige Gitarren und Vocals), wurden hier dynamischere, präzisere Songs präsentiert, deren Farbspektrum und Fingerfertigkeit bisweilen verblüfften. Es war der Startschuss für eine ganze Reihe starker Alben, doch so gut sollten Y&T nie wieder sein.
(Text: PW)
Zeitzeugen: „Y&T haben sich von mittelmäßigen Anfängen zu vollblütigen, abrockenden, Mauern einreißenden Metal-Maestros entwickelt.“ („Sounds“)
62
Venom
WELCOME TO HELL
NEAT, 1981
„Sei kein Prophet im eigenen Land“, besagt das Sprichwort. Es erwies sich als äußerst wahr für Venom aus Newcastle, die mit WELCOME TO HELL ein Genre erfand, das weltweit florieren sollte – ohne sie. Man kann nur schwer zum Ausdruck bringen, wie schockierend dieses Album 1981 klang, ein dissonantes, wütendes und genüsslich hässliches Werk, das in einem so neuen Stil erschaffen worden war, dass es noch nicht mal einen Namen dafür gab. Venom nannten es Black Metal. Auf ›In League With Satan‹ fand man das düstere Pulsieren, das eine ganze Generation befeuerte, während ›Witching Hour‹ die ersten Varianten aller möglichen Thrash-Subgenres enthielt. Dies ist und bleibt der Schlüssel, um alles zu verstehen, was folgen würde.
(Text: JH)
Zeitzeugen: „Verleiht dem Begriff ‚unheilvoll‘ eine ganz neue Bedeutung.“ („Sounds“)
61
Talking Heads
REMAIN IN LIGHT
SIRE, 1980
Die kreativen Quantensprünge der Talking Heads von Platte zu Platte kulminierten in ihrer Vierten, der Apotheose ihrer Assimilerung von World Music und afrikanischen Polyrhythmen. Unterstützt von Brian Eno, war REMAIN IN LIGHT ein schillernder Reigen geloopter Grooves und musikalischer Fähigkeiten, vom nervösen Art-Funk von ›Crosseyed And Painless‹ zum hypnotischen, fast schon psychedelischen ›Houses In Motion‹. Währenddessen vollzog David Byrne seinen Verwandlung von einem übertriebenen Normalo zu einer Art durchgedrehtem Prediger.
(Text: PL)
Zeitzeugen: „Kommt nahe ran an einen so starken Funk, wie man ihn zuletzt auf ONE NATION UNDER A GROOVE [von Funkadelic] gehört hatte.“ („NME“)
60
Utopia
DEFACE THE MUSIC
BEARSVILLE, 1980
Utopias Werdegang war das genaue Gegenteil von dem der Beatles: Ihr Debüt von 1974 war ein Meisterwerk des komplexen Prog, aber bei ihrem sechsten Album machten sie in dreiminütigen Popjuwelen. DEFACE THE MUSIC war eine Hommage an die Fab Four von Beatlemaniac Todd Rundgren und seiner Band. Chronologisch arrangiert, vom Pilzkopf-Rave ›I Just Want To Touch You‹ über das harmonisch ausgefeiltere (und an ›Eleanor Rigby‹) erinnernde ›Life Goes On‹ bis zu dem ›Strawberry Fields Forever/I Am The Walrus‹-Hybrid ›Everybody Else Is Wrong‹, ist dies die Karriere der Liverpooler Legenden, kondensiert in 13 kleine Ehrerbietungen.
(Text: PL)
Zeitzeugen: „Beatlemaniacs werden hier entweder vor Freude jubeln oder vor Wut kochen.“ („Rolling Stone“)