Wenn aus einem Gastproduzenten plötzlich ein festes Bandmitglied wird, muss etwas Besonderes passiert sein. Wenn eine Band ein leerstehendes Studio entert und es zu neuem Leben erweckt, auch. Beides ist so bei Volbeat geschehen, die sich nach einer weise gewählten Pause lautstark mit OUTLAW GENTLEMEN & SHADY LADIES zurückmelden. Michael Poulsen über Erwartungen, Cowboys und die Zwangspause, die vielleicht das Ende der Band verhinderte.
Für seine 37 Jahre hat Michael Poulsen schon eine Menge hinter sich. Seine Band Volbeat rast seit Jahren auf einer für alle anderen unbefahrbaren Überholspur, längst sind die Dänen eine der größten Rock-Truppen dieses Planeten. Verdient? Und ob: Die Band arbeitet härter als die meisten anderen, spuckte in fünf Jahren vier Alben aus und bereiste den gesamten Planeten. Dann kam das Unvermeidliche: Die Luft war raus. Krisen innerhalb und außerhalb der Band, Anspannungen, Stress. Man zog die Notbremse, verordnete sich ein halbes Jahr Zwangspause. Urlaub sieht dennoch anders aus, wie Michael zurückblickt: „In diesen sechs Monaten schrieb ich das neue Album, arbeitete so gut wie jeden Tag von früh bis spät an den Songs. Doch es war eine sehr inspirierende Zeit. Ich habe ein neues Haus direkt am Meer gekauft und genoss es sehr, eine Zeitlang mal nur zuhause zu sein.“ Zu Recht: Seit Erscheinen des Debüts THE STRENGTH/THE SOUND/THE SONGS spielten sie jedes Konzert, das ihnenangeboten wurde. Schon früh in der Karriere fielen Supportshows für Metallica, Megadeth oder Nightwish ab, schnell folgten ausverkaufte Headliner-Reisen durch Europa und Amerika. Die Pause zwischen Album und Tournee wurde immer kürzer, Volbeat zunehmend erfolgreicher – und gestresster. „Diese Lebensweise ist keine einfache“, beginnt der Sänger noch etwas zögerlich. „Hinter den Bühnen passierte vieles, was uns sehr viel Energie raubte. Das merkte man uns auf der Bühne nie an, als Resultat trennten wir uns aber von Thomas Bredahl. Es kam immer mehr zusammen, das wir nie angemessen reflektieren konnten“, so Michael ernst. „Ich verlor meinen Vater vor vier Jahren, hatte aber nie eine Chance, das wirklich zu verarbeiten. Zwei Wochen nach seinem Tod waren wir wieder unterwegs. Klar, dass das Spuren hinterlässt.“ Trennungen, Probleme, innere Streitigkeiten… die Liste wurde immer länger. Bis man die Reißleine und entsprechende Konsequenzen zog. „Jetzt sind die Probleme gelöst, jetzt können wir weitermachen.“
Dass das unter erheblichem Druck geschieht, ist Poulsen klar. Er sieht jedoch nichts Schlechtes darin. „Klar haben sehr viele Leute sehr hohe Erwartungen an uns. Diesen Druck brauchen wir auch, um konzentriert zu arbeiten“, stellt er klar. „Manchmal wäre es vielleicht ohne Druck schöner, doch ich komme gut damit klar.“ So weit oben seine Band mit ihren zahlreichen Gold- und Platin-Schallplatten auf der Erfolgsleiter auch steht: Der Däne hat keine Angst, dass sich allzu bald etwas daran ändert. „Darauf sollte man sich doch sowieso nicht konzentrieren. Wir achten nur auf die guten Dinge. Das garantiert, dass wir eine positive Grundstimmung in der Band haben und gern alles für diese Sache geben.“ Eine effektive Methode für gute Stimmung am Arbeitsplatz, sozusagen. Fehlendes Selbstbewusstsein klingt zumindest anders. Entsprechend wagemutig gab man sich auch bei der Wahl des Studios. „Wir wollten weg vom normalen Volbeat-Aufnahmeprozess und verfrachteten unseren Produzenten Jacob Hansen in eine neue Umgebung. Der Plan war“, erzählt Michael, „ein Studio zu nehmen, in dem wir alle noch nie gearbeitet haben. Raus aus der Komfortzone, rein in ein altes legendäres Studio hier in Dänemark. Dieses Studio wurde seit ewigen Zeiten nicht mehr benutzt. Wir fühlten uns, als hätten wir den Millenium Falcon aus ‚Star Wars‘ gefunden. Wir mussten es erst mal entstauben und waren gespannt, was noch funktionieren würde. Wirklich aufregend!“
Das, was bei den Aufnahmen von OUTLAW GENTLEMEN & SHADY LADIES geschah, auch. Michael Poulsen macht den Märchenonkel: „Durch Zufall erfuhr ich, dass ex-Anthrax-Gitarrist Rob Caggiano nebenher auch produziert. Ich wollte ihn unbedingt als Gastproduzenten dabeihaben, der bei der Gelegenheit auch gleich ein paar Solos beisteuert. Eigentlich wollte er sich mehr auf seine Produktionen konzentrieren, doch während er mit uns in Dänemark arbeitete, merkte ich, wie gut er zu uns passt. Er spielte zunächst ein paar Gastsolos ein – und dann ging plötzlich alles ganz schnell: Er hatte einige Ideen für die neuen Stücke und war plötzlich mittendrin. Da wir sowieso einen zweiten Gitarristen suchten, musste ich ihn einfach fragen, ob er nicht bei Volbeat einsteigen will. Es wäre aber auch eine Schande gewesen, wenn dieser Typ fortan nur noch im Studio rumgesessen wäre.“ Das unmittelbare Resultat ist ein deutlich dynamischerer, direkterer Gitarrensound, der eine frische Härte in den Volbeat-Sound bringt. „Diese Platte ist die stilistisch vielseitigste, die wir je gemacht haben“, bringt es der Bandchef auf den Punkt. „Unser Inspirationshorizont wurde merklich erweitert, außerdem springen dir die Songs deutlich mehr ins Gesicht als vorher. Wenn wir hart sind, sind wir stahlhart, wenn wir Country spielen, ist es der totale Country-Angriff. Erstmals habe ich alle Ziele erreicht, die ich mit diesem Album erreichen wollte. Das gab es noch nie“, lacht der standesgemäß in Graceland vor den Traualtar getretene Michael befreit. Das kann er auch: Die Erweiterung der Farbpalette tut der Band gut, nach zuletzt sehr ähnlichen Alben geht es mal wieder kunterbunt zur Sache.
Ein Einfluss überwiegt die anderen dann aber doch: Mehr denn je ist OUTLAW GENTLEMEN & SHADY LADIES von Wildwestromantik und Conutry-Flair geprägt – musikalisch wie inhaltlich. „Ich sage mir schon sehr lange, dass man einem Volbeat-Album eines Tages anhören würde, welch begeisterter Western-Fan ich in meiner Kindheit war. Western-Filme zogen mich praktisch groß“, verrät der Elvis-Fan. Bislang sei die Zeit noch nicht reif gewesen. Bislang: „Ständig schwirrten mir Melodien im Kopf herum, die auch aus einem Spaghettiwestern stammen könnten. Die Zeit war also endlich reif dafür, dieses Album Wirklichkeit werden zu lassen.“ Und wenn die Melodien schon mal in diese Richtung gingen, sollten die Texte natürlich in eine ähnliche Kerbe schlagen. Hier kommt der Titel ins Spiel, der perfekt zum Kosmos dieser Platte passt: Poulsen verspricht den „totalen Western-Overkill voller zwielichtiger Gestalten, fragwürdiger Ladys, Saloons und Pistolenhelden.“ Welche Rolle der Sänger in der Zeit der Cowboys, Saloons und Posträuber wohl gespielt hätte? Sheriff? Gesetzloser? Pianist im Saloon? „Keine Ahnung. Aber Saloon klingt schon mal nicht verkehrt.“