Ob fast identische Kopien oder kaum wiedererkennbare, komplett neu gedachte Fassungen der Songs anderer Leute: Wir beschäftigen uns mit der Kultur der Coverversion – und klären, was überhaupt als Cover gilt.
David Bowie sagte mal: „Wenn andere Musiker das mögen, was ich mache, ist das sehr cool.“ Und damit sprach er sicher vielen aus der Seele. Alle Rockmusiker sind schließlich zunächst erst mal Rockfans. Und wie könnte man besser zeigen, dass man ein Fan ist, als durch eine Coverversion eines Songs des jeweiligen Lieblingskünstlers? Am Beginn einer Karriere ist sie ein Mittel zur Identifikation, ähnlich dem Tragen eines Band-T-Shirts. Ein Weg, um zu sagen: „Das ist, was ich liebe, das ist, wer ich bin.“ Und aus praktischer Sicht ist ein Cover eine gute Methode, um zu lernen, wie ein erfolgreicher Song konstruiert ist, ebenso wie ein erster Schritt zu einem eigenen Stil. Da hat man also beispielsweise David Bowie, der alles Mögliche, von Elvis-Stücken bis zu Slim Whitmans ›China Doll‹, sang, als er noch bei The Konrads war. Oder Bruce Springsteen, der in seiner frühen Band The Castiles auf Schulpartys ›Purple Haze‹ und ›Suzanne‹ spielte. Steven Tylers Gruppe The Strangeurs verteilte Visitenkarten, auf denen stand: „English sounds, American R&B“, was alles, von ›Bits And Pieces‹ bis zu ›She’s A Woman‹, beinhaltete. Der Bluesolog-Pianist Reg Dwight (später Elton John) sang „Songs von Jim Reeves, Songs von Cliff Richard, was auch immer beliebt war“. Es ist kein Zufall, dass all diese Künstler dann große Hits mit Coverversionen landeten. Doch wenn man mal etabliert ist und eigene Songs schreibt, wieso covert man dann trotzdem weiter? Anfang der 60er, als zwei Alben pro Jahr und unablässiges Touren als normal galten, war es oft gar nicht so einfach, eine LP vollzubekommen – auf den ersten fünf Beatles-Alben (vor RUBBER SOUL) waren 20 der 69 Stücke Covers, während das Verhältnis bei den Rolling Stones sogar fast 70:30 betrug. Manchmal kann man damit aber auch unbekannten Talenten ins Rampenlicht helfen, wie etwa Van Halen, deren ›Ice Cream Man‹ einen obskuren Track von John Brim von 1953 aufgriff.
In anderen Fällen ist die Motivation eine andere: „Ich sehe Dimensionen und Möglichkeiten in diesem Lied, die dem ursprünglichen Künstler entgangen sind“. Ein Paradebeispiel ist ›All Along The Watchtower‹ von Jimi Hendrix. Dessen Autor Bob Dylan sagte: „Er fand Dinge darin, an die andere nicht mal gedacht hätten.“ Manchmal wechselt das Geschlecht (Linda Ronstadts ›Desperado‹), manchmal ist es ein Lieblingsmoment in einem Konzert (die Foo Fighters mit ›Mississippi Queen‹ oder die beeindruckende Interpretation von ›Stairway To Heaven‹ von Heart), manch- mal einfach Nostalgie (Grand Funk Railroad’s ›Locomotion‹). Vielleicht ist es auch Teil eines Konzeptwerks, etwa Todd Rundgrens FAITHFUL oder David Bowies PIN UPS. Und es könnte sogar eine vertragliche Verpflichtung sein – so wurde etwa John Lennons ›Rock’n’Roll‹ teilweise aufgenommen, um die Bedingungen einer Klage von Chuck Berrys Verleger über zwei geklaute Zeilen in Lennons Beatles-Nummer ›Come Together‹ zu erfüllen. Es gibt also zahlreiche Gründe für Coverversionen – und Qualitätsniveaus, von transzendental bis oberpeinlich.
Bevor wir uns mit den guten wie schlechten Beispielen befassen, hier noch eine kleine Historie. Der Begriff „Coverversion“ mag zur Rockära zählen, doch das Konzept an sich ist natürlich so alt wie die Populärmusik selbst. Anfang des 20. Jahrhunderts, bevor Radio und Platten ihren Siegeszug antraten, regierte Musik von Notenblättern. Das war wie eine Einladung, eine eigene Fassung eines Songs zu singen. Familien versammelten sich um das Klavier, um Klassiker wie ›Swanee‹ und ›Ain’t Misbehavin’‹ zum Besten zu geben. Von den 30ern bis zu den 50ern gab es bekannte Hits üblicherweise gleich in mehreren aufgezeichneten Versionen. Ethel Waters mag ›Stormy Weather‹ als Erste veröffentlicht haben, doch es folgten weitere Interpretationen von Billie Holiday, Frank Sinatra und vielen anderen. Dieses Muster war so etabliert, dass es kein Wunder ist, dass eine der ersten kommerziell erfolgreichen Rock’n’Roll-Veröffentlichungen ebenfalls eine Coverversion war: ›Rock Around The Clock‹ von Bill Haley & His Comets, 1954 ein Nummer-eins-Hit in Großbritannien und den USA (und erst 1968 auch in Deutschland), war ursprünglich ein Jahr zuvor in einem Jazz-Arrangement von Sonny Dae & His Knights aufgenommen worden. Wer sich daran nicht erinnern kann, braucht sich nicht wundern, denn Bill Haley gelang das, was nur wenigen Covers gelingt: Seine Version wurde zu der, die den meisten Menschen bekannt ist – in diesem Fall umso bemerkenswerter, als es mehr als 50 weitere Fassungen davon gibt. Ende der 50er kamen dann die ersten beiden „autarken“ Rock’n’Roll-Künstler auf: Buddy Holly und Chuck Berry. Beide schrieben ihr eigenes Material und nahmen ihre eigenen Songs auf, die dann über die folgenden 70 Jahre unzählige Male von anderen gecovert wurden – allein von Berrys ›Johnny B. Goode‹ existieren mehr als 200 Fassungen. Das ist wichtig, weil es hilft, unsere Definition einer Coverversion zu konkretisieren – im Wesentlichen ein Song, der von einem anderen Act dargeboten wird als dem, der ihn ursprünglich geschrieben und aufgenommen hat. Peter Gabriel beschrieb es 2010 anlässlich seines Coveralbums SCRATCH MY BACK: „Das ist ein echter Austausch und Dialog mit anderen Musikern.“
Es waren wohl die Beatles, die unseren heutigen Begriff eines Covers etablierten, als sie den Ansatz des reinen Nachspielens verschmähten und mit ›Twist And Shout‹ etwas wirklich Einzigartiges erschufen. Die Fab Four bauten auf Interpretationen der Top Notes und Isley Brothers auf, fuhren das Tempo hoch, drehten die Gitarren auf und fügten dieses „Ah … aah … aaah“-Crescendo hinzu. Die Krone war jedoch John Lennons kehlkopf-zerfetzender Gesang darauf. „›Twist And Shout‹ brachte mich fast um“, sagte er später. „Meine Stimme war noch lange danach nicht mehr dieselbe. Jedes Mal, wenn ich schluckte, fühlte es sich an wie Schmirgelpapier.“ Doch es ist bis heute eine der großartigsten Rock-Performances aller Zeiten. Coverversionen wie ›Twist And Shout‹, die sich einen Song im Wesentlichen zu eigen machen und das Original in die zweite Reihe verdrängen, sind selten. Nick Lowe sagte dazu mal: „Wenn ich ein Cover entdecke, das mir gefällt, arbeite ich so lange daran, bis ich glaube, dass ich es geschrieben habe, und dann kann ich mir dieselben Freiheiten dabei nehmen wie bei Stücken, die tatsächlich aus meiner eigenen Feder stammen.“ Und das ist der Schlüssel. Die herausragendsten Rock-Covers üben eine doppelte Kraft aus Empathie und künstlerischer Persönlichkeit aus, bis der Song etwas preisgibt, das sich dem Original nicht entlocken ließ. ›Summertime Blues‹ von The Who, ‹Stormy Monday‹ von den Allman Brothers, ›Hard To Handle‹ von den Black Crowes, Joan Jetts ›I Love Rock’n’Roll‹, Janis Joplins ›Me And Bobby McGee‹ und ›I Fought The Law‹ von The Clash sind ein paar weitere bekannte Beispiele. Manchmal sind Coverversionen aber gar nicht auf diese Art kreativer Dominanz aus. Ein gutes Cover kann sowohl respektvoll als auch mutig genug sein, um sich Freiheiten zu erlauben. Es erinnert einen daran, warum man das Original liebt, während es gewissermaßen die Beiwagenposition in der eigenen Wertschätzung einnimmt. Das ist mit Abstand die größte Kategorie, zu der etwa ›The Man Who Sold The World‹ von Nirvana, ›Ain’t That A Shame‹ von Cheap Trick, Aretha Franklins ›Bridge Over Troubled Water‹, ›I Know I’m Losing You‹ von den Faces, ›Cum On Feel The Noize‹ von Quiet Riot, Bonnie Raitts ›Angel From Montgomery‹, ›Love Reign O’er Me‹ von Pearl Jam, Wilson Picketts ›Hey Jude‹, Santanas ›Black Magic Woman‹ und ›Feel A Whole Lot Better‹ von Tom Petty & The Heartbreakers zählen.
Hier noch ein Beitrag von mir: Marianne Faithfulls Version von John Lennons „Working Class Hero“ von ihrem Album „Broken English“ (1979). Großartig – weil völlig anders als das dylaneske Original. Eine düstere, stampfende Rocknummer, passend zum depressiven Text.
Ich dachte immer nur Lennon selbst könne diesen fantastischen Song (für mich sein bester aus der Solo-Zeit, besser als das etwas zuckrige „Imagine“) richtig bringen, aber Faithfulls Interpretation, die sich völlig vom Original löst, ist genauso gut.