Tony McPhee hat mit den Groundhogs Rockgeschichte geschrieben und gilt als einer der Urväter des Grunge. Jetzt ist er nach zahlreichen Schicksalsschlägen zurück.
Der 16. Juni 2009 ist ein warmer Sommertag, der Himmel leuchtet in strahlendem Blau. Tony McPhee kniet in seinem Garten und rupft das Unkraut aus dem Beet. Die Rock’n’Roll-Welt? Lichtjahre entfernt.
Doch McPhee hat sie maßgeblich geprägt. Mit den Groundhogs, die in den frühen Sechzigern John Lee Hooker als Backing Band unterstützt haben, bevor sie in den Siebzigern mit Alben wie THANK CHRIST FOR THE BOMB, SPLIT oder WHO WILL SAVE THE WORLD? THE MIGHTY GROUNDHOGS selbst zu Ruhm und Ehren gekommen sind. Zu ihren Fans zählen illustre Rocker, so zum Beispiel der Produzent Jack Endino, der u.a. Soundgarden und Nirvana zu Platinauszeichnungen verholfen hat: „Platten wie THANK CHRIST FOR THE BOMB oder SPLIT waren die Basis für die Entwicklung des Grunge“, so Endino. Und Julian Cope setzt noch einen obendrauf: „Die Art und Weise, in der die Groundhogs den Blues weiterentwickelt haben, war ähnlich revolutionär wie das Schaffen von MC5, den Stooges oder das der Krautrock-Bewegung.“
Doch das ist Tony McPhee egal. Ihn interessiert nicht, was Mark Lanegan über ihn denkt oder welche Huldigungen Mark Arm von Mudhoney über ihn verfasst – er beschäftigt sich lieber mit seiner Harke. Als er sein Tagwerk geschafft hat, geht er zurück zum Haus. Gerade als er durch die Tür geschlurft ist, durchfährt ihn plötzlich er ein brennender Schmerz, der so stark ist, dass er sofort an Ort und Stelle zusammenbricht. Er will seiner Lebensgefährtin Joanna Deacon zurufen, dass sie Hilfe holen soll. Doch er schafft es nicht, seine Gesichtsmuskeln sind wie gelähmt.
„Anfangs dachte ich noch, dass sich Tony einen bösen Scherz mit mir erlaubt“, erinnert sich Deacon. „Denn er wälzte sich auf dem Boden herum und gab dabei nur unkoordinierte Grunzlaute von sich.“ Doch rasch wird ihr klar, dass McPhee einen Schlaganfall erlitten hat und im Zuge dessen auch sein Sprachzentrum gestört ist.
So schockierend dies in diesem Moment auch ist – für Tony McPhee ist die Situation nicht neu. Bereits im Jahr 1993 erleidet er seinen ersten (und schlimmsten) Infarkt – lange Zeit kann er nicht mehr Gitarre spielen, was ihn mental stark belastet. 2001 kommt eine erneute Attacke, bei der vor allem eine Körperhälfte in Mitleidenschaft gezogen wird, Lähmungserscheinungen sind die Folge. Eine Reihe weiterer Krisen folgen, doch sie sind nicht mehr so heftig wie die beiden ersten.
Der Anfall im Sommer 2009 ist der bis dato letzte – und er kommt zu einer besonders ungünstigen Zeit. Denn die Groundhogs sind gerade im Studio. Unter der Ägide von Über-Fan Endino nehmen sie eine neue Platte auf, denn McPhee ist gesundheitlich so weit auf der Höhe, dass er die Songs mit seinem düsteren, markanten Vibrato veredeln kann.
Der Infarkt wirft das Projekt zurück – doch McPhee ist stark. Er schafft es, sich erneut zu berappeln. Nicht binnen Tagen oder Wochen, aber doch mit einer steten Tendenz nach oben. „Der Sprachverlust war zum Glück nicht permanent“, kann McPhee ein Jahr später stolz verkünden, und seine Partnerin Joanne ergänzt: „Der Genesungsprozess verläuft nicht geradlinig – es geht mal bergauf, dann aber auch wieder etwas bergab. Eine bizarre Sache, die viel Geduld erfordert.“
Geduld, die sich auszahlt. Denn McPhee kann wieder auf der Bühne setzen und seinen wilden, ungezügelten Blues spielen. Er liebt es sichtlich – selbst wenn das Ganze nicht ohne Einschränkungen möglich ist, wie Joanne berichtet: „Erstaunlicherweise kann er sich seither besser konzentrieren. Doch auf einem Auge ist er nun blind – und zwar ausgerechnet auf demjenigen, mit dem er immer das Griffbrett beobachtet hat. Daher muss er den Kopf nun mehr zur Seite drehen.“
Doch das funktioniert inzwischen so gut, dass McPhee auf Tour gehen kann. Joanna übernimmt dann den Großteil der Gesangsparts, so dass das Paar immer zusammen ist. Während der freien Tage übt sich Tony im Sprechen – und arbeitet weiter an den Songs.
„Das Album ist stilistisch ziemlich vielschichtig“, berichtet Joanna für ihren Lebensgefährten. „Einige Stücke erinnern an die alten, erfolgreichen Groundhogs-Platten und nehmen dieses Flair wieder auf. Aber es gibt auch Songs, die komplett anderes klingen. Ich werde etliche Vocals beisteuern. Und live würden wir im Duett singen.“
Durchweg Neuigkeiten also, die optimistisch stimmen. Die Kraft, die viele Rückschläge wegzustecken, bezieht Tony McPhee nach eigener Aussage aus zwei Quellen: „Freunde und Fans“. Und Joanna ergänzt: „Wir haben viele Freunde. Tony wird also quasi zur Kommunikation gezwungen, da er mit ihnen reden und sich austauschen möchte. Außerdem ist Musik für ihn ein wichtiger Therapie-Eckpfeiler. Bei uns im Ort gibt es so genannten ,open mic‘-Abende, bei denen Musiker zum Jammen zusammenkommen. Einen Tag, nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden ist, wollte Tony schon wieder dorthin, um live zu spielen. Das Erlebnis, auf einer Bühne zu stehen und zu performen, ist für ihn das Wichtigste im Leben.“