Todd Rundgren hätte einer der größten Popstars der 70er Jahre sein können. Doch das oft verkannte Genie folgte lieber seinem Herzen als dem Ruf des Geldes. Auch auf seinem neuen Album STATE macht der liebenswert spleenige Visionär wieder, was er will.
Ein geringes Maß an Popularität zu akzeptieren, ist völlig in Ordnung“, sagt Rundgren bestimmt, als wir ihn daheim in Kauai, Hawaii erwischen. „Nur weil Musik nicht im Radio gespielt wird, heißt das nicht, dass es kein Publikum dafür gibt.“ Deshalb verlegte er sich Anfang der 70er nach Hits wie ›I Saw The Light‹ und ›Hello It’s Me‹ und dem herrlich abgedrehten Popmeisterwerk SOMETHING/ANYTHING? aufs Experimentieren und tauschte Starrummel gegen Kultstatus. Er wandte sich elektronischem Noise zu, zelebrierte später mit seiner Band Utopia kosmischen Prog-Rock und machte als Pionier auf dem Feld digitaler Medien von sich reden.
Folglich sind es längst nicht mehr nur die Power-Pop-Epigonen, die Rundgren als Vorbild nennen. Auch die aktuellen Heroen elektronischer Klangerzeugung wie Daft Punk und Hot Chip bezeichnen ihn als wichtige Inspiration. Das wiederum färbte auf das neue Werk des Altmeisters mit der schillernden Persönlichkeit ab. „Ich wollte einfach herausfinden, was zum Teufel es war, das ich damals getan habe und das jetzt wieder relevant ist!“, sagt er lachend. Deshalb klickte er sich am Computer durch viele, viele YouTube-Links. „So bekommt man einen tollen Überblick über das, was gerade angesagt ist“, ist er überzeugt. „Allerdings läuft man Gefahr, lediglich zu imitieren, wenn man sich zu sehr mit der Musik anderer beschäftigt. Deshalb habe ich immer sofort abgeschaltet, wenn mir auf YouTube etwas gefallen hat!“ Die ausführlichen Recherchen sorgten dafür, dass Rundgren mit STATE keinesfalls ein gedämpftes Roots-Alterswerk abgeliefert hat. Im Gegenteil! Mit der Melange aus Rock, Soul, R&B und Electronica darf er sich durchaus auf Augenhöhe mit dem Zeitgeist wähnen. Die Idee dahinter ist allerdings altbewährt. „Es geht stets schlicht und ergreifend darum, konventionelle Techniken auf interessante Weise anzuwenden“, sagt der bekennende Fan moderner Produktionsstandards. Vorbei die Zeiten der horrenden Studiokosten, die früher nötig waren, damit ihn die Inspiration finden konnte, wann immer sie wollte. „Heute“, freut er sich, „gibt es diese Freiheit in einem handlichen Laptop.“
Allerdings hat der technische Fortschritt auch dazu geführt, dass der Mann, der Meat Loafs BAT OUT OF HELL, Patti Smiths WAVE, das Debütalbum der New York Dolls und zahllose weitere Klassiker produziert hat, heute nur noch selten für andere Künstler am Mischpult sitzt. „Die moderne Studiotechnik ist so benutzerfreundlich, dass ich als Produzent oft gar nicht mehr gebraucht werde“, sagt er bescheiden. Zudem hat er inzwischen andere Einnahmequellen. „Früher stammte mein Einkommen hauptsächlich aus Produzentenjobs, doch seit mein Song ›Bang The Drum All Day‹ der Knüller auf allen Carnival-Cruise-Kreuzfahrten ist, machen die Tantiemen für diese eine Nummer einen wesentlichen Teil meines Jahreseinkommens aus“, verrät er lachend.
Dennoch denkt Rundgren mit knapp 65 nicht daran, kürzer zu treten. Seiner eigenen Welttournee diesen Sommer folgt deshalb im Herbst eine Südamerikareise als Mitglied von Ringo Starrs All-Starr Band. „Musikmachen ist nicht wie Radfahren“, erklärt der Tausendsassa sein unvermindert großes Arbeitspensum. „Man kann nicht einfach ein paar Jahre pausieren. Wenn man mit der Musik aufhört, ist es vorbei.“
Carsten Wohlfeld