Die 70er waren eine gute Zeit, um Rockstar zu sein. Was waren eure schönsten Begegnungen?
N: Ach, wir haben so viele Leute auf Tour kennengelernt, so viele Künstler getroffen. Robert Plant und John Bonham kannte ich schon früher sehr gut. Als Robert Plant noch nicht bei Led Zeppelin war, kutschierte ich sein Equipment herum. Sabbath kannte ich natürlich aus den Birmingham-Tagen, all diese Leute aus den Midlands, die es geschafft hatten. Auch in Amerika hatten wir einige wilde Zeiten. Manchmal ist man bis zu neun Monate lang auf Tour, da drehst du irgendwann durch. Nach circa sechs bis acht Wochen ging die „tour madness“ los. Ab da bist du keine normale Person mehr, du bist mittendrin im Rock’n’Roll-Zirkus. Die alltäglichen Regeln zählen nicht mehr für dich. Da ging es jeder Band gleich,man trieb alles auf die Spitze. Irgendwann, 1972 oder 1973, hatten wir Thin Lizzy als Vorband dabei, und später tourten wir gemeinsam durch Amerika. Der damalige Leadgitarrist, Brian Robertson, ein Schotte, war ein Rock’n’Roller durch und durch. Nach den Shows wollte ich immer irgendwo weiterperformen, weil ich noch voller Adrenalin war. Deswegen zogen Brian und ich nach den Konzerten weiter und jammten mit irgendwelchen Menschen. Unsere seltsamste Begegnung war wohl, als wir in diesem Lokal landeten und schließlich mit einer Mariachi-Band mit Sombreros musizierten.(lacht) Die 70er waren eine großartige Zeit, alles war so frei und ungezwungen. Wir dachten nicht an ein Morgen und genossen dieses Geschenk, das uns unser Erfolg beschert hatte, in vollenZügen. Gerade fällt mir noch ein, wie einmal King Crimson vor uns spielten. Die eine Hälfte des Publikums bestand aus deren Fans, die andere Hälfte aus Slade-Anhängern. Sie saßen auf der Bühne und spielten ihre virtuose Prog-musik, viel Gedudel, als die Slade-Fans schrien: „boogie woogie!“ Irgendwann ging Robert Fripp ans Mikrofon und sagte: „We have no intention to boogie“. Wir standen hinter der Bühne und hätten uns fast bepisst vor Lachen.
D: Wir haben auch mit ZZ Top gearbeitet. Da waren sie noch bartlos. Uns gefielen sie sehr gut, weil sie ihr eigenes Ding machten. Damals hatten sie gerade FANDANGO! veröffentlicht. Als wir wieder nach England kamen, erzählten wir Status Quo von ZZ Top, weil der Gitarrist so gut war. Der Rest ist Geschichte. Sie liebten uns, weil wir das Publikum richtig anheizten. Kannst du dir das vorstellen? Wir haben auch mit Grateful Dead zusammengespielt. Die Atmosphäre war etwas seltsam. In Amerika mussten wir immer mal wieder als Support-Act herhalten, zum Beispiel vor der J. Geils Band. Bei einer Show in New York waren Kids im Publikum und sahen uns aufmerksam zu. Scheinbar spielten sie unser Livealbum SLADE ALIVE! in ihren Proben, um in Stimmung zu kommen. Ich stakste mit meinen Plateaustiefeln umher und fiel auf die Nase. Ich habe mir nichts anmerken lassen und so getan, als gehöre das zur Show. Ich kam nicht mehr hoch, also musste mich der Roadie hochhieven. Einige Jahre später wurden aus diesen Kids Gene Simmons und … wie heißt er noch, der Sänger? Snider?
Paul Stanley.
D: Paul Stanley. Sie kamen zu mir und sprachen von diesem Konzert. Sie dachten, dass das alles Teil der Show gewesen sei, und ich habe sie in dem Glauben gelassen. Wenn man sich Kiss mal so ansieht, merkt man schon, dass wir sie beeinflusst haben. Später spielten wir einige Shows zusammen und es war sehr interessant, dass Kiss auch beim Soundcheck ihre Kostüme anhatten. Sie waren immer in ihrer Rolle, wahrscheinlich hatten sie einen strengen Manager.
Was war der klischeehafteste Rock’n’Roll-Moment, den ihr je erlebt habt?
N: Es gab natürlich einige lustige Geschichten. Einmal wurde ich an einem verregneten Dienstagabend in Brüssel verhaftet. Nach dem Gig war nicht mehr viel los und jemand von der Vorband forderte mich heraus: „Ich wette, dass du dich nicht als Nutte verkleidest und draußen herumrennst“. Natürlich war Alkohol im Spiel, also zog ich Frauenkleider an, schminkte mich und setzte mir ein kleines Hütchen auf, ging raus auf den Strich und wurde prompt von der Polizei verhaftet. Ist das Klischeegenug?
Definitiv. Das könnte aus „Spinal Tap“ sein!
N: (lacht laut) Ich weiß leider nichtmehr, wie viel Geld ich zahlen musste,um wieder freigelassen zu werden…
D: Bei der deutschen „Bravo“ arbeitete ein Fotograf namens Bubi. Er und ein anderer Typ hatten die wildesten Ideen. Zu mir meinte er: „Wenn du gerne auf einem Elefanten reiten willst, dann besorgen wir einen“. Absolut bizarr! Zuhause hatte ich diese runde Badewanne. Die zwei standen plötzlich mit einem japanischen Model vor der Tür und wollten ein Bild von mir und dieser Dame in der Badewanne schießen. Nackt! Und ich meinte nur: „Oh, das geht nicht, das würde meiner Frau gar nicht gefallen“. Irgendwann wurde das Foto dann von jemand anderem geschossen, aber mit meiner Frau. Wir wollten, dass es nach einem Blubberbad aussieht, also kippten wir Fairy-Spülmittel ins Wasser. In der „Bravo“gab es einige super Bilder von uns. Ich glaube, auf einem Foto fährt Don auf einem Traktor übers Feld. Absolut absurd!
Während ihres unfassbaren Laufs Anfang der 70er Jahre passierte am 4. Juli 1973 etwas Schreckliches. Gerade als ›Skweeze Me, Pleeze Me‹ als fünfte Slade-Single die Spitze der Charts eroberte, hatte Schlagzeuger Don Powell einen schlimmen Autounfall. Seine damalige Freundin Angela Morris starb sofort und auch Powell selbst schwebte mehrere Tage lang in Lebensgefahr. Zwar erholte sich der Drummer relativ schnell von der Tragödie, seinen Geruchs-und Geschmackssinn hat er jedoch in dieser Nacht für immer verloren. Und auch sein Kurzzeitgedächtnis leidet bis heute an den Nachwehen des Unfalls. Powell kehrte zügig an die Drums bei Slade zurück, konnte sich jedoch nicht mehr an die Songstrukturen erinnern. Da es für keinen in der Band infrage kam, Powell zu ersetzen, hatten sie eine Strategie entwickelt, um live spielen zu können: Während Stehaufmännchen Nod das Publikum zwischen den Songsunterhielt, erklärte Jim Lea seinem ahnungslosen Kollegen hinter dem Kit den Anfang des nächsten Liedes. Sobald Powell den Anfangwusste, fiel ihm der ganze Song wieder ein. Ende desselben Jahres landete die Band ihre letzte Nummer eins mit dem beschwingten Weihnachtshit ›Merry Xmas Everybody‹, der Noddy Holder und Jim Lea bis heute jährlich einen satten Tantiemenscheck einbringen dürfte. Nur wenig später standen Slade erstmals für einen Film vorder Kamera. „Slade In Flame“ thematisierte die düsteren Seiten des Musikbusiness und brach somit erstmals mit dem Image der Band als gutgelaunte Arbeiterklasse-Truppe. Der Film feierte im Februar 1975 seine extravagante Premiere im Metropole Theater in London unter dem Beisein von Stars wie Elton John und Queen. Danach machten sich Slade auf den Weg über den großen Teich, um endlich auch die USA zu sladifizieren.
Warum waren die Staaten so eine harte Nuss?
N: Wir waren zwei Jahre lang in den Staaten, weil alle großen britischen Bands wie beispielsweise Led Zeppelin oder Black Sabbath das so gemacht haben. Wir kamen gut an, aber der große Durchbruch gelang uns einfach nicht. Den schafften erst ein paar Jahre später Bands wie Kiss, Quiet Riot oder Mötley Crüe, die wir beeinflusst hatten. Amerika war eine sehr harte Nuss. Ich denke, wir waren einfach zu früh dran. Auf die Amerikaner müssen wir wie Aliens gewirkt haben.
D: Es war verrückt, weil wir eine Weltband waren. Amerika allerdings war ein hartes Pflaster. Die Leute dort mussten noch Vietnam verarbeiteten, diese ganze Hippie-Geschichte und Woodstock waren noch immer sehr präsent, viele hörten Prog Rock. Da passten wir nicht rein.
Nach zwei Jahren mehr oder minder erfolglosen Tourens in den USA kehrten Slade desillusioniert in ihre Heimat zurück. Doch auch dort war ihre Erfolgswelle nach der langen Abwesenheit vollständig abgeebbt. Auf WHATEVER HAPPENED TO SLADE verarbeitete die Band all jene Eindrücke, die sich boten, als sie in ein von New Wave, Disco und Punk dominiertes Land zurückkehrte. Obwohl die Platte weit entfernt von süßem Glam und ganz nah an rohem Rock’n’Roll war, konnte sie nicht punkten. Nur wenig später erschien NEVER MIND THE BOL-LOCKS, HERE’S THE SEX PISTOLS und die bunten Pop-Rock-Stars galten als antiquiert und gestrig. Auch wenn Dave Hill mit Glatze, Springerstiefeln und Lederjacke versuchte, den neuen Modetrend zu adaptieren, mussten sich Slade von ihrem schimmernden Rockstarleben verabschieden. Vorerst.