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Scorpions – Stacheln im Fleisch

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Scorpions – Stacheln im Fleisch

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Scorpions 2010 (3)Zum Abschluss ihrer Karriere hauen die SCORPIONS noch einmal richtig auf die Pauke: Die Band spielt erstmals seit etlichen Jahren wieder eine ausgedehnte Deutschland-Tour mit acht Gigs im Mai und Juni sowie drei weiteren Zusatzshows im Herbst. Zudem will sie mit ihrer neuen Platte STING IN THE TAIL nahtlos an die Erfolge ihre Achtziger-Klassiker anschließen.

Der Kontrast könnte größer nicht sein. Im Bayerischen Hof, einem der renommiertesten Münchner Hotels, bestimmen barocke Wandteppiche, fun-kelnde Kristalllüster, schwere Brokatvorhänge und reich verzierte Vertäfelungen das Bild. Und inmitten dieser optischen Opulenz sitzen die Scorpions, genauer gesagt Klaus Meine, Rudolf Schenker und Matthias Jabs. Sie geben heute ihre Abschiedsvorstellung für die Presse: Denn nach dem Willen der Band soll das aktuelle Album STING OF THE TAIL, das vor wenigen Tagen in Deutschland erschienen ist, ihr letztes Studiowerk sein.

Doch obwohl die Musiker die Entscheidung einstimmig und aus freien Stücken getroffen haben, erwecken sie den Eindruck, als würden sie selbst noch nicht daran glauben, dass nun wirklich das Ende ihrer über 40-jährigen Erfolgskarriere gekommen ist. Denn eigentlich läuft alles ab wie immer: Als die Drei den hauseigenen Festsaal mit dem klingenden Namen „Fürstensalon“ betreten, werden sie mit Blitzlichtgewitter begrüßt. Doch die Rocker, ganz Profis im Musikgeschäft, haben vorgesorgt und sich standesgemäß mit übergroßen Sonnenbrillen ausgestattet. Blinzeln im Rampenlicht gehört sich nicht. Ebenso gut gerüstet sind sie für Fragen nach ihrem Karriere-Ende. Das Wort „Rentner“ verbitten sie sich schmunzelnd. Und nein, „Pensionär“ wird auch nicht akzeptiert. Vielmehr sind alle heiß darauf, über die neuen Songs und die anstehende Welttournee zu sprechen – ganz so, als hätten sie gerade erst ihr Debüt veröffentlicht. Daher starten wir das Gespräch mit dem eigentlichen Anlass der Pressekonferenz und des anschließenden CLASSIC ROCK-Einzelgesprächs: dem neuen Album STING IN THE TAIL…

Klaus, Rudolf, Matthias, euer 19. Studioalbum ist gerade erschienen. Ihr habt darauf nicht mit einem US-Produzenten gearbeitet, sondern mit dem schwedischen Duo Mikael Andersson und Martin Hansen. Wie kamt ihr auf die beiden?
Rudolf Schenker: Wir wollten schon HUMANITY HOUR 1 mit ihnen aufnehmen und hatten auch schon längere Gespräche geführt. Doch dann fiel die Entscheidung, es doch lieber in Los Angeles mit Desmond Child zu versuchen. Diesmal wollten wir allerdings nicht mehr so lange von zu Hause weg sein, daher haben wir Mikael und Martin aus Schweden einfliegen lassen. Nur die Drums und der Gesang sind bei ihnen in Stockholm aufgenommen worden, der Rest ist in unserem Scorpio Sound-Studio bei Hannover entstanden. Wir wollten den Songs unbedingt einen europäischen Touch verleihen, nicht mehr so amerikanisch klingen. Dafür sind die beiden prädestiniert. Mikael ist außerdem ein Top-Gitarrist und großer Scorpions-Fan, während sich Martin exzellent in allen technischen Belangen auskennt. Außerdem sind wir der Meinung, dass es ein Vorteil ist, mit mehr als nur einem Produzenten zu arbeiten. Mikael und Martin haben sich immer untereinander abgestimmt, so dass das Ganze ein rundes, harmonisches Album geworden ist. Für mich bringt es die Essenz unserer Achtziger-Alben auf den Punkt, es vereint die besten Elemente von BLACK-OUT, LOVE AT FIRST STING oder SAVAGE AMÜSEMENT.

Matthias Jabs: Das sehe ich auch so. Der Sound ist sehr natürlich, und das, obwohl wir diesmal weniger Zeit im Studio verbracht haben als gewöhnlich. Ich denke, dass das neue Album in der Tat am ehesten mit LOVE AT FIRST STING zu vergleichen ist.

War während der Aufnahmephase schon klar, dass die Karriere der Scorpions mit STING OF THE TAIL zu Ende gehen wird?
Klaus Meine: Nein, denn es war unser Manager, der uns nach dem Abschluss der Recordings auf die Idee gebracht hat, die Band aufzulösen. Wir haben ihm nämlich alle erzählt, wie toll die Platte geworden ist. Daraufhin meinte er: „Sagt mal, wollt ihr nicht jetzt einen Schlussstrich ziehen, wo es super für euch läuft?“ Erst waren wir nicht über-zeugt, doch je länger wir darüber nachdachten, desto logischer erschien uns sein Vorschlag.

Aus dem wenig schmeichelhaften, aber nicht von der Hand zu weisenden Grund, dass irgendwann allein aus physischen Gründen Schluss sein muss?
Rudolf Schenker: Seien wir doch mal ehrlich: Die Scorpions sind eine klassische Live-Band. Wir springen seit 40 Jahren wie die Wilden auf der Bühne herum. Zwar halten wir uns fit und sind alle noch so gut in Form, dass das im Moment auch problemlos funktioniert. Doch wer weiß, ob wir das auch in zehn Jahren noch können. Vielleicht ja. Aber wenn nicht, dann wären wir Skorpione ohne Stachel. Das widerspricht der Einstellung der Band.
Klaus Meine: Außerdem fangen unsere Touren ja nicht in Flensburg an und hören in Passau auf. Wir sind international erfolgreich, spielen Shows in allen Teilen der Erde. Das macht wahnsinnig viel Spaß, raubt einem jedoch auch Energie.

Aber ihr habt ja in der Vergangenheit auch Akustik-Gigs gespielt. Das wäre doch vielleicht eine Alternative zur kraftraubenden Action-Rock-Show…
Rudolf Schenker: Mit den Berliner Philhar­monikern zusammenzuarbeiten und dann noch ACOUSTICA aufzunehmen, war eine tolle Erfahrung. Aber dieses Projekt ist zu Ende gegangen. Warum sollten wir es wiederbeleben? Zudem hat diese ruhigere Phase unsere Liebe zum Classic Rock wieder richtig neu entflammt.

Scorpions 2010 (1)Ihr habt in unzähligen Ländern der Welt gespielt, wart oft in Europa und den USA, aber auch mehrfach in Südamerika und Asien unterwegs. Nur nach Australien habt ihr es nie geschafft. Warum eigentlich?
Matthias Jabs: Am Ende der CRAZY WORLD-Tour hätten wir eigentlich noch ein paar Daten dranhängen sollen, aber damals waren wir zu erschöpft, um das durchziehen. Dafür werden wir diesen weißen Fleck auf der Scorpions-Live-Landkarte nun tilgen. Wir wollen STING OF THE TAIL auf allen fünf Kontinenten live präsentieren. Schließlich ist das unsere Abschiedstournee, und da soll jeder noch mal die Gelegenheit haben, uns rocken zu sehen.
Klaus Meine: Die deutschen Fans kommen übrigens gleich zwei Mal auf ihrer Kosten. Wir haben gerade mit unserem Booker beschlossen, nach der Tour im Mai noch einige Shows im Herbst nachzuschieben.

Das sind ja großartige Neuigkeiten. Doch was erwartet die Fans bei den hiesigen Gigs?
Matthias Jabs: Die Show enthält natürlich die Klassiker aus allen Phasen der Band-Geschichte, aber wir wollen den Schwerpunkt auf die Hits der Achtziger-Alben legen. Außerdem möchten wir die Scorpions-Pyramide wiederbeleben.

Klaus Meine (lacht): Dafür suchen wir aber noch einen dritten Mann…
Matthias Jabs: Wieso, willst du etwa nicht mit-machen?

Denkt ihr, dass nach der Tour, die sich immerhin einige Zeit hinziehen wird, wirklich endgültig Schluss sein wird?
Klaus Meine: Einen Tina-Turner-Effekt wird es bei uns jedenfalls nicht geben. Dazu hätten wir nämlich schon vor zehn Jahren die Band auflösen müssen. Dafür sind wir eindeutig zu spät dran. Niemand muss also befürchten, dass wir eine Reunion nach der anderen hinlegen.

STING IN THE TAIL wird also definitiv die letzte Scorpions-Veröffentlichung sein?
Matthias Jabs: Vielleicht nicht die letzte Veröffentlichung, denn ich möchte nicht ausschließen, dass wir nach dem Ende der Welttournee eine DVD mit Mitschnitten der besten Shows auf den Markt bringen. Aber ein weiteres Studioalbum ist nicht geplant.

Seid ihr traurig, dass ihr jetzt das Ende eurer Karriere vor euch seht?
Klaus Meine: Bis jetzt noch nicht, denn es liegen noch so viele schöne Dinge vor uns. Gerade sind wir auf Promotion-Reise in Deutschland, danach fliegen wir in die USA, im Mai startet die Tour und so weiter. Ich weiß noch gar nicht, ob oder wie stark mir die Scorpions fehlen werden, wenn das alles hinter uns liegt. Aber ich versuche, möglichst wenig daran zu denken, jetzt alles zu genießen und die Sache nicht zu emotional zu betrachten.

Gibt es einen Moment in eurer Karriere, an den ihr euch besonders gerne zurückerinnert?
Klaus Meine: Schwierige Frage. Fällt euch einer ein?
Schweigen in der Runde.
Klaus Meine: Nun, wir haben so viel erlebt, Höhen wie Tiefen. Das fällt es mir schwer, einen einzelnen Moment herauszupicken. Wenn ich für die Band spreche, dann muss ich hier natürlich unseren Auf-tritt im Kreml nennen. Der ist in gewisser Weise ja ein musikhistorisches Ereignis gewesen. Michail Gorbatschow, damals noch sowjetischer Präsident, und seine Familie haben uns zu einem privaten Gig in seinem Amtszimmer eingeladen. Das war im Dezember 1991, also kurz bevor die Flagge der UdSSR für immer eingeholt worden ist.

Seither ist viel Zeit vergangen, und es gab auch Phasen, in denen die Scorpions nicht so angesehen waren wie heute. Was hat euch da zum Weitermachen bewegt?
Klaus Meine: Ganz klar die Fans. Wenn man auf der Bühne steht und sieht, dass man den Menschen etwas Positives mitgeben kann, treibt einen das unglaublich an. Es ist Wahnsinn, dass wir zum Beispiel in Wladiwostok auftreten können und die Leute dort total ausflippen, weil wir da sind. So etwas gibt mir einen unglaublichen Energieschub. Daher habe ich lange Zeit überhaupt nicht ans Aufhören gedacht. Und auch jetzt habe ich, wie die anderen in der Band auch, viel vor.

Rudolf Schenker: Das Schönste ist ja, dass noch viele Ideen und Projekte auf uns warten, von denen wir im Moment noch gar nichts wissen. Wir können einfach die letzte Tour genießen und uns dann entspannt neuen Dingen widmen. Ganz ohne Druck, ohne Erwartungshaltung, ohne Grenzen. Das wird eine neue und sicherlich auch sehr schöne Erfahrung werden.

Es ist ein Novum, dass Hard Rock altert. Wie geht ihr damit um?
Klaus Meine: Die Scorpions werden jedenfalls nicht die Einzigen der „alten Garde“ sein, die sich in den nächsten Jahren zur Ruhe setzen. Aerosmith oder AC/DC wollen sicherlich auch nicht touren, bis sie von der Bühne fallen. Uns ist es wichtig, einen sauberen Schlussstrich zu ziehen und bis zum Ende ordentlich zu rocken. Ich möchte, dass die Leute uns als die „Bad Boys Runnin’ Wild“ in Erinnerung behalten. Außerdem werde ich in einigen Jahren mit Sicherheit Probleme mit meiner Stimme bekommen. Ich singe heute noch in Tonlagen, die ich dann sicherlich nicht mehr erreichen kann. Es würde mir dann keinen Spaß mehr machen, die Songs zu singen, weil ich wüsste, dass ich sie nicht mehr so performen kann, wie ich eigentlich möchte. Mick Jagger zum Beispiel kann das noch – er ist zwar älter als ich, bewegt sich aber meist in anderen, tieferen Tonlagen. Da ist es leichter, die Stimme auch im höheren Alter auf einem Top-Niveau zu halten.

Kennt ihr denn deutsche Bands, die das Potenzial haben, euren Platz einzunehmen?
Klaus Meine: Edguy, die uns im Vorprogramm der Deutschland-Tournee begleiten, haben Talent. Ihr Frontmann Tobias Sammet ist gut, und wenn sich die Band anstrengt, kann sie es weit bringen. Ich habe schon mit Tobias zusammen-gearbeitet, und zwar bei seinem Nebenprojekt Avantasia. Er ist jetzt Anfang 30. Das war die Zeit, in der wir damals in Japan durchgestartet sind. Das müssen er und seine Jungs jetzt auch versuchen. Rammstein zum Beispiel sind da natürlich schon einen großen Schritt weiter. In meinen Augen ist die Band zwar immer noch jung, aber im Grunde sind sie jetzt schon richtige Stars. Was den wirklichen Nachwuchs angeht, also die unbekannteren Bands, bin ich allerdings überfragt. Mir fällt im Moment keine deutsche Band ein, die mir in letzter Zeit aufgefallen wäre. Schade eigentlich, denn es gibt hierzulande ja speziell im harten Musikbereich eine starke Fan-Gemeinde. An Publikumszuspruch mangelt es also nicht. Daher mein Appell: Leute, verbringt nicht so viel Zeit vor dem Computer, sondern schnappt euch ein Instrument und rockt los!

Petra Schurer

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