Geschrieben in düsteren und aufgenommen in schwierigen Zeiten, fing der Opener LET IT BLEED den Tod der 60er ein, als Peace’n’Love zu Vergewaltigung und Mord wurden…
Manchmal hat man Glück“, sagt Keith Richards über ›Gimme Shelter‹, das beste Stück, das er je geschrieben hat. „Es war ein Scheißtag. Ich hatte nichts Besseres zu tun.“
Es mag leichtfüßig, fast schon lachhaft klingen, doch es entstand in extrem schwermütiger Stimmung. Die Rolling Stones versuchten immer noch, aus dem Karrieregrab zu steigen, in dem sie das von der Kritik verlachte Album THEIR SATANIC MAJESTIES REQUEST von 1967 zurückgelassen hatte, während der rapide körperliche wie emotionale Zerfall ihres Gitarristen und Mitgründers Brian Jones immer wieder ihre Pläne durchkreuzte.
BEGGARS BANQUET, der Nachfolger von 1968, größtenteils nur mit Keith an der Gitarre aufgenommen, war ein Klassiker, aber ihr letzter Hit mit Jones, ›Jumpin‘ Jack Flash‹, war ihre einzige Chart-Single in Großbritannien in 18 Monaten gewesen. Und jetzt, wo Keiths Gattin – Anita Pallenberg, die er im Jahr zuvor Jones ausgespannt hatte – mit Mick Jagger Sexszenen für dessen Filmdebüt in „Performance“ drehte, war Richards absolut niedergeschlagen, als er an einem stürmischen Herbsttag in der Wohnung des Galeriebesitzers Robert Fraser in Mayfair saß und Koks und Heroin schnupfte.
Wie er so mit seiner Gitarre in einem Zimmer herumlag, das mit tibetischen Schädeln, tantrischer Kunst und marokkanischen Wandteppichen dekoriert war, kettenrauchend und deprimiert ob der Vorstellung, dass Anita bei Mick war, fing Keith an, zu schrammeln, während Blitze den Himmel über London erleuchteten.
„Es war einfach ein fucking furchtbarer Tag“, erinnert er sich in seinen Memoiren „Life“. „Dieser unglaubliche Sturm über London. Also versetzte ich mich in diese Stimmung – ich sah all diese Leute…die um ihr Leben liefen.“ Über dieselben offenen Akkorde, die sein Markenzeichen geworden waren, sang er, „Oh, a storm is threatening, my very life today“. Es klang gut. Er schrammelte weiter, fügte eine Zeile hinzu: „If I don‘t get some shelter, oh yeah, I‘m gonna fade away…“
Als die Stones sich sechs Monate später wieder trafen, um mit der Arbeit an ihrem nächsten Album LET IT BLEED zu beginnen, war dieses Lied über das ultimative Verderben, das Keith an jenem stürmischen Tag angefangen hatte, nunmehr ›Gimme Shelter‹ betitelt, unter den ersten, die er und Jagger mit Produzent Jimmy Miller in Angriff nahmen. Es sollten sich auf dem Album noch weitere monumentale Momente finden, nicht zuletzt Jaggers ›You Can‘t Always Get What You Want‹. Doch alles, was die Stones noch werden würden, alles, wofür man sie vergöttern würde – die größte, legendärste, wagemutigste, ausgefeilteste, dunkelste, böseste, sexieste und coolste Rock‘n‘Roll-Band der Welt –, sollte im apokalyptischen ›Gimme Shelter‹, dem Opener des Albums, auf den Punkt gebracht werden.
Es dauerte allerdings noch sechs Monate, bis sie damit fertig wurden. In der Zwischenzeit erlebten die Stones künstlerisch, persönlich und kommerziell die turbulenteste Phase ihrer Karriere. Nachdem Jones, der im Juni 1969 offiziell aus der Band geworfen worden war, nur drei Wochen später tot in seinem Pool gefunden wurde, spielten sie dennoch ihr kostenloses Konzert im Hyde Park mit dem neuen Gitarristen Mick Taylor. Sie kündigten auch ihre erste US-Tour seit drei Jahren an, die im November beginnen würde. Zuerst mussten sie allerdings das Album fertigstellen.
Miller fand, dass ›Gimme Shelter‹ irgendetwas fehlte, etwas, das gut zu großartig machen würde. Sie fanden das, was sie suchten, in der 20-jährigen Merry Clayton. Vorgeschlagen vom Produzenten und langjährigen Stones-Begleiter Jack Nitzsche, hatte sie sich mit Duetten und Backing-Vocals für u.a. Ray Charles, Burt Bacharach und Elvis Presley einen Namen gemacht. Sie erinnert sich lachend daran, wie sie gerade ins Bett gehen wollte, als sie Nitzsches Anruf erhielt: „Es war fast schon Mitternacht. Ich war damals schwanger und dachte, dass ich auf gar keinen Fall wieder aufstehen würde, um mitten in der Nacht in irgendein Studio zu fahren.“
Ihr Mann, Jazzsaxofonist Curtis Amy, überredete sie aber doch noch. „Ich trug diesen wunderschönen rosa Pyjama und hatte Lockenwickler im Haar. Aber ich nahm diesen Chanel-Schal, schlug ihn um die Wickler, damit es richtig süß aussah, ging ins Bad und trug etwas Lip Blush auf – es kommt schließlich nicht in Frage, dass ich ins Studio gehe und nicht toll aussehe!“ Mit einem Pelzmantel über den Schultern traf sie letztlich im Studio ein und war „bereit, um zu arbeiten“. Sie gibt zu, dass sie etwas verblüfft war, als sie den Text las, den Jagger ihr gegeben hatte. „Ich sagte, Vergewaltigung, Mord…? Süßer, bist du sicher, dass ich das singen soll? Er lachte einfach nur. Er und Keith.“
Sie fingen die Session an und der Effekt trat sofort ein. „Auf dem Originalband hört man, wie Mick im Hintergrund schreit und plärrt“, so Merry.
Natürlich sollte die Geschichte von ›Gimme Shelter‹ ein düsteres Postscriptum erhalten. Während es zum gefeiertsten Lied des Stones-Kanons wurde, das nie als Single ausgekoppelt wurde – „das cleverste Amalgam kraftvoller Klänge, das die Stones je erschaffen haben“, befand die „International Times“; „ekstatisch, ironisch, übermächtig, ein erotischer Exorzismus für ein dem Untergang geweihtes Jahrzehnt“, behauptete „Newsweek“ –, wurde es auch zu einem Symbol für den Moment, als der Traum der 60er in den Alptraum der 70er umschlug.
›Gimme Shelter‹ erschien am selben Tag im Dezember 1969, an dem die Stones ihren tragischen, von schlechtem LSD und billigem Wein befeuerten Auftritt auf dem Altamont Speedway in Nordkalifornien absolvierten, bei dem der Teenager Meredith Hunter von Hell‘s Angels erstochen wurde. Der Dokumentarfilm der Gebrüder Maysles über dieses Debakel wurde nur zu passend nach dem Lied benannt – es sollte der Moment werden, in dem die Musik der Stones zu einer mythischen Kraft wurde. Oder wie Albert Goldman es formulierte: „Ein obsessiv schönes Beispiel von Tribal-Rock…Regenmacher-Musik, die sich zu einem endlosen Dröhnen wiederholt, bis sie deine Seele durchtränkt hat.“
Narrengold
„Sie geben mir den Text, ich sehe ihn mir an und denke, ‚Vergewaltigung? Mord? Ich arbeite mit einem Haufen Narren!‘“ Merry Clayton war auf ›Gimme Shelter‹ nicht nur eine Backing-Sängerin, sondern fast schon eine Duettpartnerin für Jagger. „Ich weiß noch, wie ich zu den Jungs [Jagger und Richards] sagte: ‚Ich hoffe, das dauert nicht die ganze Nacht. Ich brauche schließlich meinen Schönheitsschlaf‘“, kichert sie heute. „Aber dieses Lied wurde zum Beginn eines neuen Lebens für mich.“
In der Tat sang Merry in den 70ern für Lynyrd Skynyrd (›Sweet Home Alabama‹), The Who (als die originale Acid Queen in der 1972er Bühenproduktion von TOMMY), Neil Young und zahllose andere. ›Gimme Shelter‹ sollte jedoch zu ihrem Markenzeichen – und dem Titel ihres Solo-Debütalbums von 1970 – werden.
2013 kann man sie in dem Dokumentarfilm „20 Feet From Stardom“ sehen und hören, wo sie und viele andere wichtige Backing-Sänger die Geschichten hinter einem Leben voller Hits und Klassiker enthüllen. „Schätzchen, wir haben alles gesehen“, schnurrt sie, „nur durften wir nie ein Wort darüber verlieren – bis jetzt!“
Mick Wall
Die Kritik über Stanacic Majesty Request beweist nur, dass die Mehrzahl der Kritiker schlichtweg ahnungslos ist. Was mich bis heute zum Lachen bringt, ist der Blödsinn der seit über 50 Jahren über den völlig missratenen Sgt Pepper-Müll der Beatles geschrieben wird. Der Anspruch etwas Phänomales zu schaffen, steht im geradezu schreienden Widerspruch zum ungenießbaren Musikmüll den die Beatles da produziert haben. Their Satanic ist um Lichtjahre besser. Mittlerweile erkennen dies auch immer mehr Hörer die sich einen eigenen Geschmack jenseits des medial vorgegebenen erlauben.