Wie das künstlerische Manifest des jungen Bowie in
dreieinhalb Minuten der Perfektion eingefangen wurde.
Als David Bowie im Frühling 1971 die heute legendäre Zeile „turn and face the strange“ schrieb, brachte er damit die Blaupause für das nächste Jahrzehnt seiner Karriere auf den Punkt. Mit 24, sieben Jahre nach Beginn dieser Karriere und mit drei Alben und „a million dead end streets“ hinter sich, brütete er immer noch im Schatten, während freundschaftliche Rivalen wie Marc Bolan und Elton John begannen, Stars zu werden. Er war entschlossen, sich nicht abhängen zu lassen, bündelte all seine kreativen Stärken und fing an, Songs zu schreiben, die „direkter“ waren. „Anfang der 70er begann sich alles für mich zu fügen, was die Sachen betraf, die ich machen wollte“, sagte mir Bowie 2003. „Nachdem ich von meiner ersten Reise nach Amerika zurückgekehrt war, hatte ich eine neue Vorstellung vom Songwriting, und die drehte sich um eine Kollision verschiedener Musikstile. Mir wurde klar, dass ich keinem einzelnen Genre treu bleiben konnte. Ich war kein R’n’B-Künstler, ich war keinFolk-Künstler, und ich sah keinen Sinn mehr darin, das so puristisch zu sehen. Mein wahrer Stil war, dass ich es liebte, Little Richard und Jacques Brel zu kombinieren, mit The Velvet Underground als Backing-Band. Wie würde das klingen? Niemand machte das. Zumindest nicht auf dieselbe Weise.“
›Changes‹, so sagte er einmal, war ursprünglich „eine Parodie auf einen Nachtclub-Song“. Doch schnell wurde daraus einer seiner neuen Hybriden, der Cocktail-Jazz, Boogie Woogie und Beat-Poesie mit einem beatlesesken Refrain verschmolz. Bezeichnenderweise wechselte Bowie bei der Arbeit an dem Song – und dem gesamten Material auf HUNKY DORY – oft von seinem angestammten Instrument, einer akustischen, zwölfsaitigen Harptone-Gitarre, an den uralten Flügel in Haddon Hall, wo er lebte. „Er liebte dieses Klavier“, sagte mir Angie Bowie. „David war ein fantastischer Musiker, denn sein Ansatz war nicht der eines ausgebildeten Künstlers, sondern nach Gehör. Er hatte die Gabe, einen Song aus diesen ersten Momenten zu picken, wenn er mit einem Instrument herumspielte. Das Schreiben am Klavier eröffnete ihm neue Möglichkeiten, da er an so vielen Artender Musik interessiert war – Klassik, Kabarett, jede Stilrichtung.“ Hört man sich das Demo an, das Bowie zuhause von ›Changes‹ aufnahm, ist der Song schon komplett da, nur sein Spiel ist ein bisschen träge. Deshalb engagierte er das Session-Ass Rick Wakeman, um das Piano zu spielen und schöner zu machen, und um der Aufnahme einen nuancierteren Klang zu verleihen.
„David wusste, was er wollte“, sagt Wakeman. „Er wusste, wie die Musik sein musste, und suchte sich die Musiker aus, die seiner Meinung das erreichen konnten, was ihm vorschwebte. Ich fuhr zu ihm nach Hause, er hatte seine Gitarre und spielte all die Songs. Und sie waren alle umwerfend. Ich nahm mir Papier zur Hand und machte mir Notizen, dann hielt ich inne und sagte: ‚Weißt du, was du da hast? Dies ist eine absolut großartige Sammlung von Songs! Und weißt du was? Ich habe kein Geld, aber wenn ich welches hätte, würde ich alles darauf wetten, dass diese Platte‘ – und er hatte mir schon gesagt, dass sie HUNKY DORY betitelt sein würde – ‚immer noch relevant und wichtig sein wird, lange nachdem du und ich weg sind‘. Er lachte. Ich sagte: ‚Das meine ich ernst‘. Er gab mir totale Freiheit, zu spielen, was ich wollte. Die improvisierte Passage von ›Changes‹ war seine Idee, denn er hatte den Song so geschrieben, und so blieb er dann auch. Manchmal, wenn etwas so einfach ist und es funktioniert, sollte man es lassen, wie es ist.“
Die Sessions zu HUNKY DORY in den Trident Studios in London erstreckten sich über den Juni und Juli 1971. Bowie, seine Musiker und Produzent Ken Scott arbeiteten von 14:00 Uhr bis Mitternacht, Montag bis Samstag, mit kurzen Pausen für Tee, Sandwiches und die gelegentliche Flasche Wein. Es herrschte eine aufgeregte Stimmung, befeuert von Bowies neuem Material. „Ehrlich gesagt, dachte ich nicht, dass er diese Songs in sich hatte“, erinnerte sich Schlagzeuger Woody Woodmansey. „Sie waren strukturierter. Er hatte sich offenbar als Autor mehr konzentriert, aber dabei trotzdem seinen einzigartigen Ansatz beibehalten, vor allem textlich, während er alles straffte.“ „HUNKY DORY war die erste Aufnahmesession meines Lebens, und es war schon unglaublich, überhaupt nur in einem Studio zu sein“, sagte der mittlerweile verstorbene Bassist Trevor Bolder.
„Das war alles recht spontan und unmittelbar. Wir gingen rein, David spielte uns einen Song vor – oft einen, den wir noch nie gehört hatten –, dann spielten wir ihn einmal durch und nahmen ihn danach auf. Keine Zeit, um darüber nachzudenken, was man spielen sollte, man musste es stante pede tun. Das war in gewisser Weise nervenaufreibend, aber es sorgte auch für ein gewisses Gefühl. Wenn man einen Song zu oft im Studio spielt, kann er abgestanden klingen, und ich glaube, David wollte diese Energie einfangen, wenn alles unberechenbar ist.“
„Es herrschte enormer Druck, dass ein Song richtig eingespielt wurde“, stimmte Woodmansey zu. „David
machte ungern mehr als drei Takes, um etwas hinzubekommen. Fast jedes Stück, das ich mit David aufnahm, war der erste, zweite oder dritte Take, meistens der zweite. Er wusste, wenn ein Take der richtige war.“
›Changes‹ wurde im Januar 1972 als Single veröffentlicht, doch schaffte es nicht in die britischen Charts und erreichte in den USA nur Platz 66. Doch es wurde zum Dauerläufer im Radio sowie in Bowies Live-Sets sowie in verschiedenen Arrangements zu Bowies stililstischer Visitenkarte. Wie es im Text heißt, war er immer „much too fast to take the test“ – zu schnell für die Prüfung, nämlich die, in eine Schublade gezwängt zu werden. Der Song wurde zu einer Hymne jugendlicher Freiheit und von mehreren Acts gecovert, am kreativsten vielleicht von Seu Jorge in Wes Andersons Film „Die Tiefseetaucher“. Er wurde außerdem auch zum Intro von John Hughes’ Teenager-Streifen „The Breakfast Club“. Wusste Bowie 1971, dass er eine Single aufnahm, die seine Karriere definieren würde? Im Kontext mit dem Album, das sie einleitete, sagte er mir: „HUNKY DORY gab mir diesen wunder- baren Auftrieb. Zunächst mit diesem Gefühl: ‚Wow, du kannst alles tun‘. Du kannst das Gepäck der Vergangenheit ausborgen, du kannst es mit Dingen verbinden, die du für die Zukunft hältst, und du kannst es im Hier und Jetzt ansiedeln. Dann verhalf mir diese Platte zum ersten Mal in meinem Leben zu einem echten Publikum – ich meine, Leute kamen tatsächlich zu mir und sagten: ‚gutes Album, gute Songs‘. Das war mir davor noch nie passiert. Das war so: ‚Ah, jetzt verstehe ich das. Ich finde meinen Weg. Ich beginne, zu kommunizieren, was ich machen will. Und jetzt … was will ich eigentlich machen?‘“